Für Arbeiterkinder,
die oftmals sogar an der Herstellung von Spielsachen mitwirken mussten,
war solch aufwändiges Spielzeug wie Porzellanpuppen, Puppenstuben
oder gar Puppenhäuser unerschwinglich. Sie besaßen lediglich einfache
Puppen aus Holz oder zusammengenähten und ausgestopften Stofffetzen.
Die Geschichte des Puppenhauses als Anschauungs- oder Spielobjekt
beginnt mit der Neuzeit (erhaltene Miniaturhäuser aus vor- und frühchristlicher
Zeit, wie z.B. der 12. Dynastie in Ägypten oder der Han-Dynastie
in China, dienten in der Regel dem Totenkult) und stellt von Anfang
an ein getreues und minutiöses Abbild der jeweiligen Wohnkultur
dar.
Die ältesten erhaltenen Dockenhäuser (Docke = altes Synonym für
Puppe) stammen aus dem 17. Jahrhundert und sind - wie auch das nur
aufgrund von Quellen bekannte Haus von Herzog Albrecht V. aus dem
Jahre 1558 - eher Kabinettstücke der Fürsten und Herzöge gewesen.
Erst das 19. Jahrhundert, das durch eine besondere Zuwendung zum
Kind gekennzeichnet war, brachte eine Fülle von Puppenhäusern und
erstmalig auch Puppenstuben hervor, die zum Spielen gedacht waren.
Zwei Epochen prägten die deutsche Wohn- und somit Puppenstubenkultur
des 19. Jahrhunderts: Die Biedermeierzeit (1815-1848) war charakterisiert
durch einen bescheidenen, wenn auch zum Ideal erhobenen Wohnstil,
und es entstanden überwiegend Puppenstuben. Parallel dazu entwickelte
sich die Gattung der Kaufläden, zu deren ältesten Vorläufern einzelne
Marktstände aus dem späten 17. Jahrhundert zu zählen sind. Aber
auch in Puppenhäuser integrierte Geschäfte, wie z.B. ein Laden für
Handelsartikel im sogenannten Baumler'schen Puppenhaus aus der 2.
Hälfte 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts für Fürstin Augusta Dorothea
von Schwarzburg-Arnstadt hergestellt wurde und in 26 Häusern auch
das Leben und schildert. des 17. Jahrhunderts, das sich im Germanischen
Nationalmuseum befindet, bilden eine wichtige Voraussetzung für
die Entstehung der Gattung der Kaufläden. Nicht unerwähnt bleiben
darf in diesem Zusammenhang die Puppenstadt "Mon Plaisir" im Arnstädter
Schlossmuseum, die in der Wirken zahlreicher Handwerker und Kaufleute
Mit der Gründerzeit (ab 1871) kam dann die Blütezeit aufwändiger
Puppenhäuser, -stuben, -läden und -möbel. Die meisten der heute
noch erhaltenen Stücke stammen aus dieser Epoche.
Die filigranen Möbelchen und Ausstattungsstücke wurden anfänglich
noch von einzelnen Handwerkern wie z.B. Schreinern oder aber den
eigenen Vätern angefertigt, Bald entwickelten sich jedoch Zentren
wie z.B. Nürnberg, Thüringen oder das Erzgebirge, in denen Puppenstubenmöbel
und anderes Spielzeug in Serie und für den Export hergestellt wurden.
Dies ist der Grund, warum sich die erhaltenen Puppenhäuser, -stuben
und -läden häufig in ihrer Ausstattung ähneln.
Diese für die Kinder hergestellten Objekte waren aber nicht allein
zum Spielen gedacht. Sie dienten vielmehr pädagogischen Zielen:
Spielerisch sollten vor allem die kleinen Puppenmütter in ihre Rolle
als Hausfrau hineinwachsen und rechtzeitig mit ihren Pflichten vertraut
gemacht werden. Daher wurde sehr viel Wert darauf gelegt, die Stuben
und Häuser en miniature genauso einzurichten wie die großen. Auch
die Gattung Kaufläden war durchaus dazu gedacht, die heranwachsende
Hausfrau zu ökonomischem Wirtschaften und dem Rollenverhalten des
Einkäufers zu erziehen. Kaufläden sind aufgrund ihrer akribischen,
reichhaltigen Ausstattung besonders reizvoll, zumal wir uns in unserer
Supermarkt-Gesellschaft heute kaum noch Vorstellungen vom Aussehen
der Läden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts machen können. Am
beliebtesten waren Kurz- und Gemischtwarenhandlungen (Spezereien)
sowie Putzläden (=Modeläden), deren schönste Exemplare noch aus
der Biedermeierzeit (1815-1848) stammen. Diese Stoff-, Putz- und
Modeläden waren für die spielerische Erziehung der Mädchen aus mehreren
Gründen besonders geeignet: Zumeist wurden die Waren dieser Geschäfte
- Kleider, Hüte, Spitzen u.v.m. - von den Puppenmüttern selbst hergestellt,
so dass automatisch deren Handarbeitsfähigkeiten geschult wurden.
Ebenso wichtig für ihr späteres Erwachsenen-Dasein war die spielerische
Erkenntnis, welche gesellschaftliche Rolle die Kleidung im 19. und
frühen 20. Jahrhundert einnahm. Zu guter Letzt lernten die Mädchen
beim Spielen mit Modegeschäften wirtschaftliche Praktiken und Umgangsformen.
Einzig Puppenküchen waren noch besser dazu geeignet, heranwachsende
Mädchen zu ihren hausfraulichen Pflichten zu erziehen. Deutlicher
noch spiegelten sie den gesellschaftlichen Status des Besitzers
wider.
Das entzückende Putz- und Modegeschäft der Textilsammlung Max Berk
· Kurpfälzisches Museum stammt aus der Sammlung Doris Winter und
ist um 1890 entstanden. Nebst Kleidern beherbergt es Accessoires
und "Galanteriewaren" wie Fächer, Perlbeutel, Hüte mit Hutschachteln
und Schuhe, aber auch Kurzwaren aller Art. Wie bei vielen Puppenstuben
und Kaufläden ist die Ausstattung jedoch nicht aus einem Guss, sondern
wurde von den Puppenmüttern peu à peu liebevoll ergänzt oder von
einer späteren Sammelleidenschaft individuell geprägt. So stammt
die Verkäuferin, erkennbar an den sogenannten Keulenärmeln, aus
der Entstehungszeit des Ladens, während die sogenannten Wagenradhüte
aus Federn sowie der bezogene Kleiderbügel etwas jüngeren Datums
sind. Das Metallsäckchen mit Holzspielzeug aus dem Erzgebirge dürfte
sich aus einem Gemischtwarenladen hierher verirrt haben.
Text:
Kristine Scherer
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Ausgewählte
Literatur:
Aus Münchner Kinderstuben 1750 - 1930. Ausstellung im Münchner
Stadtmuseum, 3.12.1976-11.4.1977. Schriften des Münchner Stadtmuseums,
5. Bearb. von Charlotte Angeletti. München 1976.
Historische Puppen: Kinderträume der Vergangenheit. Sammlung Furtwengler.
Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz, 11.12.1994 - 19.2.1995.
Hrsg. von Meinrad Maria Grewenig. Speyer (Verlag Gerd Hatje) 1994.
Kunz, Johanna / Ulrike Schneiders: Schöne alte Puppenstuben. 2.
Aufl. Weingarten (Kunstverlag Weingarten) 1991.
Lirum, Larum, Löffelstiel. Die Puppenküche im Wandel der Zeiten.
Ausstellung im Badischen Landesmuseum im Schloss Bruchsal, 18.12.1994
- 7.5.1995. Hrsg. von Wolfram Metzger. Karlsruhe (Info Verlagsgesellschaft)
1994.
Müller-Krumbach, Renate: Kleine heile Welt. Eine Kulturgeschichte
der Puppenstube. Leipzig (Edition Leipzig) 1992.
Stille, Eva: Puppenküchen 1800-1980. Ein Buch für Sammler und
Liebhaber alter Dinge. Nürnberg (Verlag Hans Carl) 1985.
Vom Marktstand zum Supermarkt. Der Kaufladen in Puppenwelt und
Wirklichkeit. Hg. Badisches Landesmuseum, Wolfram Metzger. Karlsruhe
(Info Verlagsgesellschaft) 1992
Wilckens, Leonie von: Das Puppenhaus. Vom Spiegelbild des bürgerlichen
Hausstandes zum Spielzeug für Kinder. München (Verlag Georg D.W.
Callwey) 1978.
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