Kunstwerk des Monats
Juni 2006

Putz- und Modegeschäft um 1890

"Spielend lernen!"

Seit Jahrtausenden wurde Spielzeug für Kinder hergestellt und bildet für uns heute eine wichtige Quelle sozio-kultureller Forschungen. Es versteht sich von selbst, dass überliefertes historisches Spielzeug, wie wir es heute aus Museen kennen, Kindern der gutbürgerlichen oder gar adligen Schicht vorbehalten war.

Für Arbeiterkinder, die oftmals sogar an der Herstellung von Spielsachen mitwirken mussten, war solch aufwändiges Spielzeug wie Porzellanpuppen, Puppenstuben oder gar Puppenhäuser unerschwinglich. Sie besaßen lediglich einfache Puppen aus Holz oder zusammengenähten und ausgestopften Stofffetzen.
Die Geschichte des Puppenhauses als Anschauungs- oder Spielobjekt beginnt mit der Neuzeit (erhaltene Miniaturhäuser aus vor- und frühchristlicher Zeit, wie z.B. der 12. Dynastie in Ägypten oder der Han-Dynastie in China, dienten in der Regel dem Totenkult) und stellt von Anfang an ein getreues und minutiöses Abbild der jeweiligen Wohnkultur dar.
Die ältesten erhaltenen Dockenhäuser (Docke = altes Synonym für Puppe) stammen aus dem 17. Jahrhundert und sind - wie auch das nur aufgrund von Quellen bekannte Haus von Herzog Albrecht V. aus dem Jahre 1558 - eher Kabinettstücke der Fürsten und Herzöge gewesen. Erst das 19. Jahrhundert, das durch eine besondere Zuwendung zum Kind gekennzeichnet war, brachte eine Fülle von Puppenhäusern und erstmalig auch Puppenstuben hervor, die zum Spielen gedacht waren.
Zwei Epochen prägten die deutsche Wohn- und somit Puppenstubenkultur des 19. Jahrhunderts: Die Biedermeierzeit (1815-1848) war charakterisiert durch einen bescheidenen, wenn auch zum Ideal erhobenen Wohnstil, und es entstanden überwiegend Puppenstuben. Parallel dazu entwickelte sich die Gattung der Kaufläden, zu deren ältesten Vorläufern einzelne Marktstände aus dem späten 17. Jahrhundert zu zählen sind. Aber auch in Puppenhäuser integrierte Geschäfte, wie z.B. ein Laden für Handelsartikel im sogenannten Baumler'schen Puppenhaus aus der 2. Hälfte 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts für Fürstin Augusta Dorothea von Schwarzburg-Arnstadt hergestellt wurde und in 26 Häusern auch das Leben und schildert. des 17. Jahrhunderts, das sich im Germanischen Nationalmuseum befindet, bilden eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung der Gattung der Kaufläden. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang die Puppenstadt "Mon Plaisir" im Arnstädter Schlossmuseum, die in der Wirken zahlreicher Handwerker und Kaufleute
Mit der Gründerzeit (ab 1871) kam dann die Blütezeit aufwändiger Puppenhäuser, -stuben, -läden und -möbel. Die meisten der heute noch erhaltenen Stücke stammen aus dieser Epoche.
Die filigranen Möbelchen und Ausstattungsstücke wurden anfänglich noch von einzelnen Handwerkern wie z.B. Schreinern oder aber den eigenen Vätern angefertigt, Bald entwickelten sich jedoch Zentren wie z.B. Nürnberg, Thüringen oder das Erzgebirge, in denen Puppenstubenmöbel und anderes Spielzeug in Serie und für den Export hergestellt wurden. Dies ist der Grund, warum sich die erhaltenen Puppenhäuser, -stuben und -läden häufig in ihrer Ausstattung ähneln.
Diese für die Kinder hergestellten Objekte waren aber nicht allein zum Spielen gedacht. Sie dienten vielmehr pädagogischen Zielen: Spielerisch sollten vor allem die kleinen Puppenmütter in ihre Rolle als Hausfrau hineinwachsen und rechtzeitig mit ihren Pflichten vertraut gemacht werden. Daher wurde sehr viel Wert darauf gelegt, die Stuben und Häuser en miniature genauso einzurichten wie die großen. Auch die Gattung Kaufläden war durchaus dazu gedacht, die heranwachsende Hausfrau zu ökonomischem Wirtschaften und dem Rollenverhalten des Einkäufers zu erziehen. Kaufläden sind aufgrund ihrer akribischen, reichhaltigen Ausstattung besonders reizvoll, zumal wir uns in unserer Supermarkt-Gesellschaft heute kaum noch Vorstellungen vom Aussehen der Läden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts machen können. Am beliebtesten waren Kurz- und Gemischtwarenhandlungen (Spezereien) sowie Putzläden (=Modeläden), deren schönste Exemplare noch aus der Biedermeierzeit (1815-1848) stammen. Diese Stoff-, Putz- und Modeläden waren für die spielerische Erziehung der Mädchen aus mehreren Gründen besonders geeignet: Zumeist wurden die Waren dieser Geschäfte - Kleider, Hüte, Spitzen u.v.m. - von den Puppenmüttern selbst hergestellt, so dass automatisch deren Handarbeitsfähigkeiten geschult wurden. Ebenso wichtig für ihr späteres Erwachsenen-Dasein war die spielerische Erkenntnis, welche gesellschaftliche Rolle die Kleidung im 19. und frühen 20. Jahrhundert einnahm. Zu guter Letzt lernten die Mädchen beim Spielen mit Modegeschäften wirtschaftliche Praktiken und Umgangsformen. Einzig Puppenküchen waren noch besser dazu geeignet, heranwachsende Mädchen zu ihren hausfraulichen Pflichten zu erziehen. Deutlicher noch spiegelten sie den gesellschaftlichen Status des Besitzers wider.
Das entzückende Putz- und Modegeschäft der Textilsammlung Max Berk · Kurpfälzisches Museum stammt aus der Sammlung Doris Winter und ist um 1890 entstanden. Nebst Kleidern beherbergt es Accessoires und "Galanteriewaren" wie Fächer, Perlbeutel, Hüte mit Hutschachteln und Schuhe, aber auch Kurzwaren aller Art. Wie bei vielen Puppenstuben und Kaufläden ist die Ausstattung jedoch nicht aus einem Guss, sondern wurde von den Puppenmüttern peu à peu liebevoll ergänzt oder von einer späteren Sammelleidenschaft individuell geprägt. So stammt die Verkäuferin, erkennbar an den sogenannten Keulenärmeln, aus der Entstehungszeit des Ladens, während die sogenannten Wagenradhüte aus Federn sowie der bezogene Kleiderbügel etwas jüngeren Datums sind. Das Metallsäckchen mit Holzspielzeug aus dem Erzgebirge dürfte sich aus einem Gemischtwarenladen hierher verirrt haben.

Text: Kristine Scherer

Ausgewählte Literatur:
Aus Münchner Kinderstuben 1750 - 1930. Ausstellung im Münchner Stadtmuseum, 3.12.1976-11.4.1977. Schriften des Münchner Stadtmuseums, 5. Bearb. von Charlotte Angeletti. München 1976.
Historische Puppen: Kinderträume der Vergangenheit. Sammlung Furtwengler. Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz, 11.12.1994 - 19.2.1995. Hrsg. von Meinrad Maria Grewenig. Speyer (Verlag Gerd Hatje) 1994.
Kunz, Johanna / Ulrike Schneiders: Schöne alte Puppenstuben. 2. Aufl. Weingarten (Kunstverlag Weingarten) 1991.
Lirum, Larum, Löffelstiel. Die Puppenküche im Wandel der Zeiten. Ausstellung im Badischen Landesmuseum im Schloss Bruchsal, 18.12.1994 - 7.5.1995. Hrsg. von Wolfram Metzger. Karlsruhe (Info Verlagsgesellschaft) 1994.
Müller-Krumbach, Renate: Kleine heile Welt. Eine Kulturgeschichte der Puppenstube. Leipzig (Edition Leipzig) 1992.
Stille, Eva: Puppenküchen 1800-1980. Ein Buch für Sammler und Liebhaber alter Dinge. Nürnberg (Verlag Hans Carl) 1985.
Vom Marktstand zum Supermarkt. Der Kaufladen in Puppenwelt und Wirklichkeit. Hg. Badisches Landesmuseum, Wolfram Metzger. Karlsruhe (Info Verlagsgesellschaft) 1992
Wilckens, Leonie von: Das Puppenhaus. Vom Spiegelbild des bürgerlichen Hausstandes zum Spielzeug für Kinder. München (Verlag Georg D.W. Callwey) 1978.

 

Putz und Modegeschäft, um 1890
39,5 x 65 x 35,5 cm Inv.-Nr. 8/112

Foto: Museum

 
 
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