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Willensfreiheit und Neurobiologie

 

Karl-Friedrich Fischbach (Vorlesung von 1986, http://www.zum.de/ki/Willensfreiheit.htm)

 

" Die Freiheit eines Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will."  Jean Jacques Rousseau

 

"Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wollen, was wir tun". Wolfgang Prinz

Problemstellung

 

In diesem Text soll versucht werden, das offensichtlich von vielen gesehene Spannungsverhältnis zwischen den Erkenntnissen der modernen Biologie und dem freien Willen des Menschen aufzulösen. Sind wir - wie z.B. das Titelbild auf dem Buch von Richard Dawkin's "Das egoistische Gen" suggerieren will - nur die Marionetten unserer Gene? Auch manche Berichte über Eineiige Zwillinge scheinen dies nahelegen zu wollen. Ist das Gefühl der "Freiheit unseres Handelns" nur ein grandioser Selbstbetrug?

 

Eine sinnvolle Behandlung dieses Themas setzt ein Verständnis des Begriffs der Willensfreiheit voraus. Beginnen wir mit der allgemein akzeptierten umgangssprachlichen Definition: 

 

Umgangssprachliche Definition von Willensfreiheit 

 

Wenn wir uns frei fühlen, bestimmen wir uns selbst und unterliegen keinen äußeren Zwängen oder überstarken inneren Antrieben. Martin Heisenberg charakterisiert das z.B. so: "Freiheit ist ein objektiver Zustand von Organismen ... Er ist dadurch charakterisiert, daß dem Organismus eine «hinreichende» Anzahl von Verhaltensoptionen mit «hinreichend» positiver Erwartung für ihre Folgen offensteht". "Verhaltensmöglichkeiten mit eindeutig negativen Folgen vergrößern die Freiheit nicht".

Diese umgangssprachliche Definition der Willensfreiheit wird m.E. bei der philosophischen Diskussion nicht ernst genommen. Dies liegt an dem Jahrhunderte alten Mißverständnis, daß für uns letzlich auch die Naturgesetzlichkeit des eigenen Denkens einen Zwang darstellen würde. Es liegt mir daran deutlich zu machen, daß die Frage nach der Gültigkeit des Kausalitätsprinzips ganz allgemein nicht im Widerspruch zu der subjektiven Realität unserer Willensfreiheit steht. Spezieller bedeutet das auch, daß unsere Freiheit durch genetisch implantierte, elementare Lebensziele nicht eingeschränkt wird. Um diesen meinen Standpunkt zu erläutern, werde ich folgendermaßen vorgehen: 

 

Erläuterungen zur Gliederung

 

1. Ich werde einen kurzen historischen Abriß der Diskussion über die Willensfreiheit und das Kausalitätsprinzip geben.

2. Dann möchte ich mit eigenen Worten versuchen, deutlich zu machen, daß die Willensfreiheit ein Phänomen höherer Programmierstufe ist, die die Kausalität auch der Lebensprozesse voraussetzt, und keinesfalls mit ihr in Konflikt gerät.

3. Schließlich werde ich  auf die Möglichkeit verweisen, willensfreie Maschinen zu konstruieren. Ich hoffe damit, den Dawkin'schen Satz "Wir sind Überlebensmaschinen - Roboter, blind programmiert zur Erhaltung der selbstsüchtigen Moleküle, die Gene genannt werden" gleich in mehrfacher Hinsicht hinterfragen zu können. 

 

Das mechanistische Weltbild im Konflikt mit der Willensfreiheit?

 

Im 18. Jahrhundert faßte Laplace in eindrucksvoller Weise das damalige mechanistische Weltbild durch seine Schöpfung des Laplaceschen Dämons zusammen: "Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge seines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiß, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen...". Auf den Menschen angewandt bedeutet dieses mechanistische Weltbild, falls zum Zeitpunkt t0 der Zustand eines Menschen und seiner Umwelt bis ins letzte Detail bekannt wäre, könnte der Laplacesche Dämon dessen Verhalten in der Zukunft exakt vorausberechnen. Der Zeitgenosse von Laplace, Immanuel Kant, war auch der Meinung, alles Geschehen setze Ursachen voraus, worauf es nach einer Regel folge. Er schloß außerdem, wenn der menschliche Wille frei sei, dann müsse er diesem kausalen Geschehen entrückt sein. Um den Willen frei zu halten, konstruierte Kant daraufhin einen "unaufhebbaren" Dualismus zwischen Sein und Sollen. Seiner Meinung nach ist das Wesen des Menschen zerissen in 'Phaenomenon' und 'Noumenon' ( in die Welt der physikalischen Wirklichkeit und in die des Denkens). "Diese Aufspaltung wird notwendig, will man - wie Kant sagt - die Freiheit irgend 'retten'". "Um den Menschen an der Freiheit teilhaben zu lassen, muß Kant das noumenale Subjekt aus dem Zeitfluß herausheben in die Sphäre des unverrückbaren, reinen Intelligiblen". Kant denkt den Menschen im Noumenal-Überzeitlichen "frei", wie im Phänomenal-Sinnlichen als dem Zwang der Naturgesetze unterworfen. Kant selbst sah, daß sich bei diesem gedanklichen Konstrukt doch große Schwierigkeiten  'hervorthun'. Adorno hat dieses Streben Kants, die Freiheit zu retten, kritisiert als "Konstruiert wird dem zuliebe, was zu beweisen sei".

Ich selber kann mit einer dualistischen Theorie wenig anfangen und sehe den Denkfehler schon darin, die Willensfreiheit in Gegensatz zur Kausalität zu setzen. Doch hierzu später mehr.

 

Ein Gedanke von Immanual Kant zur Willensfreiheit verdient noch der Erwähnung: Obwohl er den menschlichen Willen einerseits von der Kausalität der phänomenologischen Welt ablösen wollte, war er sehr dafür den freien Willen durch gesellschaftliche Zwänge einzuengen. Bekannt ist sein kategorischer Imperativ: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie allgemeines Gesetz werde". Doch Kant geht noch wesentlich weiter, er behauptet : "Je weniger der Mensch physisch, je mehr er dagegen moralisch (durch die bloße Vorstellung der Pflicht) kann gezwungen werden, desto freier ist er". Dies zeigt nach Rastetter: "Die freie, bewußte Unterwerfung des Willens unter das Gesetz der Vernunft macht deutlich, wie sehr das moralische Subjekt gesellschaftlichen Zwang bereits verinnerlicht hatte".  

 

Zurück zur Frage: Ist das Kausalgesetz ein Gegenspieler der Willensfreiheit?

 

Der logische Gegensatz zur Gesetzlichkeit ist die Zufälligkeit und so ist es nicht verwunderlich, daß die Entwicklung der Quantenmechanik und die Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation einen großen Einfluß auf die Diskussion der Frage der Willensfreiheit genommen hat. Bis heute wird hier kontrovers diskutiert, z.B.:

 

Hassenstein: "Der Zufall ist aber ein Gegenspieler der Willensfreiheit“

 

Martin Heisenberg im Sinne Kants: "Für eine freie Entscheidung kann es keine empirische Ursache geben, denn sonst wäre die Entscheidung nicht frei". "Selbstbestimmung als Gegensatz zu Fremdbestimmung muß notwendigerweise ein Element des Zufalls enthalten, weil es zur Determination keine Alternative  als den Zufall gibt".

 

Bevor ich meine eigene Meinung zu dieser Kontroverse äußere, möchte ich die Heisenbergsche Unschärferelation rekapitulieren:


Die Heisenbergsche Unschärferelation und die Lockerung des Kausalgesetzes

 

Werner Heisenberg hat 1927 seine berühmteste Formel aufgestellt:

 

                                       ∆x•∆p ≥ h

 

                  x       = Ortskoordinate eines Massepunktes

                  ∆x     = Unsicherheit der Ortsmessung

                  p       = Impuls des Massepunktes

                  ∆p     = Unsicherheit der Impulsmessung

                  h       = Plancksche Wirkungsquantum

 

Die Formel besagt, daß eine genaue Ortsbestimmung z.B. eines Elektrons nur möglich ist, wenn auf eine gleichzeitige Bestimmung seines Impulses verzichtet wird, und umgekehrt. Dies hat seine tiefere Ursache in dem Tatbestand, daß jede Messung eine Wechselwirkung zwischen Meßgerät und Meßobjekt beinhaltet. Wenn das Meßobjekte so klein wird, daß es einzelne Energiequanten, die mit ihm zwecks Messung in Wechselwirkung treten, stark beeinflussen, dann ist ganz allgemein keine gleichzeitige exakte Messung komplementärer Zustandsgrößen mehr möglich. Komplementäre Zustandsgrößen sind alle solche Zustandsgrößenpaare, deren Produkt die Dimension einer Wirkung hat (g•cm2/sec), also Ort und Impuls, Zeit und Energie etc.

Die Heisenbergsche Unschärferelation bedeutet, daß das Kausalitätsprinzip im atomaren Bereich experimentell nicht überprüft werden kann. Damit ist die Allgemeingültigkeit der Kausalität prinzipiell unbeweisbar. Die positivistische Ausdeutung dieses Ergebnisses - auch bekannt geworden als die 'Kopenhagener Deutung' - sieht damit die Allgemeingültigkeit des Kausalitätsprinzips als widerlegt an.

Als anschaulichstes Beispiel für ein akausales Geschehen gilt der atomare Zerfall. Die Halbwertszeit für Radium beträgt 1622 Jahre. Mit dem Zerfallsgesetz

 

                                    N = N0•e-kt       mit k = ln2/1622

 

kann berechnet werden, wann x% der anfänglich vorhandenen Atome (N0) zerfallen sind. Das Zerfallsgesetz beinhaltet eine konstante Zerfallswahrscheinlich pro Atom. Der Zerfall ist also kein Ergebnis eines Alterungsprozesses, die Wahrscheinlichkeit nimmt mit dem Alter des Atoms nicht zu. Der Zerfall geschieht deshalb offenbar spontan, ohne erkennbare Ursache. Die meisten Physiker glauben, daß innere Ursachen für den Zerfall nicht existent sind.


Vom Scheitern der Versuche die Willensfreiheit auf akausale atomare Abläufe zurückzuführenn

 

 

Wir haben gesehen, daß Immanuel Kant zwischen dem Kausalgesetzes und der menschlichen Willensfreiheit einen Widerspruch sah. Er bemühte sich deshalb in einer dualistischen Sicht der Dinge, den menschlichen Willen aus der Welt der Phänomene herauszulösen. Es darf deshalb nicht verwundern, daß viele Philosophen und auch Physiker, in der Heisenbergschen Unschärferelation ihre Erlösung sahen. Es hat direkte Versuche gegeben, unseren freien Willen auf atomare Zufallsprozesse zurückzuführen. Der bekannteste Verfechter dieser Vorstellungen ist der Physiker Pascal Jordan. Er entwickelte eine sogenannte Verstärkertheorie der Organismen. Demnach sollten die "Lebenszentren" nicht makrophysikalischer Kausalität unterworfen sein, sondern in der "Zone mikrophysikalischer Freiheit" liegen. "Einzelne Quantensprünge bestimmter einzelner Moleküle der Zelle steuern entscheidend ihre gesamten Lebensfunktionen". "Ein Organismus wird nach dieser Theorie im Einzelfall akausal reagieren...". Jordan sieht offensichtlich im "akausal reagieren" den Kern der Willensfreiheit. Sein Satz "'L'homme machine', diese Behauptung ist schlichtweg unrichtig" ist für uns gleich im doppelten Sinne irreführend.

Aus heutiger Sicht kommen uns die Jordanschen Vorstellungen seltsam und absurd vor. Entsprechend sind sie von Biologen mit beißendem Spott zerflückt worden. Überzeugend ist die Lektüre von Bünning und Hassenstein.

Bünning stellt z.B. richtig: "Wenn schon von einer 'wesentlichen' Seite des Organismus gesprochen werden soll, so müssen wir sie im Nichtzutreffen der Jordanschen These sehen ...". Damit bringt er zum Ausdruck, daß biologische Systeme nur funktionieren können, wenn sie den Zufall möglichst ausschalten. Das soll nicht bedeuten, daß der Zufall in der Biologie keine Rolle spielt. Bünning verweist z.B. auf die Mutationen, die durchaus im Einzelfall als akausale Vorgänge auf atomarem Niveau gedacht werden können. Aber, so sagt Bünning sinngemäß, führt eine bestimmte Mutation nicht sehr zuverlässig in allen Trägern zum gleichen Phänotyp? Die Tatsache, daß die Organismen z.T. zufälligen Außenbedingungen wie gequantelter Strahlung etc. ausgesetzt sind, bedeutet doch nicht, daß die Reaktionen der Organismen hierauf zufällig sind.

Wollen wir unsere Entscheidungen wirklich durch atomaren Zerfall verursachen lassen? Wie absurd das wäre, sollte jedem klar sein. Technisch ist es z.B. durchaus möglich, den Zerfall eines Atoms zu verstärken und als Lichtblitz auf einem Monitor erscheinen zu lassen. Es wäre möglich, den Monitor in Sektoren zu unterteilen und das Aufblitzen eines bestimmten Sektors an eine Handlungsvorschrift zu koppeln. Erreicht hätten wir dann nur die Situation, die wir uns manchmal freiwillig durch das Werfen einer Münze bescheren. Wenn wir mal zwischen gleichgewichtigen Handlungsmöglichkeiten keine Entscheidung treffen können, lassen wir den Zufall zu Wort kommen. Je bedeutsamer die Handlungsfolgen für uns sein werden, umso weniger sind wir jedoch geneigt, eine Münze zu werfen. Besonders wenn wir verantwortlich handeln wollen, versuchen wir den Zufall auszuschalten.

 

Hassenstein sagt es deutlich: "Der Zufall ist aber ein Gegenspieler der Willensfreiheit" ."Freiheit bedeutet, daß man denken kann, was man selbst will. Unfreiheit, wenn sich dem Bewußtsein bestimmte Inhalte aufdrängen;  und daran ändert sich nichts, wenn die sich aufdrängenden Gedanken  zufällig sind". 

"Hiermit ist auch auf einer höheren menschlichen Ebene deutlich geworden,  daß die Vorstellung von der Zufallsbestimmtheit des Menschen kein tragendes  Konzept darstellt und als Kern der menschlichen Entscheidungsfreiheit nicht  in Frage kommt."

 

Wenn aber die Bindung der Willensfreiheit an Akausalität nur zu absurden Feststellungen führt, dann muß der von Immanuel Kant und vielen anderen gesehene  Widerspruch zwischen Kausalprinzip und Willensfreiheit ein Scheinproblem darstellen.

Die Auflösung liegt meines Erachtens darin, daß übersehen wurde, daß wir ja selbst das kausal funktionierende System darstellen. Wir können uns selbst doch wohl schwerlich als Einschränkung unserer Freiheit verstehen. Damit möchte ich nicht ausschließen, daß wir uns auch ob innerer Zwänge unfrei fühlen können. Alles was das "freie Spiel unserer Gedanken" stört - wie z.B. zu starke Antriebe - beschränkt die Freiheit für uns erkennbar. Aber wenn kausale Prozesse die Voraussetzung für das Funktionieren meines Gehirns darstellen, wieso sollte dies meine Freiheit einschränken? Wie Hassenstein sagen würde, die Kausalität der biologischen Prozesse garantiert das zuverlässige Ablaufen des Programms auf der Systemebene des Gehirns, welches freie Entscheidung ermöglicht.

 

Wir müssen uns wieder darauf besinnen, was "freier Wille" umgangssprachlich bedeutet und uns fragen, ob "freier Wille" in dieser Bedeutung programmierbar ist.

 

Beschreibung der Willensfreiheit auf Systemniveau

 

Nach Hassenstein ist "Entscheidungsfreiheit als Selbstbestimmung im Unterschied zur Fremdbestimmung" anzusehen und "Selbstbestimmung als Programm in der Systemebene des ZNS".  Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der Behauptung, daß eines Tages entscheidungsfreie Maschinen existieren werden. In der Tat, in dem Buch "Gödel, Escher, Bach" von dem AI-Forscher Douglas R. Hofstadter  steht der Satz: "Und freier Wille wird tatsächlich mechanisiert werden".

Wir können den Bogen zu meiner Vorlesung über "Künstliche und Natürliche Intelligenz"; spannen. Wir hatten dort als wichtige Merkmale von intelligentem (=einsichtigem) Verhalten Vorausschauen, Bewerten und Entscheiden genannt und an einem sehr einfachen Beispiel gezeigt, wie diese Eigenschaften mechanisiert werden können. Ich möchte diese Gedanken im vorliegenden Zusammenhang noch einmal kurz aufgreifen.

 

Jede überlegte und von uns als frei empfundene Entscheidung setzt voraus, daß wir zwischen einer ausreichenden Zahl von Handlungsmöglichkeiten zu wählen haben. Diese Handlungsmöglichkeiten müssen also einerseits gegeben sein, andererseits verlangt eine überlegte Wahl die Bewertung der Handlungsmöglichkeiten an ihren Folgen. Diese Folgen der verschiedenen Handlungen werden nicht 'erlebt', sondern bedacht, d.h. die Handlungen werden in einem inneren 'Weltmodell' vor der Entscheidung durchgespielt und bewertet. Die Entscheidung wird dann nicht akausal, sondern aufgrund der unterschiedlichen Bewertung der verschiedenen Handlungsmöglichkeiten getroffen. Die im Einzelfall benützte Bewertungsfunktion kann natürlich sehr komplex und einem Zuschauer unbekannt sein. Dies ist sicherlich eine der Ursachen dafür, daß wir von unseren Mitmenschen öfters überrascht werden. Die Unberechenbarkeit im Sinne Pascal Jordans ist aber sicherlich nicht ein konstitutives Merkmal freier Entscheidungen. Schätzen wir doch gerade an guten Freunden ihre Verläßlichkeit und Zuverlässigkeit.

 

Es ist noch einmal an der Zeit das Thema des Laplaceschen Dämons aufzugreifen. Behaupte ich, da ich den freien Willen für mechanisierbar halte, daß ein Laplacescher Dämon einen Menschen oder eine "frei" konstruierte Maschine vorausberechnen könnte? Keinesfalls.


Zwei Gründe für die Unberechenbarkeit der Zukunft

 

Neben der Heisenbergschen Unschärferelation gibt es einen zweiten Grund für die prinzipielle Unberechenbarkeit der Zukunft. Zunächst einmal, ein guter Positivist hätte schon vor Heisenberg die mögliche Existenz eines Laplaceschen Dämons ablehnen und folglich die Unberechenbarkeit der Zukunft postulieren müssen. Wissenschaftler würden nach der Entdeckung eines Laplaceschen Dämons diesen gleich den Naturphänomenen zuordnen. Folglich hätte der Dämon nicht nur die gesamte bisherige Welt, sondern auch noch sich selbst vollständig darzustellen usw. usf., was aus prinzipiellen Gründen unmöglich scheint. Es wäre sinnvoll anzuerkennen, daß prinzipiell die Speicherkapazität eines realen Systems (zu denen wir uns auch als Menschen rechnen dürfen) nicht ausreichen kann, die Welt (einschließlich sich selbst) vollständig zu beschreiben. Die Unbestimmtheit atomarer Prozesse verweist nur auf eine der prinzipiellen Ursachen unvollständiger Weltbeschreibung.

Wenn man will, kann man diese Unbestimmtheit der Zukunft, die prinzipieller Natur ist, als 'Offenheit' bezeichnen.

 

Der Zufallsbegriff

 

Wir sind dem Zufall ausgesetzt, weil wir aus den genannten Gründen nicht allwissend sind. In realiter ist es egal, welcher der beiden prinzipiellen Gründe für unzureichendes Wissen dem Zufallsprozeß zugrundeliegt. Zufallsgeneratoren in Computern, die z.T. streng kausal organisiert sind, machen das besonders anschaulich. Wichtig ist nur, daß zwischen zwei sukzessiv generierten Zahlen für den Beobachter kein erkennbarer Zusammenhang (keine Korrelation) besteht. Es gibt viele deterministische Gleichungen, die solche Lösungen liefern.

 

Initiale Aktivität

 

Martin Heisenberg hat kürzlich einen Versuch unternommen, den Zufallsbegriff (im Sinne des vorhergehenden Abschnittes) für die Willensfreiheit zu reaktivieren.

Zufall ist eine prinzipielle Methode der Erzeugung von Variabilität. Ein Biologe kennt die Evolution und die bedeutsame Rolle der Mutation. Mutationen sind echte Zufallsprozesse, ihre auslösenden Ursachen (falls überhaupt vorhanden) stehen in keinem Zusammenhang mit ihren Wirkungen (Fluktuationstest von Luria und Delbrück).

Heisenberg sagt nun:  "Das Darwin'sche Prinzip ist das Urelement der Freiheit"? Er nimmt dem Zufall seine willkürliche Wirkung, indem er ihn als Mitursache origineller Ideen auftreten läßt. Unsere Bewertungsfunktionen fungieren dann als Zensor dieser Ideen, hierdurch bleibt die Verantwortlichkeit des menschlichen Handelns erhalten.

Meines Erachtens hat Heisenberg möglicherweise recht, wenn er glaubt, daß der Zufall eine gewichtige Rolle bei der Generierung von Ideen (im Sinne von Handlungsmöglichkeiten) spielen kann. Nicht nur in der Evolution, auch auf dem Niveau unseres Denkens mag der Zufall schon an der Geburt so mancher interessanten Idee beteiligt gewesen sein. Es muß allerdings bedacht werden, daß er nicht die alleinige Ursache von "Gedanken" sein kann, dies wäre doch äußerst ineffektiv. Die Zufallsstrategie ist meiner Meinung nach vor allem dann sinnvoll, wenn sehr viele, unüberschaubar viele Handlungsmöglichkeiten oder mehrere gleichwertige gegeben sind. Auch bessere Schachcomputer machen in beschränktem Ausmaß in diesen Fällen von einem Zufallsgenerator Gebrauch. Der menschliche Partner ist in diesen Fällen angenehm überrascht, daß die Maschine nicht immer in der gleichen Situation den gleichen Zug wiederholt.

Martin Heisenberg hat jedoch ganz bewußt die Generierung von Ideen unter Mitwirkung des Zufalls als "Initiale Aktivität" bezeichnet. Er glaubt, daß diese von ihm geschilderte Funktion des Zufalls die Grundlage menschlicher Freiheit ist. Er sagt: "Selbstbestimmung als Gegensatz zur Fremdbestimmung muß notwendigerweise ein Element des Zufalls enthalten, weil es zur Determination keine Alternative als den Zufall gibt". Offensichtlich begeht er hier den Irrtum, den schon Kant, Jordan und andere vor ihm begangen haben, nämlich die Gleichsetzung von Determination und Unfreiheit. Besser als Hassenstein kann es schwerlich gesagt werden: "Der Zufall ist aber ein Gegenspieler der Willensfreiheit ... Freiheit bedeutet, daß man denken kann, was man selbst will. Unfreiheit, wenn sich dem Bewußtsein bestimmte Inhalte aufdrängen;  und daran ändert sich nichts, wenn die sich aufdrängenden Gedanken  zufällig sind". 

 

 

Die Beziehung: Genotyp - Verhaltensphänotyp

 

Zum Schluß doch noch ein paar Worte zur Verhaltensgenetik. In einem Review Artikel über Neurogenetik bei Insekten haben wir sinngemäß folgendes Schlußwort gewählt: "Der vorliegende Review hat viele Beispiele dafür aufgezeigt, daß die Entwicklung des Gehirns einer genetischen Kontrolle unterliegt. Es mag deshalb auch naheliegend sein, von einer genetischen Kontrolle des Verhaltens zu sprechen. Wir schlagen aber vor, dies nicht zu tun, damit Mißverständnisse vermieden werden. Wenn ein Gehirn einmal entwickelt ist, generiert es autonom Verhalten. Verhalten untersteht keiner direkten genetischen Kontrolle. Die Kontrolle ist eher in die entgegengesetzte Richtung. Die Aktivität vieler Gene im Gehirn mag davon abhängen, was ein Organismus sieht, fühlt oder tut".

 

Nehmen wir einmal an, ein Team von Ingenieuren hätte einen selbständig agierenden Robotor für die Erkundung des Mars gebaut, mit einer Fernsehkamera als Auge und vielen anderen Sensoren, sowie einer komplexen Motorik inklusive Greifarm etc. Das aktuelle Verhalten des Roboters auf dem Mars würde durch die Ingenieure auf keine Weise direkt kontrolliert. Trotzdem wären die Handlungen des Robotors sehr stark von seiner Konstruktion abhängig, vor allem von der implantierten Bewertungsfunktion mit der er seine Entscheidungen über die nächsten Handlungen abwägt.

 

Wie stark sind wir von unseren Ingenieuren, den Genen, abhängig? Wieder wäre meine Antwort, im aktuellen Verhalten unterstehen wir keiner direkten genetischen Kontrolle. Jedoch verfolgen wir bei einem großen Freiheitsgrad, was die Strategien angeht, elementare, tief in uns verwurzelte Lebensziele.

 

Dawkins Betrachtungsweise und obiges Beispiel ist Anlaß über die Trennung zwischen Motiv- und Strategieebene (zwischen Ziel und Weg) nachzudenken. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde Dawkins der Freiheit bei der Entscheidung zur Wahl des besten Weges zum Ziel zustimmen, ja wahrscheinlich die Evolution unseres Denkapparates unter diesem Gesichtspunkt sehen wollen, aber eine Freiheit bei der Auswahl der elementaren Zielvorstellungen: Am Leben bleiben,  Sattwerden, Geliebtwerden, Macht, Sex etc. wird er uns kaum zugestehen.

 

Wir sollten die Möglichkeiten der Reflexion nicht vergessen. Die theoretisch unendliche Schleife des Nachdenkens macht alles möglich, selbst die bewußte Verweigerung der genetisch implantierten Lebensziele scheint möglich, aber wir sollten die genetisch implantierten Zielvorstellungen akzeptieren, bejahen und unseren Freiraum nutzen, sie umzusetzen.

 

Hinweis auf Literatur zum Thema WILLENSFREIHEIT

 

Kant, I.: Kritik der praktischen Vernunft. Kants Werke; Königlich

                  Preußische Akademie der Wissenschaften (Berlin 1902 ff)

     -     : Kritik der reinen Vernunft (ebd.)

Jordan, P.: Die Quantenmechanik und die Grundprobleme der Biologie und

                   Psychologie. Naturwissenschaften 20, 815-821 

Jordan, P.: Die Verstärkertheorie der Organismen in ihrem gegenwärtigen

                  Stand. Naturwissenschaften 26, 537-545 (1938)

Bünning, E.: Quantenmechanik und Biologie.

                  Naturwissenschaften 31, 194-197, 1943

Planck, M.: Vom Wesen der Willensfreiheit. In: Reden und

                  Vorträge, Band II.         Seite 70-87. Leipzig (Hirzel) 1943

Dawkins, Richard: Das egoistische Gen. Springer Verlag 1978

Hassenstein, Bernhard "Willensfreiheit und Verantwortlichkeit.

         Naturwissenschaftliche und juristische Aspekte". Freiburger

         Vorlesungen zur Biologie des Menschen. Hassenstein, Bernhard       

         (Mitarb.) Quelle Meyer, 1979

Hofstadter Douglas R.: "Gödel, Escher, Bach". Klett-Cotta Stuttgart 1985 Heisenberg, M.: Initiale Aktivität und Willkürverhalten bei Tieren.

         Naturwissenschaften 70, 70-78 (1983)

Heisenberg, M.: Freiheit aus der Sicht der Verhaltensforschung. Aus einer

         Festschrift für Hartmut v. Hentig. 1985

Laplace zitiert aus O. Höfling "Lehrbuch der Physik". Vierte Auflage 1959. Dümmlers Verlag Bonn

 

 

Fussnoten

 

Aus Konrad Rastetter: SAECULUM XXIV, Heft 3 (1973).

ebd.

Adorno, Negative Dialektik, S..224.

Rastetter, Konrad, s.o.

Meines Erachtens ist dieser Kantsche Freiheitsbegriff heute im kommunistischen Machtbereich weit verbreitet. Aber auch andere Ideologien und Religionen fordern häufig von ihren Anhängern völligen Gehorsam. Leider fehlt den Betroffenen das Gefühl der Unfreiheit, falls sie sich "freiwillig" diesen Zwängen beugen.

 

Zitate aus:

  Jordan, P.: Die Quantenmechanik und die Grundprobleme der Biologie und Psychologie.   

                  Naturwissenschaften 20, 815-821 

  Jordan, P.: Die Verstärkertheorie der Organismen in ihrem gegenwärtigen Stand.

                  Naturwissenschaften 26, 537-545 (1938)

Bünning, E.: Quantenmechanik und Biologie. Naturwissenschaften 31, 194-197, 1943

Hassenstein, Bernhard "Willensfreiheit und Verantwortlichkeit. Naturwissenschaftliche und juristische

       Aspekte". Freiburger Vorlesungen zur Biologie des Menschen. Hassenstein, Bernhard (Mitarb.)

       Quelle Meyer, 1979

"Wir sind höchstens so frei wie das Spiel unserer Gedanken, und es ist   nicht vorstellbar, noch freier werden zu können".

"Entscheidungsfreiheit als Selbstbestimmung im Unterschied zur Fremdbestimmung". 

"Selbstbestimmung als Programm in der Systemebene des ZNS" 

"Die Kausalgebundenheit der Elemente schafft keine zwingenden Einschränkungen für die Art der Programme in der Systemebene, sondern sie gewährleistet lediglich die Zuverlässigkeit der Abläufe".

Hassenstein ebd.

K.F. Fischbach: Metamorphose des Maschinenbildes. Eigenverlag 1986.

Bekanntlich lassen Positivisten nur Dinge oder Regeln gelten, die erfahrbar sind.

Der Grund, warum der "atomaren" Unbestimmtheit weltanschaulich ein so großes Gewicht beigemessen wird, obwohl doch schon eine deterministische Welt prinzipiell aus sich selbst heraus keinen Laplaceschen Dämon erzeugen kann, ist in der Tradition des christlichen Denkens begründet: Der Schöpfer einer deterministischen Welt wäre auch für die hierin ablaufenden "Sünden" verantwortlich. Hier scheint in der Tat nur die prinzipielle Unbestimmtheit weiterzuhelfen (allerdings gibt es hierdurch neue Probleme, da die Allmacht Schaden leidet, es geschehen Dinge ohne Sein Wissen und Wollen).

Fischbach, K.F. and Heisenberg, M.: Neurogenetics in Insects. J. Exp. Biol. 112, 65-94 (1984)

Heisenberg, M. (1983): Initiale Aktivität und Willkürverhalten bei Tieren.

         Naturwissenschaften 70, 70-78

 

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