3. Der religionskritische Ansatz
für Sigmund Freud ist die Entstehung von Religion ganz
selbstverständlich ein psychologisches Phänomen: „Die
Psychoanalyse hat uns den intimen Zusammenhang zwischen dem
Vaterkomplex und der Gottesgläubigkeit kennen gelehrt, hat
uns gezeigt, dass der persönliche Gott psychologisch nichts
anderes ist als erhöhter Vater, und führt uns täglich
vor Augen, wie jugendliche Personen den religiösen Glauben
verlieren, sobald die Autorität des Vaters bei ihnen
zusammenbricht. Im Elternkomplex erkennen wir also die Wurzel des
religiösen Bedurfnisses“ ( S. Freud: Totem und Tabu).
Das anhand von Träumen und Neurosen aufgespurte Modell
der Wunscherfüllung wendet Freud auch auf die Entstehung und
Ursache von Religion an. Religiöse Vorstellungen sind demnach
„nicht Niederschläge der Erfahrung oder Endresultate des
Denkens“, sondern „Illusionen, Erfüllungen der
ältesten, stärksten, dringendsten Wunsche der
Menschheit; das Geheimnis ihrer Stärke ist die Stärke
dieser Wunsche“ (S. Freud: Die Zukunft einer Illusion).
Diese Wunsche verweisen zurück auf einen hilflosen,
kindlichen Menschen, der sich nach Schutz vor den Gefahren des
Lebens sehnt. Es geht also nach Freud - ganz ähnlich wie bei
Feuerbach - um Projektionen. Die unklare innere Wahrnehmung wird
nach außen, auf etwas Jenseitiges hin, projiziert. Doch all
diese Wunsche sind nach Freud infantile Wunsche, geboren
aus den nie ganz überwundenen Konflikten der
Kindheit. Religiöse Handlungen lassen sich zudem mit
neurotischen Zwangshandlungen vergleichen. Die Besänftigung
ominöser bedrohlicher Mächte in primitiven Religionen
oder des Vatergottes in monotheistischen Religionen bringt zwar
keine reale Hilfe, wohl aber eine seelische Entlastung. So ist für
Freud Religion eine „hilfreiche“ Illusion. Dennoch
bezweifelt Freud, dass die Religion über die Jahrtausende
lange Zeit ihrer Existenz das Leben des Menschen glucklicher
und erfüllter gemacht hätte. Ebenso sei sie nicht nur
Maß der Sittlichkeit, sondern auch Stutze der
Unsittlichkeit gewesen. Konsequenterweise kann Religion also
abgeschafft werden, nämlich dann, wenn an ihre Stelle ein
anderer moralischer Maßstab gesetzt wird: die Rationalität.
Nicht religiöse Regeln und Verbote sollen die Triebwunsche
des Menschen von oben herab bändigen, sondern die eigene
Vernunft, die Intelligenz. Der Mensch soll seine Erwartungen vom
Jenseits lösen und sich mit all seinen Fähigkeiten und
Kräften auf seine diesseitige Existenz beziehen. Das kann und
muss der mundige, erwachsene, reife Mensch leisten.
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