Friedrich von Hardenberg
1772-1801

* 1772 geboren auf dem Familiengut der verarmten v. Hardenbergs im Mansfeldischen (Kursachsen), als ältestes Kind von insgesamt 11, von denen zehn noch vor der Mutter starben, zumeist an Lungentuberkulose. So waren Tod und Sterben im Haushalt Hardenberg mehr als anderswo eine ständige Erfahrung.
Die Erziehung erfolgte durch Hofmeister. Der Vater, ein pietistisch strenggläubiger Mann, wird dann zum Kurfürstlichen Salinendirektor ernannt, die Familie zieht in die Verwaltungsstadt Weißenfels.

1790 beginnt Friedrich v.H. ein Studium der Jurisprudenz in Jena; mit Vorliebe hört er Vorlesungen des Geschichtsprofessors Friedrich Schiller. Ab 1791 dann ein zusätzliches Studium der Mathematik und Philosophie in Leipzig, wo er andere, später tonangebende Romantiker kennenlernt (F.Schlegel); das juristische Staatsexamen legt er in Wittenberg ab.

Ab 1794 Arbeit als Aktuarius in Thüringen; auf einer seiner Dienstreisen verliebt er sich binnen einer "Viertelstunde" in die knapp 13-jährige Sophie von Kühn, mit der er sich im

März 1795 inoffiziell verlobt. Nach einem Zusatzstudium der Chemie und Salzwerkkunde wird er sächsischer Salinenbeamter.

Im März 1797 stirbt Sophie von Kühn nach eineinhalbjähriger Krankheit, nach vergeblichen Operationen und Aderlass-Kuren an Lungentuberkulose.

Damit beginnt Hardenbergs dichterische Laufbahn: Der Tod und dessen Überwindung wird zu einem Hauptmotiv seiner Dichtung, er will seiner Geliebten durch freie Willenskraft” in den Tod nachfolgen, sieht in diesem Tod den Beweis für echte Liebe und Treue.

1798 veröffentlicht er unter dem Namen Novalis, der Neuland Bestellende, die Fragmenten-Sammlung Blütenstaub” in der von Freund A.W.Schlegel herausgegebenen Zeitschrift Athenäum”. 1800 erscheinen dort auch die Hymnen an die Nacht”, sechs zum Teil sehr freie Stücke, deren Thema der Tod und seine Überwindung ist. Die Hymnen” sind Novalis` einziges abgeschlossenes dichterisches Werk.

Dennoch ist Hardenberg nicht nur der todessehnsüchtig-empfindsame Jüngling und Träumer, wie es aus den Hymnen erscheinen mag. In diesen Jahren beschäftigt er sich auch intensiv mit den exakten Wissenschaften (Geologische Studien), setzt sein Studium an der Bergakademie in Freiberg fort, bewirbt sich erfolgreich für eine Anstellung als Amtshauptmann in Thüringen und verlobt sich mit Julie von Charpentier, wieder eine verarmte Adlige. Zu einer Hochzeit kommt es aber nicht mehr, da Hardenberg im März 1801 an einer Lungenkrankheit stirbt.

Zu Novalis nachgelassenem Werk gehört neben Gedichten auch der unvollendete Roman "Heinrich von Ofterdingen” und das ebenfalls unvollendete Prosawerk "Die Lehrlinge zu Sais”. Außerdem verfasste er politische Schriften, z.B. einen Aufsatz mit dem Titel "Die Christenheit oder Europa”. Daraus:

"Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo EINE Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte; EIN großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provincen dieses weiten geistlichen Reiches. Ohne große weltliche Besitztümer lenkte und vereinigte EIN Oberhaupt die großen politischen Kräfte... Kindliches Zutrauen ... eine sichere Zukunft ... Friede ... Liebe ... Das waren die schönen wesentlichen Züge der echt katholischen oder echt christlichen Zeiten. Noch war die Menschheit für dieses herrliche Reich nicht reif, nicht gebildet genug. Es war eine erste Liebe, die im Drucke des Geschäftslebens entschlummerte..." (Novalis Werke S.499-501)

Heinrich von Ofterdingen und die blaue Blume der Romantik:
"Im 1802 erschienenen Romanfragment «Heinrich von Ofterdingen» träumt der junge Heinrich von Ofterdingen, «von Natur zum Dichter geboren», von einer blauen Blume, sie wächst in einem Garten, zwischen blauen Felsen, an einer blauen Quelle. Mit Erstaunen sieht er, wie sich die Blume verwandelt: In den Blütenblättern erscheint das zarte Gesicht eines Mädchens... hier endet der Traum abrupt, denn Heinrich wird von seiner Mutter geweckt. Aber der unvollendete Traum verfolgt Heinrich, es treibt ihn fort von zu Hause, mit dem Geist der Poesie will er die Welt entdecken. In der Fremde begegnet er Mathilde, und er fragt sich: «Ist mir nicht zumute wie in jenem Traume, beim Anblick der blauen Blume? Welcher sonderbare Zusammenhang ist zwischen Mathilden und dieser Blume? Jenes Gesicht, das aus dem Kelche sich mir entgegenneigte, es war Mathildens himmlisches Gesicht. . . » Heinrich erkennt, es war Mathilde, nach der er sich sehnte, die er immer gesucht hat. «Welche Ewigkeit von Treue fühle ich in mir! » ruft er aus. Doch bald stirbt Mathilde. Aber sogar der Tod kann die Liebenden nicht mehr trennen.
Novalis' farbenschillernder Roman handelt von der Sehnsucht nach einem Lebenssinn, der aus mystischer Erkenntnis entsteht und auch den Tod überwindet. Noch heute ist die Sehnsucht blau, denn wie die Treue ist sie mit der Ferne verwandt.“
(Aus: Eva Heller, Wie Farben wirken, Farbpsychologie usw. Rowohlt 1989 S. 21)

Hymnen an die Nacht

Novalis' einziges, in sich abgeschlossenes Werk, veröffentlicht 1800 in der von den Brüderns Schlegel herausgegebenen Programmzeitschrift der Frühromantik, dem "Athenäum".

Es enthält die wesentlichen Gedanken seiner romantischen Religiösität und seines Weltbildes und geht zurück auf einen Besuch, den Hardenberg im Mai 1797 dem Grab seiner Braut Sophie abstattete. In sein Tagebuch schrieb er damals:

"Abends gieng ich zu Sophieen. Dort war ich unbeschreiblich freudig - aufblitzende Enthusiasmus Momente - das Grab blies ich wie Staub, vor mir hin - Jahrhunderte waren wie Momente - ihre Nähe war fühlbar - ich glaubte sie solle immer vortreten -“.
Anklänge daran finden sich in der 3. Hymne, die auch - im Gegensatz zu den anderen fünf Hymnen - im Präteritum verfasst ist.

Form und Sprache: Eine HYMNE ist ein Preisgesang: Das lyrische Ich rühmt einen Gegenstand, dessen Bedeutung und wichtige Eigenschaften er in einem begeisterten (=pathetischen) Sprachgestus hervorhebt. Die hymnische Sprache kann getragen sein vom Überschwang der Gefühle und sich dabei von Formzwängen (Reim/Metrum/Strophenbau) völlig frei machen. Im Vergleich dazu verlangt die ODE, ebenfalls ein feierliches Lobgedicht, eine strengere Einhaltung metrischer Formen (vgl. Hölderlins Oden). Novalis hat die Hymnen zunächst in Versform verfasst und sich dann für ein wie Prosa erscheinendes Druckbild entschieden; eine Ausnahme bildet die 6. Hymne.

Thematik und Aufbau: Das Thema der Hymnen ist die Überwindung des Todes. Durch die Erkenntnis vom Vorhandensein eines höhern Raums“, einer transzendentalen Sphäre erscheint der Tod nicht mehr als das schreckeneregende Ende, sondern als Beginn eines höheren Daseins. Für diese höhere Sphäre wählt Novalis das dichterische Bild der Nacht.

Die 1. Hymne macht die dialektische Zusammengehörigkeit, das aufeinander Angewiesensein von Licht und Nacht, von Leben und Tod deutlich: Die Nacht unterliegt nicht den Begrenzungen der irdischen Natur“ und eröffnet so eine heilige Welt“. Diese Erkenntnis/ Offenbarung wird dem Dichter durch die grenzüberschreitende Liebe zu seiner verstorbenen Braut zuteil.

Die 2. Hymne stellt die Enttäuschung des nach solcher Vision Erwachenden dar. Wie kann nun - so stellt sich die Frage - derjernige, der gerade die heilige Nacht entdeckt hat - mit dieser auch am Tage kommunizieren? Im Rausch? In Drogen ... oder wie? Solche Brücken können nur vorübergehend geschlagen werden. Gibt es andere, tragendere Brücken zwischen diesen beiden Reichen?

In der 3. Hymne wird Bezug genommen auf das Erlebnis am Grabe Sophies. Durch die Vision am Grabe erfährt das lyrische Ich eine Art Neugeburt, durch die er zum Bürger beider Welten wird.

Die 4. Hymne verdeutlicht, wie dies zu verstehen ist: Der Dichter wird nun zum Künder dieser Verbindung zwischen der irdischen Welt des Lichts und dem höheren Reich der Nacht. Die Integration beider Welten sieht nicht so aus, dass dem Leben der Tod entgegengestellt wird, sondern dass die Tagwelt durch das Wissen um die Nachtwelt mit Liebe (ge)heiligt“ wird.

Die 5. Hymne überträgt diesen Erweckungsprozess auf die ganze Menschheit: Der Mensch bedurfte schon immer eines Mittlers zu aller religiöser Erfahrung. Was dem Dichter die Geliebte war, das ist Christus für die Menschheit: Die Synthese aus der Antike mit ihrem kindhaft-naiven Götterglauben einerseits und der nüchtern-modernen, gottlosen Aufgeklärtheit andererseits. Erst durch Christus ist der Widerspruch von Tod und Liebe aufgehoben, der Tod verliert seinen Schrecken und kann als Stufe zu einem höheren Dasein, dem Reich der Liebe“ empfunden werden.

In der 6. Hymne ist dann die Sehnsucht nach dem Tode nicht als Weltflucht zu verstehen, sondern als dichterisches Bild für eine Transzendenzerfahrung, die dem Menschen als dem "irrenden Fremdling“ eine "neue Heimat“ gibt.

Quelle: Novalis Schriften in 3 Bänden, hrsg. von H.-J.Mähl/R.Samuel, Darmstadt 1999, Band 3 S. 67 ff

(cc) Klaus Dautel

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