Taktik des Verhandelns ![]() Foto: Postkarte ohne Verlagsangabe Die Südfront der Sankt-Marien-Kirche Bedingungen der Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik Generell gesehen nahm die Kirche eine Sonderrolle in der DDR ein. Dieser Begriff Sonderrolle ist hierbei keinesfalls positiv für die Kirche zu werten. Im Gegenteil: Die Regierung stand den gläubigen Christen ziemlich negativ gegenüber, bildeten diese doch ein eigenes Kollektiv innerhalb des Gesamtkollektives der Bürger des Staates. Die Existenz dieser kirchlichen Gemeinschaft in der DDR war an und für sich ein Paradoxon, denn Nächstenliebe, gegenseitige Hilfe und Beistand und andere wichtige christliche Grundsätze beinhaltete die Idee eines menschlichen Kollektives auf der Basis von Sozialismus und Kommunismus auch. In diesem Konzept aber fehlte der Glaube an Gott - ein Mangel, über den viele Gläubige nicht hinwegsehen konnten. Jedenfalls wurde die Kirche nur als notwendiges Übel gesehen und bei Haushaltsplanungen u.ä. gerne auch übersehen. Bis 1976 durfte beispielsweise kein Neubau von Kirchen erfolgen. Kirchenmitglieder, die sich nicht zusätzlich auch der Ideologie des Staates optimal anpaßten, d.h. keine Parteimitglieder oder, bei jüngeren Menschen, FDJ-Angehörige o.ä. waren, behinderte der Staat in ihrem bildungstechnischen bzw. beruflichen Werdegang. Wo es nur möglich erschien, wurden der Kirche Knüppel zwischen die Beine geworfen, und genau das bekam auch die evangelische Gemeinde Bernaus zu spüren. Zwei Geschichten, die derartige staatliche Willkürakte widerspiegeln, handeln von Ereignissen um und auf dem Alten Friedhof. ![]() Foto: Postkarte ohne Verlagsangabe Die Sankt-Marien-Kirche Der Alte Friedhof - Ein Ort des Widerstandes Im Jahre 1967 befand sich auf dem Alten Friedhof nichts außer einigen Holzbuden, die sich unmöglich dazu eigneten, Totenfeiern abzuhalten. Also beantragte die Vertretung der evangelischen Kirche eine Baugenehmigung für eine neue Friedhofssakristei. Diese wurde von den staatlichen Organen natürlich nicht erteilt, sei es nun, weil nicht genügend Baumaterial zur Verfügung stand oder nur, um die Kirche wieder einmal in ihrem Tätigkeitsfeld einzuschränken. Die Reaktion der Glaubensgemeinschaft sah wie folgt aus: In einer Art Nacht-und-Nebel-Aktion wurden hinter den Bretterwänden einer besonders großen Holzbude Steinmauern und ein Schornstein errichtet. Eines Tages riß man die Bretter von der Außenfassade einfach ab, und das Grundgerüst des neuen Hauses kam zum Vorschein. Gute Kontakte zum Bezirksschornsteinfegermeister bewirkten schließlich, daß das Gebäude sogar noch abgenommen werden konnte. Die Sakristei war entstanden - auch ohne Genehmigung. Der Alte Friedhof avancierte später noch zum Gegenstand einer viel härteren Auseinandersetzung. Als nämlich die ersten Planungen für die Umstrukturierung des Bernauer Stadtkernes veröffentlicht wurden, in denen noch die Rede von elf Stockwerke hohen Punkthäusern u.ä. war, konnten interessierte Betrachter erkennen, daß die Stelle des Friedhofs dann ein großer Parkplatz einnehmen sollte. Diese Ideen nahm die Bevölkerung nicht ohne weiteres hin. Es folgte darauf eine Flut von Protestschreiben und Mißfallensbekundungen. Auch die Kirche wehrte sich: Die Pfarrer und Mitglieder des Gemeindekirchenrates trafen mit den Verantwortlichen für die Stadtplanung zusammen und versuchten, diese in einer langen Diskussion von der Unsinnigkeit des Vorhabens zu überzeugen. Als Konsequenz dieser Aktionen wurden die erwähnten Pläne wieder verworfen. Diese Ereignisse, von denen Pfarrer i.R. Hasse berichtete, sind nur zwei Beispiele von vielen, die das Verhältnis von Staat und Kirche ziemlich gut illustrieren. Jedoch konnte man nicht immer so improvisieren wie in der ersten Geschichte, und selten stellte sich die Öffentlichkeit so schützend vor die Kirche wie in der zweiten. Meist mußte verhandelt werden, wobei der Staat auch fast immer bekam, was er verlangte. Wie die evangelische Glaubensgemeinschaft Bernaus durch geschicktes Taktieren und Verhandeln den Willkürakten des Staates zu entkommen versuchte, soll im folgenden gezeigt werden. Kuhhandel Bekam das evangelische Pfarramt Bernau einen Brief einer staatlichen Institution, der eine Bitte um Abgabe eines bestimmten Grundstückes oder Flurstückes beinhaltete, traf sich der Gemeindekirchenrat, um über den Modus procedendi zu debattieren. Es taten sich hierbei drei Möglichkeiten auf: Entweder man versuchte, dem Staat das Land zu verkaufen, man verschenkte es oder man weigerte sich, es abzutreten. Der letzte Fall hatte grundsätzlich eine Zwangsenteignung zur Folge. Viele sogenannte Kuhhandel mit dem Staat mußten eingegangen werden, d.h. man zeigte sich bei einigen Verhandlungen etwas kooperativer, um bei anderen dafür härter auftreten zu können - eben mit dem Hinweis auf die vorangegangene gute Kooperation. So verkaufte die evangelische Gemeinde ein Stück Land, das sich unmittelbar neben dem Krankenhaus befindet, für 19 Pfennig pro Quadratmeter, einen damals üblichen, vom Staat festgelegten Preis, weil darauf ein Ärzteblock errichtet werden sollte und weil man in bezug auf verschiedene andere Grundstücke und Häuser im Stadtzentrum verhandlungsfähig bleiben wollte. Der Grund für diese Vorgehensweise ist schnell beschrieben: Die Kirche war von dem Land, das der Staat ihr abkaufte, finanziell abhängig, da es ihr Pachtgelder einbrachte. Die Kirchengebäude mußten erhalten werden, und auch für die Gemeindearbeit wurde Geld benötigt. Der Staat verpflichtete sich mit jedem Stück Land, das er uns abkaufte, auch die Restaurierung der Kirche zu übernehmen, meinte Ulrich Hasse im Interview. Etwas Ähnliches sagte er damals auch den zuständigen Behörden, was, wie er vermutet, vielleicht mit dafür verantwortlich war, daß nicht alle Geldquellen rigoros enteignet wurden. Altstadtabriß und evangelische Kirche Die konkreten Ereignisse des Abrisses widerspiegeln einerseits die eben erläuterte Politik des geschickten Taktierens, welche die evangelische Kirche verfolgte. Andererseits kann man aber ebenfalls erkennen, wie ohnmächtig die Glaubensgemeinschaft sich dem Staat gegenüber fühlen mußte. Die Planungen für die Bauabschnitte waren eindeutig, und das betraf sowohl Häuser und Grundstücke von Privatleuten als auch die der Kirche. Im Rathaus konnte eingesehen werden, welche Häuser der Abrißbirne zum Opfer fallen sollten und welche Schonung zu erwarten hatten. Als das Projekt der Umstrukturierung des Stadtkernes dann langsam in Gang kam, zeigte es sich in aller Deutlichkeit, daß der Staat der Kirche nicht einmal Mitspracherecht in bezug auf ihren eigenen Grund und Boden einräumte. Aus der Sicht der beiden Pfarrer machte es keinen Sinn, gegen diese Haltung oder das Vorhaben zu protestieren. Der Staat hätte sich trotzdem genommen, wonach es ihn verlangte, und Widerstand wäre möglicherweise ein Initiator für eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat zuungunsten der Glaubensgemeinschaft gewesen. In der alljährlichen Versammlung von Mitgliedern der Kirchen und des Rates des Kreises wurde die Vorgehensweise zwar ungeschminkt kritisiert, doch blieb diese Kritik meist innerhalb der Örtlichkeiten der Tagungsräume. Wie anfangs erwähnt, sind die Gebäude, welche direkt an die Sankt-Marien-Kirche grenzen, erhalten geblieben. Dort glaubt man, in einer Oase zu stehen, vor welcher die Abrißarbeiten damals halt machten. Pfarrhaus, Lateinschule und auch die anderen alten Schulgebäude und Wohnhäuser zeugen davon, daß auch die Umstrukturierung anscheinend ihre Grenzen hatte. Nun lag für uns der Gedanke nahe, daß die evangelische Gemeinde diesen Zustand vielleicht mit einer Protestaktion herbeigeführt haben könnte. Diese Annahme motivierte uns überhaupt erst, die Rolle der Kirche ein wenig näher zu beleuchten. Wie bereits angedeutet, bestätigte sich unsere Vermutung jedoch nicht. Pfarrer i. R. Otto machte uns nämlich unmißverständlich klar, daß die Erhaltung der beschriebenen Gebäude eine Art Gnade des Staates war. Die evangelische Gemeinde Bernaus hatte dabei keine Entscheidungsgewalt. Die genauen Beweggründe, gerade diese Häuser nicht abzureißen, wurden damals nicht veröffentlicht. Ein anderer Tatbestand, auf den Eduard Otto in bezug auf die erwähnten Häuser noch hinweist, zeigt sich wie folgt: Die angrenzenden Plattenbauten besitzen nur einen Eingang, der darüber hinaus auf der dem Kirchenbau abgewandten Seite liegt. Ottos Meinung nach kann man hier sehr deutlich die DDR-Ideologie der Trennung von Christen und Atheisten erkennen. Ein anderes bemerkenswertes Objekt, das sich während des Stadtabrisses im Besitz der Kirche befand, ist das älteste Wohnhaus Bernaus - das Kantorhaus. Kurz bevor die Abrißarbeiten im ersten Bauabschnitt begannen, fiel die Entscheidung, das Kantorhaus, welches zu diesem Abschnitt gehörte, unter Denkmalschutz zu stellen. Bald darauf meldete sich der Staat bei der evangelischen Kirchengemeinde und äußerte seine Absicht, das erwähnte Haus käuflich zu erwerben. In diesem Fall brauchte der Gemeindekirchenrat nicht lange, um eine Entscheidung zu fällen: Der Kaufsumme von 28 000,- Mark wurde zugestimmt. Damit ging das Haus in Staatseigentum über. Auf die Frage, was denn die Gründe waren, dieses wertvolle Kulturgut doch ziemlich kampflos den Händen des Staates zu überlassen, antwortete Pfarrer i. R. Hasse: Die Sanierung der Bausubstanz wäre für die Gemeinde unerschwinglich gewesen. Schon die Erhaltung des Objektes als Wohnhaus verlangte Unsummen und Arbeitsanstrengungen, die der Funktion des Hauses kaum noch würdig erschienen. Hasse wies hierbei auf den mangelnden Brandschutz hin, der verbessert werden mußte. So existierten in den Schornsteinen offene Holzbalken, die durch ein Unglück hätten jederzeit zu brennen anfangen können. In diesem Fall war es besser, daß der Staat das Haus bekam. Schließlich stellte es als ältestes Wohnhaus ein Prestigeobjekt dar, für dessen Sanierung in der Folge auch genug Geld zur Verfügung gestellt wurde. Natürlich interessierte uns ferner die Haltung, welche die Kirche den Abrißplänen gegenüber generell einnahm. Die Pfarrer konnten verständlicherweise nur aus ihrer persönlichen Sichtweise heraus argumentieren, und da bewegten sich ihre Meinungen ziemlich stark auseinander. Für Eduard Otto stellt der Abriß und die damit verbundene Verfälschung des ursprünglichen Charakters der Stadt einen Sündenfall dar. Obwohl die Denkmalpflege seiner Meinung nach das Beste aus der Situation herausholte, wurden zu viele noch erhaltenswerte Häuser, wie das Burbahaus in der Grünstraße oder die katholische Schule, einfach dem Erdboden gleichgemacht. Ulrich Hasse sieht überwiegend das Problem der Wohnsituation der Menschen. Die meisten alten Wohnungen waren Löcher, in die heute kaum noch ein Asylbewerber gehen würde. Durch die fehlenden Baustoffe und die teure Erhaltung der Häuser verfielen diese langsam. Außerdem erwies es sich als ziemlich kompliziert, den Ansprüchen genügende sanitäre Einrichtungen in alte Fachwerkhäuser einzubauen, aber der Wohlstand verlangte ein gefliestes Bad, wie Herr Hasse es ausdrückte. Wahrscheinlich resultiert seine Meinung aus der eigenen Wohnsituation: Er lebte damals in einem der Häuser, die unmittelbar neben der Kirche stehen. Das Bad besaß eine Bretter- und eine Fachwerkwand, weshalb es darin nie warm wurde. Es existierte kein Fußboden im Keller. Die Diele im Erdgeschoß befand sich praktisch über ebener Erde, weshalb der Wind hindurchpfiff und das Klima des Hauses nicht gerade positiv beeinflußte. Später konnte Pfarrer i. R. Hasse in ein selbst finanziertes Eigenheim ziehen. Er beschreibt heute die Tatsache, daß er trotz seiner kirchlichen Tätigkeit eine Baugenehmigung vom Staat erhielt, als halbes Wunder. Das war es wohl auch für das evangelische Konsistorium in Berlin, welches die Genehmigung so überraschte, daß es für die Kosten des Baus erst einmal aufkam. Trotz allem steht er dem Abriß nicht unkritisch gegenüber. Seiner Meinung nach war das Fachwerk zwar nicht so wertvoll wie das in Wernigerode, Quedlinburg oder Tangermünde, aber es hätten größere Teile erhalten werden können, als es letzten Endes der Fall war. Eine Möglichkeit sah er damals auch in der Erhaltung der Außenansicht und des kompletten Abrisses oder Umbaus dahinter. Auf die abschließende Frage, ob er sich konkret an protestierende Bürger erinnern könne, meinte er, daß es wohl einige wenige gab, die meisten aber kapitulieren mußten vor der Allmacht des Staates. Viele Menschen, die heute ihre Stimme gegen die damaligen Ereignisse erheben, sind auch heute erst auf den Gedanken gekommen, daß Fehler gemacht wurden, glaubt er. Alles in allem stellt der Abriß schon einen Willkürakt des Staates dar, aber es handelt sich hierbei um einen, der die Lebensqualität der Stadt entscheidend verbesserte. Niemand würde doch heute in die alten Buden zurückziehen - es sei denn, er ist reich. Kritische Betrachtung - Protest als Risikofaktor Die Erwartungen, mit denen wir an das Thema Kirche im Zusammenhang mit dem Flächenabriß herangegangen waren, bestätigten sich in den Interviews mit den Pfarrern i. R. Ulrich Hasse und Eduard Otto nicht. Protest selbst fanden wir nicht, und trotzdem hielt sich die Enttäuschung darüber in Grenzen. Wir waren nämlich auf ein anderes Problem gestoßen, dessen Bearbeitung uns noch einmal über die Möglichkeit/die Unmöglichkeit, den Sinn/die Sinnlosigkeit von Protest gegen die Aktivitäten der DDR nachdenken ließ. Die evangelische Kirche hatte sich doch augenscheinlich in jeder Situation als Institution in einer Machtposition befunden, über die der Staat nicht einfach hätte hinwegsehen können. Offene Widerstandsbekenntnisse an einigen Stellen wären vielleicht ausreichend gewesen, um die sinnlose Zerstörung historisch wertvoller Bauwerke zu verhindern. Da stellten sich uns natürlich die Fragen, warum man in den Reihen der Kirche von dieser Macht keinen Gebrauch machte, und ob wir diese Haltung rückblickend tatsächlich als negativ bewerten durften. Es sah schließlich vielmehr so aus, als wenn von Seiten der Kirche immer nur versucht worden war, das Beste aus der Situation herauszuholen. Die Antworten für die aufgeworfenen Fragen ließen sich letzten Endes nicht leicht finden: Die Kirche besaß als Institution zwar mehr Macht als ein einzelner Mensch, war aber dem Staat grenzenlos unterlegen. Bei einer massiven Auflehnung gegen die in oberster Instanz erarbeiteten Pläne zur Umstrukturierung der Bernauer Altstadt hätte der Staat der evangelischen Gemeinde jederzeit die Existenzgrundlage entziehen und damit die Macht der Kirche brechen können. Ein wichtiger Punkt der kirchlichen Interessen mußte also sein, eine friedliche Koexistenz mit dem Staat anzustreben, da man ansonsten mit erheblichen Nachteilen hätte rechnen müssen. Folglich sollten wir davon absehen, die Position der Kirche allzu negativ zu bewerten. Wie viele einzelne Menschen würden ihre Existenzgrundlage für einen Protest dieser Art aufs Spiel setzen? Und bei der evangelischen Kirche handelt es sich immerhin um eine Institution, deren Gemeinde in Bernau mehrere tausend Menschen umfaßt. Ein derartiges Opfer zu erbringen wäre irrational gewesen. Die Meinung der Gemeindemitglieder zum Stadtabriß könnte möglicherweise genauso gespalten gewesen sein, wie die ihrer Pfarrer Hasse und Otto. Wenn aber die Mehrheit dafür oder unentschieden gewesen ist, wozu dann protestieren? Auch diese Möglichkeit mußten wir uns bei dem Versuch, die Rolle der Kirche zu bewerten, vor Augen halten. |