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THEMA:   Unterrichtsqualität: Eichstätter Gruppe

 12 Antwort(en).

jpm begann die Diskussion am 25.10.04 (11:48) mit folgendem Beitrag:

Um eine Verbesserung der Unterrichtsqualität zu erreichen, müssen alle Beteiligten koperieren. Welches bessere Instrument gibt es als Foren? Scheuen Sie sich nicht, Ihre Ideen hier einzubringen! Und streben Sie nicht nach Perfektion der Beiträge! Sonst werden Sie gar nichts schreiben. In Forum schreibt man ganz viel und ganz spontan!


urvc antwortete am 26.10.04 (19:32):

Guter Unterricht läuft immer zunächst über Emotionen, stimmen die, dann stimmt meist auch die Sache. Ist keine Leidenschaft im Spiel, ist der Lehrer nicht leidenschaftlich, kann er keine Leidenschaft im Schüler wecken, geht nichts - außer Langeweile. Und davon haben wir schon genug.
Es gilt, die Menschen herauszufiltern, die wirklich geeignet sind, Lehrer zu sein, und die praxisnah auszublden. Da fängt für mich die Qualität des Unterrichts an.
Frage: Ganz drängend, immer wieder von Eltern gestellt -
Was macht man mit den ungeeigneten, aber unkündbaren Lehrern, die Kinder und Eltern Jahr für Jahr, z.t. Jahrzehnt für Jahrzehnt über sich ergehen lassen müssen? Eine Psychotherapeutin bei uns im Elternbeirat dazu: Warten, bis der psychische Kollaps kommt, erst dann ist Ruh!
Das kann doch nicht alles sein! Was kann man gegen den alltäglichen Schwachsinn in der Schule tun, unsere Kinder können nicht auf unsere Theorien warten, sie brauchen dringend wieder Lust am Lernen!


jpm antwortete am 26.10.04 (21:03):

@urvc
"Das kann doch nicht alles sein! Was kann man gegen den alltäglichen Schwachsinn in der Schule tun, unsere Kinder können nicht auf unsere Theorien warten, sie brauchen dringend wieder Lust am Lernen!"
- Was Sie beschreiben, ist nicht allein Problem der Schule. Dass Menschen bei ihrer Entwicklung oder Weiterentwicklung behindert werden, ist in allen Sparten der beruflichen Welt mehr als genug zu beobachten. Man kann also nicht von der Schule das verlangen, was sonst in der Gesellschaft nirgends realisiert ist. Eine gute Bekannte von mir, die in einem großen Konzern an wichtiger Position agiert, betont immer wieder, wie sehr man in Unternehmen unfrei ist, seine Meinung und sein wahres Ich zeigen zu dürfen. In der Schule ist es bei weitem nicht so schlimm, weder für die Schüler, noch für die Lehrer. Aber trotzdem muss man auch in der Schule ansetzen. Eine mögliche Lösung ist
a) Über welche Fähigkeiten verfügen die Schüler (Bilanz ihrer Fähigkeiten)?
b) Welche Projekte und Ziele kann man der Gruppe anbieten, damit möglichst viele Schüler viele Fähigkeiten einbringen und dabei weiterentwickeln können?
c) Mit welchem System von Druck + Belohnung kann man die Schüler dazu bringen, die Mühe aufzuwenden und sowohl ihre bereits vorhandenen Fähigkeiten einzubringen als auch neue zu erwerben? Das geht nur mit Projekten!
Und das Ganze zu gestalten ist sehr anstrengend für den Lehrer und verlangt von ihm enorme Fähigkeiten.
Fazit: mit kleinen Schritten geht es nicht mehr. Es müssen umfassende Veränderungen eingeleitet werden. Die Schwierigkeit für den Lehrer ist, dass er noch so motivierend und einsatzbereit sein kann, ohne Druck geht es leider nicht. Er muss ganz viel Gutes für die Schüler tun, und dieses Gute noch aufzwingen. Wenn ich selbst nicht Druck ausüben würden, würden die Schüler mich nett finden, aber nichts lernen. Ich kann nur wiederholen: der Lehrerberuf ist sehr, sehr fordernd. Wenn es also ein paar in einer Schule gibt, die es "nicht bringen", es entspricht dem Profil der Gesellschaft. Der Lehrerberuf ist allein von der großen Anzahl her kein Eliteberuf und man wird dort wie in der Gesamtbevölkerung sehr gute, mittelmäßige und schlechte finden. Und die Schäden, die sie verursachen, sind noch zu verkraften.
Plädieren Sie also dafür, dass immer mehr Projekte durchgeführt werden. Das ist schon ein Schritt in die richtige Richtung.


mico antwortete am 28.10.04 (17:07):

@jpm
Die heute geborenen Kinder sind nicht anders veranlagt wie schon immer - verändert hat sich die Sozialisation und die ist Ausdruck der gesellschaftlichen Gegebenheiten in Form zivilatorischer 'Errungenschaften' (z.B. TV, handy, Werbung) und ihrer Wirkungen sowie der von den jeweiligen Erwachsenen gelebten Vorbildhaftigkeit.
Ich habe den Eindruck, dass Schule und Lehrer nicht darauf vorbereitet sind (und werden), den verändert sozialisierten Schülern zu begegnen und ihre Lehr-/Vermittlungs-Aufgabe zu erfüllen.
Ich behaupte, dass die Mehrheit der Lehrer - zumal an den Gymnasien - deshalb scheitern (keine nachhaltige Vermittlung der Lehrinhalte einerseits, persönliches Gefühl der Überforderung andererseits), weil sie bar jeder pädagogischen Kompetenz auf Jugendliche losgelassen werden, die so sind, wie sie sind.
Lehrer brauchen anforderungsorientierte Ausbildung. Der Verlust der in der Vergangenheit mit dem Berufsbild einhergehenden Autorität fordert überall von Führenden und Lehrern wesentlich mehr, als in der Vergangenheit. Es genügt nicht mehr, Chef zu sein, nicht mehr Lehrer zu sein, wenn sich Erfolg einstellen soll. Voraussetzung ist Eignung und Befähigung gemessen an der Aufgabe. Schulen (und Chefsessel - Vorgesetzte allgemein) sind voller Menschen, denen es an der in jeder Führungsposition unabdingbaren, ausreichenden sozialen Intelligenz mangelt.
Bei Lehrern schlägt sich das in fehlender Vermittlungskompetenz nieder. Das fachliche Wissen, das bei Gymnasiallehrern noch immer ein akademisches Vollstudium fordert, spielt eine vergleichsweise völlig untergeordnete Rolle.
Ich stimme insofern urvc zu: Lehrerselektion und -ausbildung mit dem Schwerpunkt Vermittlungskompetenz sind gefrag. Es kann nicht sein, dass die Gesellschaft sich damit abbfindet, dass an de Schalthebeln der Zukunft der Gesellschaft nur Durchschnitt eingesetzt wird. Lehrer müssen Elite sein und diesen Status durch messbare Ergebnisse rechtfertigen.
mico


jpm antwortete am 28.10.04 (17:17):

OK. Und wie kommen wir dahin? Beispielsweise indem die Lehrerausbildung verändert wird. Das ist aber ein sehr, sehr langsamer Prozess, der zum Teil schon begonnen hat. Ich selbst bemühe mich sehr darum, aber wie gesagt: ein langsamer Prozess. Aus meiner Sicht wird eine intensive Kommunikation mithilfe der neuen Medien - wir tun das gerade - dazu beitragen, dass das Wissen viel schneller kommuniziert wird. Aber auch auf diesem Gebiet ist noch viel zu tun! Ein Anfang ist zum Beispiel dieses Forum!


mico antwortete am 30.10.04 (20:00):

@jpm
ja, ohne Zweifel, ein langer Weg.
Auch mir wäre es lieber, könnte man mit einem Rechen mal kräftig durchs Gestrüpp fegen. Geht aber nicht.
Wie überall in unserer Gesellschaft haben sich Politik, Kultusbürokratie und Lehrerschaft eingerichtet, haben es sich bequem gemacht und erst jetzt, nachdem das Versagen des Systems nicht mehr zu verleugen ist, weil uns endlich Vergleiche einen Spiegel vorhalten, kommt Bewegung ins Geschehen.
Also ich denke (und habe immer mein eigenes Erleben in Bayern mit Abitur 1958 in Erinnerung und Gymnasium heute gespiegelt im Erleben und Berichten meiner Töchter - 15 und 17):
A. Kultusbürokratie
Ich bin überzeugt, dass es kaum eine Behörde gibt, die derartig autoritär strukturiert ist und handelt, wie die Kultusbbeörde. Sie - das ist mein Eindruck als Aussenstehender - springt mit Schulleitern und Lehrern um, wie mit Leibeigenen. Und die sollen dann jungen Menschen Demokratie als Lebensgefühl vermitteln.
Also: Weitgehender Abbau des Apparates
der grundsätzlich nicht mehr vorgeben sollte, wie gehandelt werden muss, sondern sich auf folgende Kernaufgaben beschränkt:
- Lehrerausbildung
- Vorgabe der Ausbildungsziele für Schultypen und Fächer
- Servicecentrum für Schulen und Lehrer.
- Öffentlichkeitsarbeit, wenn es um die Vermittlung des gesellschaftlichen Wertes der Bildung als erstrebenswertes Ziel geht. Darstellung von Bildung (ich bin mir der Diskussionswürdigkeit des Begriffes Bildung bewußt) als gesellschaftlich erstrebenswertes Ziel, weil Garant für die Zukunft des Einzelnen und des Ganzen.
B. Schule
- Schulen müssen weitgehend autonom handeln dürfen
- Schulleiter müssen Gestaltungsfreiräume haben und ihre Schule analog mittelständischer Unternehmen, die Dienstleistungen erbringen und anbieten, führen können. Schulleiter müssen nicht gute Lehrer sein (vielleicht auch), aber in erster Linie gute Manager.
- Schulleiter müssen folglich Lehrer ein- und ausstellen dürfen.
- Schulleiter müssen ihre Lehrer 'führen', sie sind entscheidend für Klima und Spielregeln an ihrer Schule.
- Schulen müssen ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Die wird gemessen an den Ergebnissen der Prüfungen, die vom KuMi zentral vorgegeben werden.
- Schulen müssen die Fähigkeit entwickeln, die Ressource 'Eltern' in schulisches Leben einzubauen und Eltern nicht (wie heute häufig) als bedrohliche Störenfreiede wahrzunehmen.
C. Lehrer
- Der Lehrerausbildung muss eine Eignungsprüfung vorausgehen. KO-Kriterium ist die Vermittlungskompetenz.
- Die Lehrerausbildung selbst muss Fachliches auf das beschränken, was bis zum Abitur vermittelt werden soll. Stattdessen Schwerpunkt auf Pädagogik und Didaktik.
- Lehrerbeurteilung laufend gemessen am output. Und ist das Gelingen der Aufgabe, jungen Menschen den Stoff erfolgreich zu vermitteln.
- Lehrer dürfen keine Beamte mehr sein. Es muss 'Fluchtwege' geben. Etwa in Richtung Erwachsenenbildung und die Wirtschaft.
- Lehrer müssen Vorbild sein, wenn es darum geht, Veränderung (Neues) als Chance wahrzunehmen statt als Risiko. Sonst sind sie für Jugend nicht glaubwürdig.
E. Eltern
Sind das schwierigste Kapitel im Gesamtgeschehen. Schule kann Eltern nicht direkt beeinflussen. Aber indirekt sehr wohl und sehr wirksam und zum Nutzen der Schule. Denn in Eltern stecken gewaltige Ressourcen und eine hohe Bereitschaft dazu bei zu tragen, dass ihre Kinder was lernen.
Meine Kinder wechselten mit glühenden Erwartungen, aufnahmebereit wie trockene Schwämme zum Gymnasium. Nach einem halben Jahr war es geschafft sie zu drehen: Scheiß Schule! Und ohne Eltern, die ein Weglaufen verhindern, stünden 90 % aller Schulen mangels Schülern leer. Die kämen nämlich nicht mehr. (Ich habe ein Unternehmen geführt. Wenn meine Mitarbeiter ihre Kunden - und die Schüler sind die Kunden der Schule - mit vergleichbarem Effekt betreut hätten, wäre das Unternehmen im Nu pleite gewesen. Nein, denn ich hätte die Mitarbeiter gewechselt.)
Heute ist es so: Die wenigen Lehrer, die sie gut finden erfahre ich, haben folgende Eigenschaften: Lustig (Ich würde interpretieren: weil souverän und weil sie Jungendliche mögen), anspruchsvoll, streng, geordnete Darstellung des Stoffes und dessen verständliche Vermittlung.
Und siehe da: sie machen gerne mit, nehmen an, geben ihr Bestes und murren nicht. Sie tun es freiwillig.
Ich komme auf die Aufgabe und Chance zurück, Eltern zu 'domestizieren' und sogar zu nutzen. Das Elternbild von der Schule und von Lehrern entsteht in erster Linie über meine Kinder.
Es liegt also an der Schule und den Lehrern sich der Unterstützung und ggf. der Mitarbeit von Eltern dadurch zu versichern, dass ihre 'Kunden', die Schüler, Gutes aus der Schule nach Hause bringen.
So, jmp, mein Erguss ist unausgereift, unvollständig, unausgewogen und aus Ihrer Sicht vermutlich laienhaft naiv. Ich bitte um Nachsicht, aber ich bin Laie und wie sagten schrieben Sie in Ihrem Eröffnungstatemen: 'Und streben Sie nicht nach Perfektion der Beiträge!'
In diesem Sinne.
mico


jpm antwortete am 31.10.04 (09:51):

@mico
jetzt sitze ich in cairo und fuehre an der deutschen schule eine fortbildung durch (eine woche). wenn ich zurueck bin, werde ich auf ihren ausfuerhlichen beitrag eingehen.
Viele gruesse
jpm


jpm antwortete am 02.11.04 (15:46):

@Mico
Ich bin im Großen und Ganzen mit Ihnen einverstanden. Wo fangen Sie an? Ich denke, man muss mit der Verbreitung von zentralen Begriffen anfangen: Ressourcenorientierung ist glaube ich ein gutes Motto, das man verbreiten muss. Schüler und Eltern sollen nicht als Störmomente betrachtet werden, sondern als Ressourcen, die zur Konstruktion von Wissen eingesetzt werden können. Allerdings muss ich die Schüler schnell in das Unterrichtsgeschehen einbinden, damit ich sehe, was sie überhaupt können! Erst so sehe ich, über welche Ressourcen wir verfügen. Und dazu ist die Methode LdL zum Beispiel sehr geeignet. Bei LdL sehe ich sehr schnell, was die Schüler können und kann sie dementsprechend einsetzen.


jpm antwortete am 07.11.04 (10:02):

@Mico
Nach einer für mich sehr beglückenden LdL-Fortbildung in Cairo entfaltet sich ein Gedankenaustausch zwischen Lehrern aus Singapur, Istanbul und Cairo. Es geht u.a. auch um die Bereitschaft von ägyptischen und türkischen Schülern, hart zu arbeiten und um die besondere Qualität der Methode LdL in diesem Kontext. LdL als Idealmethode für hart arbeitende und ehrgeizige Schüler? Ich persönlich bin davon überzeugt. Hier das entsprechende Forum:

(Internet-Tipp: http://www.zum.de/Foren/ldl/threads/thread417.html)


mico antwortete am 14.11.04 (21:09):

@jmp
LDL ist eine herausragende Methode - unbestritten.
Sie teilt einen Nachteil mit den herausragenden Methoden der Kunst des Verkaufens oder der Kunst des Führens von Menschen: Die Wirkung einer Methode hängt entscheidend ab vom angeborenen Grad des Basistalentes dessen der moderiert, lehrt, verkauft, führt.
Erfolgreich Lehren, Führen, Verkaufen ist eine Eigungs und Persönlichkeitsfrage.
Daher braucht auch LDL talentierte und engagierte Lehrer/Moderatoren.
Die Wirklichkeit zeigt, dass es zu wenig talentierte Lehrer gibt. Der Grund ist offensichtlich: Es gibt zu viele Lehrer, die ihren Beruf unter falschen Vozeichen ergriffen haben. Entweder liegen die Motive eher auf der materiellen Ebene - vernünftiges Einkommen, Arbeitsplatzsicherheit, erfreuliche Freizeitbedingungen - oder das Bild von der Wirklichkeit des Lehrerberufes ist unrealistisch oder die Selbstwahrnehmung der Eignung stimmt nicht. Zumal bei Gymnasial-Lehrern.
Es sammeln sich unter dem Beruf Lehrer nicht die Talentiertesten. Und Irrtümer sind zumindest im Weltbild von Menschen, die den Beruf guten Willens gewählt haben, und sich nach einigen Jahren des Nichtwahrhabenwollens angesichts der Erkenntnis, dass sie das nicht schaffen, erst verzweifeln und dann resignieren. Sie sehen keinen Ausweg, denn ihr berufliches Weltbild ist auf die Ausübung ihres Berufes im Staatsdienst fixiert. Hinzu kommt, dass das dann oft schon geschädigte Selbstwertgefühl alle alternativen Denkansätze für eine außerschulische Verwendung eines abgesclossenen Lehrerstudiums von vornherein unmöglich macht.
(Am Gymnasium meiner Kinder sind gerade wieder zwei jüngere Lehrer eingesetzt worden, denen ich dringend raten möchte, sofort nach einer anderen beruflichen Verwendung ihres Wissens außerhalb der Schule zu suchen. Ich kann es ihnen nicht raten, weil mir das nicht zusteht und mir die formale Kompetenz fehlt und sie würden meinen Rat auch nicht annehmen können, weil sie mit den Folgen des Eingeständnisses, den falschen Beruf gewählt zu haben, nicht leben könnten. Sie werden sich also einreihen in die unendliche Schar ungeeigneter Lehrer, unvermeidlich zu seelischen Krüppeln verkrümmen, werden unzufrieden mit sich und ihrem beruflichen Leben frustiert die Schuld an den Umständen, vornehmlich den Schülern, suchen und finden und die kommenden 35 Jahre als schlechte Lehrer Kindern die Freude an Schule, am Lernen, am gelehrten Fach versauen.)
Das heißt für mich: Die Verbreitung von LDL geht nicht wegen Schwächen der Methode viel zu langsam voran, sondern insbesondere wegen dem Mangel an befähigten und willigen Lehrern.
Ich habe Erfahrungen aus dem Verkauf.
Ein Unternehmen braucht nicht nur gute Produkte sondern auch gute Verkäufer. Die Verkäufer sind der Schlüssel. Aus dieser Erkenntnis gab es schon ganz früh - und das ist anhaltend so - unendliche Verkäuferschulungen.
Ich selbst habe meine Verkäufer oft auf die verschiedensten Verkauferseminare geschickt. Und meistens kamen sie begeistert wieder - und voller bester Vorsätze.
Wirkungsgrad a la longue nahe Null.
Warum?
Ganz einfach: Die talentierten hatten ohnehin Erfolg und die weniger oder untalentierten konnten sich zwar Tricks und Verhaltensweisen aneignen. Aber sie wirkten nicht. Weil immer das Angelernte durchblitzte und die angelernte Vorgehensweise zu Glaubwürdigkeitsdefiziten beim Kunden führte.
Hinzu kommt, dass der Veranstalter im Regelfall selbst ein brillianter Verkäufer war, der sein durch seine eigenen Erfolge bestätigtes eigenes Verhalten reflektiert und als Verkaufsmethode verpackt nachmachbar vermarktete.
Und als brillianter Verkaufer verkauft er seine eigene Methode derartig überzeugend, dass er alle Zuhörer mitreißt.
Vergessen wird dabei aber, dass seine Methode eben Spiegel seiner individuellen Verkäuferpersönlichkeit ist und was bei ihm Verkaufserfolge generiert, wirkt beim Geschulten meist mehr oder minder unglaubwürdig.
Zusammengefaßt heißt also die Frage in Bezug auf LDL: Was kann getan werden, um die Anzahl der Lehrpersonen mit Lehreignung zu erhöhen, um LDL die wünschenswerte Wirkung durch Verbreitung und gekonnte Anwendung zu verschaffen?
mico


jpm antwortete am 15.11.04 (05:32):

@Mico
Mit Ihrer brillanten Analyse bin ich einverstanden. Dennoch stellt sich die Frage, ob es möglich ist, so viele Lehrer zu rekrutieren, wie wir brauchen ("Massenberuf") und die gleichzeitig die von Ihnen gewünschten persönlichen Eigenschaften aufweisen. Dazu müsste der Lehrerberuf zu einem "Eliteberuf" mit scharfer Selektion werden. Die Gesellschaft ist aber nicht bereit, die entsprechenden finanziellen Ressourcen in die Bildung zu investieren. Aus meiner Sicht wird sich sowieso die Organisation der Schule und die Tätigkeit des Lehrers in den nächsten Jahrzehnten radikal verändern. Der Lehrer wird zusätzlich zu seinem Fachwissen vor allem Managementqualitäten aufweisen müssen. Er wird Schülergruppen wie Mitarbeitergruppen führen müssen, zum Teil virtuell per Internet, zum Teil in Meetings, wie ein Abteilungsleiter es inzwischen auch tut. Diese Form wird bereits in einigen Ländern praktiziert. Auf diese Weise arbeiten die Schüler vorwiegend in Projekten, sie bleiben öfter zu Hause, wo sie intensiver lernen können, und treffen sich ein oder zweimal in der Woche, um das Wissen gemeinsam aufzuarbeiten und neue Ziele zu setzen. Dadurch werden die Schul- und Unigebäude entlastet.


mico antwortete am 15.11.04 (11:27):

@jpm
Stimmt. Der Bedarf an Talent übersteigt das Angebot deutlich. Und die Befähigung ist pyramidenartig verteilt. Das gilt für Führungstalente, Verkaufstalente, Lehrtalente.
Die Wirtschaft hat Freiräume und Methoden, um das Defizit zu kompensieren: Wettbewerb um die Besten, inzwischen weltweiten Markt, ausgeklügelte Motivierungs-Systeme von der Vergütung über die Vergabe von Kompetenz-Spielräumen u.v.m., Ergebnisorientierung als ko-Merkmal verbunden mit der notwendigen Beweglichkeit im Falle der Nichteignung.
Das Militär kompensiert den Mangel an Führungstalent auf den jeweiligen Ebenen durch Achselklappen im Verbund mit Befehl und Gehorsam, verzichtet quasi auf das Talent, setzt auf befähigten Umgang mit der Technik. (Als ich als junger Mann meinen Wehrdienst ableitete und mich über den Lebensraum Bundeswehr ärgerte, fiel mir ein Buch in die Hände: Über die Dummheit. Hängen geblieben ist mir ein Satz: Das Militär ist ein System erdacht von Genies zur Handhabung durch Schwachköpfe.)
Der Schulbereich verfügt nicht über die Freiräume der Wirtschaft und Lehrer mussten Lernen, dass mit der Auflösung obrigkeitshöriger Ausrichtung der Bevölkerung das ‚militärnahe System’ des aus der Rolle und der Macht abgeleitete Respektes nicht mehr trägt. Der beklagte Ansehens-Verlust des Berufsstandes Lehrer ist initial darauf zurück zu führen, dass es nicht mehr genügt ein Studium mit Dr. xxx. abgeschlossen zu haben und den Titel Studienrat verliehen zu bekommen, um damit lebenslanges Ansehen bei Eltern und Schülern zu sichern. (Tennisplatzaufenthalte am Nachmittag, die Umdeutung der unterrichtsfreien Zeit in Urlaubszeit bei Verlagerung aller Fortbildungsmaßnahmen in die Schulzeit etc. sind lediglich Verstärker und Multiplikatoren bei der Verbreitung des Ansehensverlustes.)
Lebenslange Bewährung angesichts andauernder Konfrontation mit Schülern ist gefordert – extrem anstrengend zumal für den, der nicht Liebe für Kinder und Jugendliche, Leidenschaft und Talent für seinen Beruf mitbringt, sondern lediglich eine Handwerkstechnik gelernt hat.
Gehen wir also von Folgendem aus:
Der Bedarf an Talent kann bei diesem Massenberuf nicht in wünschenswerter Qualität gedeckt werden.
Ich bin auch sicher, dass sie meine Meinung teilen, dass die Zukunft jeder Gesellschaft, jeder Gruppe von ihrer Bereitschaft und Fähigkeit abhängt, die jeweils nächste Generation zu befähigen sich in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Gruppen und Gesellschaften ihre eigene zu sichern. Tat man das früher mit kriegerischen Mitteln sollten wir zumindest danach streben, es mit friedlichen zu tun.
Die Folgen:
Wir müssen den Lehrerberuf erstrebenswert machen.
Die Frage lautet also: Was könnte den für den Beruf talentierten Teil der Bevölkerung reizen, Lehrer zu werden? (Lehrer Minderjähriger zu sein fordert eine idealistische Grundhaltung. Jugendliche werden im Regelfall nicht das lernen wollen, was Erwachsene für lernenswert halten. Die natürliche Lernresistenz dagegen bleibt immanent - sie gilt es letztlich zu minimieren. Die Hinführung zum Lernen aus Eigeninteresse gepaart mit Übernahme der Eigenverantwortung ist eher Erziehungsaufgabe denn Fundament für den Lehrvorgang selbst. Die Motivation der für die Aufgabe des Lehrers darf nicht aus ‚Bematensicherheit’ und ‚Versogungsanspruch’ kommen – Existenzsicherheit, angemessene Vergütung, Erholungszeiten müssen selbstverständliche Voraussetzungen sein – sondern aus dem Angebot, die eigenen Fähigkeiten einer befriedigenden und anerkannten Lebensaufgabe einbringen zu können – bei einem hohen Maß an Eigenverantwortlichkeit und Gestaltungsfreiheit. Das heißt Zielvorgabe und Ergebnismessung mit beruflichen Konsequenzen - nicht Wegebeschreibung und Handlungsanweisungen müssen der Orientierungsrahmen für Lehrer werden.)
Wir müssen dann aus der Gesamtheit – Ziel: beginnend an der Spitze der Talentpyramide Richtung Fundament - die für den Lehrerberuf Talentiertesten herausfiltern.
Wir brauchen also Eignungs-Kriterien und aussagestarke Eignungstest. (Die Diskussionen halten sich gerne an der immerwährenden Frage nach den Bildungszielen auf. Natürlich muss ein gesellschaftlicher Konsens gefunden werden, welche gesellschaftlichen Werte begleitend zur fachlichen Wissensvermittlung vorgelebt und weitergegeben werden. Das ist aber eine fortwährend zu diskutierende Frage, denn das Ringen um den richtigen Weg in die Zukunft ist in einer offen Gesellschaft kann naturgemäß kein Ende haben. Die Diskussion über die zu vermittelnden Werte und die Frage, was eigentlich Bildung im jeweiligen Heute ist, bildet den Hintergrund zur Vorgabe der Lehrziele. Die notwendige Vermittlungs-Eignung von Lehrern bleibt davon unberührt.)
Wir müssen dann den so Herausgefilterten eine anforderungsgerechtes Ausbildungs- und Fortbildungs-System anbieten und zur Ausübung ihres Berufes die notwendigen materiellen Möglichkeiten zur Verfügung stellen, um so sicher zu stellen, dass nicht Rahmenbedingungen das Talent aushebeln. Das führt zu Frustration und erheblichen Effizienzverlusten.
Ich vermute, dass das alles nicht neu ist, sondern von klügeren, der Sache näher stehenden Menschen längst durchdacht und vielfach wortreich ausgesprochen und niedergeschrieben ist.
Mir scheint uns fehlt es auch hier nicht an Erkenntnis- sondern an Umsetzungskompetenz.
Möglicherweise muss der wirtschaftliche Misserfolg im inzwischen weltweiten Wettbewerb erst noch viel weiter reichen, und die Handlungsbeauftragten – Politik und Verwaltung - zwingen sich aufzuraffen und Erkenntnisse in Maßnahmen umzusetzen.
Es scheint so zu sein, dass Menschen nach dem Paradies streben, dass das Paradies aber kein Ort ist, menschliche Fähigkeiten zu stimulieren.
mico


jpm antwortete am 15.11.04 (11:53):

@mico
Sie werden mir verzeihen, wenn ich Ihren Text nicht kommentieren, denn ich würde nur Ihre Gedanken wiederholen. Ihr Analyse, das sagte ich schon, trifft aus meiner Sicht weitgehend zu. Aufgrund meines Alters würde ich vielleicht meine Kollegen etwas milder betrachten als Sie, schließlich ist man selbst nicht völlig frei von Schwächen!
Noch einige Bemerkungen:
"Ich vermute, dass das alles nicht neu ist, sondern von klügeren, der Sache näher stehenden Menschen längst durchdacht und vielfach wortreich ausgesprochen und niedergeschrieben ist."
- Nein, Ihre Gedanken sind in vielen Punkten neu. Aber das bedeutet nicht, dass eine breite Zuhörerschaft auf Sie wartet. Im Gegenteil, es ist immer sehr mühsam, Aufmerksamkeit für Neues zu erhalten.
"Mir scheint uns fehlt es auch hier nicht an Erkenntnis- sondern an Umsetzungskompetenz."
- Ja, Sie haben recht. Vor allem geht es hier nicht um die Vermittlung von Wissen sondern von Haltungen: allein die von mir propagierte "Ressourcenorientierung", dass man also Schüler und Studenten vor allem als Angebot an Energie und Neugier betrachtet und sich freut, wenn man viele Schüler und Studenten zu unterrichten hat, ist keine verbreitete Haltung.
"Es scheint so zu sein, dass Menschen nach dem Paradies streben, dass das Paradies aber kein Ort ist, menschliche Fähigkeiten zu stimulieren."
- Richtig. Die Hölle ist allerdings auch nicht der richtige Ort dazu. Eine Mischung den Schülern und Studenten anzubieten ist eine hohe Kunst, die man - wenn überhaupt - erst im Alter beherrscht...























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