
"Zuerst jagen sie in allen Richtungen herum, schleudern Geschosse
und bringen gewöhnlich schon durch die Wildheit ihrer Pferde und
das Dröhnen der Räder die feindlichen Reihen in Verwirrung ...
sie bringen es durch tägliche Übungen so weit, dass sie die Pferde
in vollem Lauf anhalten, in kurzer Zeit zu einer Wendung zügeln
und dass sie selbst die Deichsel entlanglaufen in Höhe des Jochs
stehen bleiben und von dort schnell in den Wagen zurücklaufen
können."
Caesar (100 - 44 v.Chr.)
Caesar begegnete erstmals in Britannien den berühmten keltischen
Kampfwagen (essedum). Obwohl er deren strategischen Wert nicht
allzu hoch schätzte, bewunderte er doch die Gewandtheit der rollenden
Kampfgeschwader. Nur Männer aus der elitären Führungsschicht brachten
die Zeit für die täglichen Übungen auf, die das Führen der viel
Geschicklichkeit voraussetzenden Renn- oder Streitwagen erforderte.
Den zweirädrigen Wagen waren zwei Pferde vorgespannt und die Besatzung
bestand aus zwei Personen. Dies berichtet nicht nur Cäsar, sondern
es bestätigen auch Experimente mit Rekonstruktionen, die einen
Krieger und einen Wagenlenker verlangen.
Die Streitwagen wurden besonders an den Flügeln der Schlachtordnung
oder zusammen mit der Reiterei im Vorfeld eingesetzt. Damit handelte
es sich sicher nicht nur um einzelne Fahrzeuge, sondern um größere
Gruppen. So sollen - antiken Schriftstellern folgend - in einem
Heer von 20.000 Mann 160 Streitwagen eingesetzt worden sein. Es
scheint, als wären diese in einer den eigentlichen Kampfhandlungen
vorausgehenden Phase verwendet worden, in der vermutlich Drohungen
und Schmähungen gerufen sowie Speere geworfen wurden. Zudem dienten
sie als Fortbewegungsmittel vornehmer Krieger auf dem Kampfplatz.
Während im 6./5. Jahrhundert vornehmlich Geschlecht und Alter
den Status einer Person definiert haben, stellten im 4./3. Jahrhundert
Abstammung und kriegerischer Erfolg statusbestimmende Elemente
dar; an die Stelle einer breiten und wenig gegliederten Oberschicht
trat eine kleine Elite. Die keltische Gesellschaft war nun wesentlich
stärker stratifiziert, denn diese Elite separierte sich klar vom
größten Teil der Bevölkerung, die keinen Anspruch auf Zugang zu
dauerhaften Begräbnisplätzen hatte. In den heute archäologisch
erfassbaren Gräbern liegt der „Adel“, von dem die antiken Texte
über die Keltenwanderungen berichten, begraben: Sie werden als
die „Ältesten“ (seniores) bezeichnet, die den Rat stellten, oder
als die „Fürsten“ (principes), die mit dem Streitwagen oder zu
Pferde kämpften und über diejenigen befahlen, die die Unterschicht
bildeten, die Fußtruppen. Eiserne Beschlagteile von mindestens
zwei solcher Streitwagen sind zusammen mit anderen Gerätschaften
Teil eines Depotfundes, der 1964 auf dem Heiligenberg etwa 150
Meter nordöstlich des Michaelsklosters ausgegraben wurde und zu
den interessantesten Funden aus der Zeit der keltischen Höhensiedlung
zählt. In ca. 50 cm Tiefe lagen eng zusammengepackt und miteinander
verbacken ein Radreifen, eine Pflugschar sowie zwei Sensenblätter.
In unmittelbarer Nachbarschaft dazu kamen drei Trensen, weitere
Radreifenfragmente sowie ein Ösenstift zutage. Die Trensen sind
für die zeitliche Einordnung des Depots von besonderer Bedeutung.
Zwei der drei Trensen gehören demselben Typ an und sind zudem
in Maßen und Details der Ausführung sehr ähnlich. Sie gehören
demnach zu einem Paar, das von zwei zusammengehörigen Pferden
stammen dürfte. Die Trensen bestehen aus jeweils vier durch Ösenverbindungen
gegeneinander frei beweglichen Teilen: die beiden außen stehenden
Ringe, an denen die Riemen des Kopfgestells und die Zügel befestigt
waren, und das zweigeteilte „Gebiss“ oder Mundstück, das im Maul
des Pferdes lag. Damit entspricht dieser Typ weitgehend den auch
heute noch meist gebräuchlichen Trensen. Lediglich die starke
Profilierung der Gebissstange ist in dieser Form ein Charakteristikum
der Mittellatènezeit und findet sich an solchen Ringtrensen nahezu
im gesamten keltischen Siedlungsgebiet.
Dieser kräftige Querwulst in der Mitte der beiden Mundstückhälften
ist hier wohl nur ornamental zu verstehen, könnte aber typologisch
auf ursprünglich bewegliche, aufgeschobene Scheiben bzw. Rollen
zurückzuführen sein. Dort sollten sie verhindern, dass das Pferd
durch Zusammendrücken von Unter- und Oberkiefer die Trensen festhalten
konnte und somit für die Bewegung der Zügel nicht mehr so empfindlich
gewesen wäre. Auf die gleiche Wirkung zielt die Zweiteiligkeit
des Mundstückes, die bereits an mykenischen Exemplaren zu belegen
ist. Gegenüber starren Gebissstangen wirken bewegliche, gebrochene
Stangen durch die Möglichkeit des Abwinkelns besser auf die Maulränder
ein. Dies ist wichtig, da die Befehlsübermittlung durch Zügelzug
ohnehin primär auf die Maulwinkel bzw. die Zunge des Pferdes erfolgt.
In der ausgehenden Mittellatènezeit hatte man wegen ihres Metallwertes
alle Gegenstände in einer Holzkiste, in einem Sack oder Lederbeutel
gesammelt und danach vergraben. Die Auswahl der Eisengegenstände
erfolgte mehr zufällig, allein der Metallwert zählte. Es war ohne
Bedeutung, ob die gesammelten Teile nun aus Handwerk und Landwirtschaft
stammten oder ob es sich gar um Prestigeobjekte wie Pferdegeschirr
und Wagenteile aus dem Lebenskreis der Nobilität handelte. Sehr
wahrscheinlich hatte ein keltischer Schmied, der das damals kostbare
Eisen wiederverarbeiten wollte, die Objekte in Sicherheit gebracht,
kam aber nicht mehr dazu, seinen Hort noch einmal zu bergen. Hinter
solchen Deponierungen standen Materialengpässe in der Versorgung
mit Roheisen, die einen Hinweis auf Krisenzeiten liefern können.
In diesem Fall ist der Heiligenberger Hort als Metallreserve zu
verstehen, die vielleicht zum Anfertigen von Eisenwaffen bestimmt
war. Jedenfalls entspricht der Zeitpunkt seiner Vergrabung dem
beginnenden Untergang der großen keltischen Höhensiedlung.
Renate Ludwig
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