Texte & Bilder

CAPUT I: Das alte Entsagungslied ...

Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
gerühret von ihrem Spiele.

Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopfrung und Wiederfinden,
Dort drüben, in jener besseren Welt,
Wo alle Leiden schwinden.

Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt,
verklärt in ewigen Wonnen.

Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

.. und das neue Lied

    Ein neues Lied, ein besseres Lied,
    O Freunde, will ich euch dichten!
    Wir wollen hier auf Erden schon
    Das Himmelreich errichten.

    Wir wollen auf Erden glücklich sein,
    Und wollen nicht mehr darben;
    Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
    Was fleißige Hände erwarben.

    Es wächst hienieden Brot genug
    Für alle Menschenkinder,
    Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
    Und Zuckererbsen nicht minder.

    Ja, Zuckererbsen für jedermann,
    Sobald die Schoten platzen!
    Den Himmel überlassen wir
    Den Engeln und den Spatzen.
Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
Die seligsten Torten und Kuchen.

Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.

Die Jungfer Europa ist verlobt
Mit dem schönen Geniusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse.

Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
Die Ehe wird gültig nicht minder -
Es lebe Bräutigam und Braut,
Und ihre zukünftigen Kinder!

CAPUT III: Die Pointe - Die Spitze


Kaiser Wilhelm II. mit Pickelhaube
(Quelle: commons.wikimedia.org)

Nicht übel gefiel mir das neue Kostüm
Der Reuter, das muß ich loben,
Besonders die Pickelhaube, den Helm,
Mit der stählernen Spitze nach oben. (...)

Das mahnt an das Mittelalter so schön,
An Edelknechte und Knappen,
Die in dem Herzen getragen die Treu,
Und auf dem Hintern ein Wappen.

Das mahnt an Kreuzzug und Turnei,
An Minne und frommes Dienen,
An die ungedruckte Glaubenszeit,
Wo noch keine Zeitung erschienen.

Ja, ja, der Helm gefällt mir, er zeugt
Vom allerhöchsten Witze!
Ein königlicher Einfall wars!
Es fehlt nicht die Pointe, die Spitze.

Nur fürchte ich, wenn ein Gewitter entsteht,
Zieht leicht so eine Spitze
Herab auf Euer romantisches Haupt
Des Himmels modernste Blitze!

[Auch wenn es Krieg gibt müßt Ihr Euch
Viel leichteres Kopfzeug kaufen!
Des Mittealters schwerer Helm
Könnt Euch genieren im Laufen.]

[Nur in der französischen Fassung]

CAPUT IV: Der Dom von Cöllen

dombaufest 1848

Das Kölner Dombaufest am 18. August 1848

"...die Vollendung des Kölner Domes, als "Denkmal deutscher Einheit" 1842 in Angriff genommen, wird von allen Seiten begrüßt und aktiv unterstützt" (Quelle: Fragen an die deutsche Geschichte, Historische Ausstellung im Reichstagsgebäude in Berlin, 1984, Katalog, II/50)

Doch siehe dort im Mondenschein
Den kolossalen Gesellen!
Er ragt verteufelt schwarz empor,
Das ist der Dom von Cöllen. (...)

Er ward nicht vollendet - und das ist gut.
Denn eben die Nichtvollendung
Macht ihn zum Denkmal von Deutschlands Kraft
Und protestantischer Sendung.

Ihr armen Schelmen vom Domverein,
Ihr wollt mit schwachen Händen
Fortsetzen das unterbrochene Werk
Und die alte Zwingburg vollenden!

O törichter Wahn! Vergebens wird
geschüttelt der Klingelbeutel,
Gebettelt bei Ketzern und Juden sogar;
Ist alles fruchtlos und eitel.

Vergebens wird der große Franz Liszt
Zum Besten des Doms musizieren,
Und eine talentvoller König wird
Vergebens deklamieren!

Er wird nicht vollendet, der Cölner Dom,
Obgleich die Narren in Schwaben
Zu seinem Fortbau ein ganzes Schiff
Voll Steine gesendet haben.

Caput IV: Die Heiligen Drei Könige

Die Heilige Allianz
Die Heilige Allianz: Friedrich Wilhelm III. von Preußen, Franz I. von Österreich und Zar Alexander I. schließen 1815 ein innen- und außenpolitisches Bündnis, das ihre drei Staaten zu „Gliedern ein und derselben christlichen Nation” machen sollte. Während der Befreiungskriege versprachen Preußen und Österreich ihren Bürgern Verfassungen zu geben.

Folgt meinem Rat und steckt sie hinein
In jene drei Körbe von Eisen,
Die hoch zu Münster hängen am Turm,
Der Sankt Lamberti geheißen. (...)

Zur Rechten soll Herr Balthasar,
Zur Linken Herr Melchior schweben,
In der Mitte Herr Gaspar - Gott weiß wie einst
Die drei gehaust im Leben!

Die heilige Allianz des Morgendlands,
Die jetzt kanonisieret,
Sie hat vielleicht nicht immer schön
Und fromm sich aufgeführet.

Der Balthasar und der Melchior,
Das waren vielleicht zwei Gäuche,
Die in der Not eine Konstitution
Versprochen ihrem Reiche,

Und später nicht Wort gehalten - Es hat
Herr Gaspar, der König der Mohren,
Vielleicht mit schwarzem Undank sogar
Belohnt sein Volk, die Toren!

CAPUT XIV-XVII: Der Kyffhäuser-Komplex


Das Kyffhäuser-Nationaldenkmal in Nordthüringen,
81 Meter hoch, eingeweiht im Jahre 1896
(Quelle: commons.wikimedia.org)

Das HEILIGE RÖMISCHE REICH DEUTSCHER NATION

Ein immer wiederkehrendes Wunschbild deutscher Machtpolitik
- im Mittelalter die Verbindung der deutschen, italienischen und burgundischen Königreiche unter einer deutschen Kaiserkrone vereinigt
- durch die Jahrhunderte hinweg eine Idee, die den Machtanspruch der deutschen Krone auf Alleinherrschaft (Hegemonialanspruch) in Europa ideell rechtfertigen sollte.

  • 1. REICH: gegründet 962 durch Otto den Großen als Restauration des Römischen Reiches, nachdem dieses bereits seit 500 Jahren verfallen war. Der letzte Höhepunkt deutscher Macht war die Stauffer-Herrschaft unter Friedrich II. (12.13.Jhdt). Das endgültige Ende des 1. Reiches war durch Napoleons Neugliederung Europas besiegelt.
  • 2. REICH: gegründet 1871 in Versailles, nachdem schon das Parlament in der Paulskirche1848 die Restauration des Reiches gefordert hatte. Das 2. Reich endete mit der erzwungenen Abdankung des Kaisers nach der Revolution im November 1918.
  • III. REICH: 1933-1945
Heines Behandlung der Barbarossa-Sage: Ein Mini-Drama in drei Akten

Caput XIV: Exposition

Die Einführung der Sage als Volksglauben und Märchen ( Des Knaben Wunderhorn / Brüder Grimm) → „Ammenmärchen”

Caput XV/XVI: Krise

Begegnung mit dem Kaiser im Traum - dramatische Zuspitzung und
Entlarvung der Sagengestalt als → unbelehrbares, unzeitgemäßes Fabelwesen

Caput XVII: Auflösung

Nachruf und Pointe: Bitte um Wiederkehr und Erlösung von den schlechten deutschen Verhältnissen (→ ironische Verkehrung)

Motive

  • Liebe zum Volksgut als lebendigem Volksbewusstsein
  • Ambivalenz von Aberglaube und Aufgeklärtheit
  • satirisch-spöttische Distanzierung vom Kyffhäuser-Mythos
  • offener Widerspruch zur Barbarossa-Ideologie
  • Gegenwartskritik getarnt als Kaiserlob: Das Mittelalter als kleineres Übel!


Zwei patriotische Gedichte

Emanuel Geibel: Friedrich Rothbart (um 1837)
    Tief im Schooße des Kyffhäusers
    Bei der Ampel rothem Schein
    Sitzt der alte Kaiser Friedrich
    An dem Tisch von Marmorstein.

    Ihn umwallt der Purpurmantel,
    Ihn umfängt der Rüstung Pracht,
    Doch auf seinen Augenwimpern
    Liegt des Schlafes tiefe Nacht.

    Vorgesunken ruht das Antlitz,
    Drin sich Ernst und Milde paart;
    Durch den Marmortisch gewachsen
    Ist sein langer, goldner Bart.

    Rings wie eh'rne Bilder
    stehen Seine Ritter um ihn her,
    Harnischglänzend, schwertumgürtet,
    Aber tief im Schlaf, wie er.

    Heinrich auch, der Ofterdinger,
    Ist in ihrer stummen Schaar,
    Mit den liederreichen Lippen,
    Mit dem blondgelockten Haar.

Seine Harfe ruht dem Sänger
In der Linken ohne Klang;
Doch auf seiner hohen Stirne
Schläft ein künftiger Gesang.

Alles schweigt, nur hin und wieder
Fällt ein Tropfen vom Gestein,
Bis der große Morgen plötzlich
Bricht mit Feuersglut herein;

Bis der Adler stolzen Fluges
Um des Berges Gipfel zieht,
Daß vor seines Fittichs Rauschen
Dort der Rabenschwarm entflieht.

Aber dann wie ferner Donner
Rollt es durch den Berg herauf,
Und der Kaiser greift zum Schwerte,
Und die Ritter wachen auf.

Laut in seinen Angeln dröhnend
Thut sich auf das eh'rne Tor;
Barbarossa mit den Seinen
Steigt im Waffenschmuck empor.

Auf dem Helm trägt er die Krone
Und den Sieg in seiner Hand;
Schwerter blitzen, Harfen klingen,
Wo er schreitet durch das Land.

Und dem alten Kaiser beugen
Sich die Völker allzugleich
Und aufs Neu zu Aachen gründet
Er das heil'ge deutsche Reich.


Quelle: K.-H.Fingerhut (Hg.), H.Heine: Deutschland - Ein Wintermärchen, Diesterweg 1980 S. 101f

Niklas Becker: Der deutsche Rhein (1840)
    Sie sollen ihn nicht haben,
    Den freien deutschen Rhein,
    Ob sie wie gierge Raben
    Sich heiser darnach schrein,

    So lang er ruhig wallend
    Sein grünes Kleid noch trägt,
    So lang ein Ruder schallend
    In seine Woge schlägt!

    Sie sollen ihn nicht haben,
    Den freien deutschen Rhein,
    So lang sich Herzen laben
    An seinem Feuerwein,

    So lang in seinem Strome
    Noch fest die Felsen stehn,
    So lang sich hohe Dome
    In seinem Spiegel sehn!

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
So lang dort kühne Knaben
Um schlanke Dirnen frein,

So lang die Flosse hebet
Ein Fisch auf seinem Grund,
So lang ein Lied noch lebet
In seiner Sänger Mund!

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Bis seine Flut begraben
Des letzten Manns Gebein!

Quelle: K.-H.Fingerhut (Hg.),
H.Heine: Deutschland - Ein Wintermärchen, Diesterweg 1980 S.94/5

(cc) Klaus Dautel

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