Ingeborg Drewitz: Gestern war Heute. Roman
Zunächst ein bisschen Theorie mit einem Zitat von Dieter Wellershoff:
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Über traditionelle und modernes Erzählen
Im modernen Roman wird der Leser "nicht wie im traditionellen Roman vom Erzähler geführt und am Anfang mit den wichtigsten Informationen versorgt, sondern hineingestoßen in einen Fiktionsraum, der sich erst allmählich und vielleicht nie richtig, nie endgültig erschließt, der aber auch keine Fenster, keine Tür in ein sicheres Außerhalb hat.
Das war der rationale Komfort, den die tradtionelle Erzählerposition, zum Beispiel die Rahmenerzählung, dem Leser bot: Er konnte den Konflikt, das Abenteuer, die Verwirrung aus der überlegenen Distanz, nämlich vom Ende her, vom Standpunkt der erreichten Problemlösung, der wiederhergestellten und bestätigten Ordnung, also mit den Augen der Weisheit und des Humors sehen. Vorgeführt wurde ihm ein Realitätsausschnitt, der eingebettet blieb im größeren Horizont des Allgemeinen, und der außerdem schon nach bedeutenden und unbedeutenden Elementen, also konventionell selektiert war, so wie er sich nach einiger Zeit dem Langzeitgedächtnis einprägt.
In der literaturgeschichtlich jüngeren Erlebnisperspektive ist dagegen die Subjektivität total gesetzt. Es gibt kein Außerhalb und keine zeitliche Distanz. Alles erscheint so augenblickshaft, ungeordnet und subjektiv, wie die handelnde Person es erfährt."
Jetzt ein paar Ideen für Schreibanlässe:
Ungeschriebene Briefe und ungehaltene Reden
- XVI,3: "Verdammte Überlegenheit der Unterlegenen"(S.292):
Gabriele hat sich gerade mit Ludwig getroffen, diese Begegnung bringt sie sehr auf und macht sie immer wütender: Als sie zuhause ankommt, will sie ihn anrufen, es meldet sich aber nur der Anrufbeantworter. Sie lässt ihren Frust in einem längeren Zornesausbruch auf dem Anrufbeantworter zurück. - XVI, 4 : Gabrieles Dilemma:
Sie denkt über die von Ludwig "angebotene Möglichkeit" zur Weltreise nach. Sie schwankt sehr ... - XV,4 : Jörgs Rechtfertigungsversuch:
Am Abend nach der Auseinandersetzung mit Gabriele kehrt Jörg von der Arbeit zurück und findet Gabriele allein am Küchentisch sitzend. Er bereut den Streit, möchte aber, dass sie ihn versteht und sich rechtfertigen, vor allem wegen des Vorwurfs der Langeweile. Er bitte Gabriele ihm zuzuhören und nichts zu sagen. - XIX, 10: Versuchte Beschreibung einer neuen Lebensform:
Nach dem Besuch in Renates Wohngemeinschaft fragen Jörg und Claudia, wie es Renate geht. Gabriele antwortet zunächst: "Gut. Ganz gut"(346), beginnt dann aber doch noch zu berichten.Renates Reaktion:
Renate schreibt einen Brief an ihre Mutter, in welchem sie noch einmal auf deren Besuch in der WG zu sprechen kommt, ihr darlegt, wie sie die Situation empfunden hat und ob sie noch einmal besucht werden möchte. - XIX, 13. Nach der Versammlung, auf der Gabriele ihre Tochter hat sprechen hören, schreibt Gabriele nicht den vorgesehenen Zeitungsbericht, sondern stattdessen einen Brief an Renate, in welchem sie Stolz und Besorgnis zugleich formuliert.
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Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.