Kunstwerk des Monats
April 2009
- Sammlungsblatt -

500 Jahre Riemenschneider-Altar

 

1861 ersteigerte Charles de Graimberg in Würzburg einen spätgotischen Schnitzaltar, bestehend aus zwei Seitenflügeln und einer farbig gefassten Apostelgruppe um den Erlöser Jesus Christus. Der Graf vermutete, es handle sich um einen Altar aus der Heidelberger Heiliggeistkirche, der dem calvinistischen Bildersturm im 16. Jh. zum Opfer gefallen sei, und reihte das Retabel in einem eigens dazu angefertigten Holzschrein und neuer Predella in seine kurpfälzisch-stadtgeschichtliche Sammlung ein.

Schon früh gab es jedoch Zweifel an Graimbergs Zuschreibung. Albert Mays‘ „Erklärendes Verzeichnis“ von 1891 vermerkt bereits ein „grosses und vorzügliches Holzschnitzwerk in der Art des Tillmann (sic!) Riemenschneider.“ Auch Adolf von Oechelhäuser vermutete, dass es sich bei dem Altar „der Tradition nach aus dem Franziskanerkloster stammend [...] um anerkannt tüchtige Arbeiten des fränkischen Meisters Tilman Riemenschneider“ handelt.

Letzte Zweifel an der Autorschaft Riemenschneiders beseitigte eine grundlegende Restaurierung durch Peter Valentin Feuerstein aus Neckarsteinach in den Jahren 1948/49. Dabei entdeckte Museumsdirektor Georg Poensgen, dass das Flügelretabel von der Witwe Elisabeth Bachknapp in Bad Windsheim bei Riemenschneider in Auftrag gegeben wurde und kurz vor dem Osterfest 1509 in der dortigen Pfarrkirche St. Kilian im südlichen Seitenschiff zur Aufstellung gelangte. Drei Jahre danach hat der Maler Jakob Mühlholtzer die Figuren für 100 Gulden erstmals farbig gefasst. Eine Kreideaufschrift auf dem rechten Flügel berichtet von einer weiteren Bemalung 1617 durch Daniel Schulz: „moler und Bürger / zu Windsheim hot diesen Altar gemolt / und nur 70 R Gulden gehobt er wolt in sunst noch besser gemacht haben.“ Riemenschneider selbst hatte der Witwe für seinen Altar 75 Gulden berechnet. Nach einem Stadtbrand am 3. Dezember 1730, der auch die Kilianskirche zerstört hatte, galt der Riemenschneider-Altar lange Zeit als verschollen.

Erst 1840, am 6. April, hat ausweislich einer Bleistiftaufschrift „Johann Weidner, Tischlergeselle aus Retzbach bei Meister Th. Ditrich in Würzburg diesen Altar zum zweiten mahl Repariert“ und die Figuren des Mittelschreins sowie die beiden Seitenflügel mit einer neuen Schicht grellbunter Farben und stellenweise starker Vergoldung versehen. In diesem Zustand kam er schließlich nach Heidelberg.

Das Thema der Apostelgemeinschaft erfreute sich im Vorfeld der Reformation allgemein großer Beliebtheit. In Zeiten des Umbruchs scharte man die Jünger als unerschütterliche Verkünder des Evangeliums um den Erlöser der Welt. In einem schlichten Holzschrein, der in der Kirche ursprünglich nur an hohen Festtagen geöffnet wurde, fällt der Blick des Betrachters auf den zentral postierten Christus, umgeben von seinen Begleitern, die er, als letzten Ausklang der mittelalterlichen Bedeutungsperspektive, um Haupteslänge überragt.

In der linken Hand hält er die Weltkugel. Die Rechte ist zum Segensgruß erhoben. Die große Ohrenfalte des Mantels unterstreicht neben der Körpergröße die herausgehobene Bedeutung des Heilands. Auf ihn ausgerichtet sind die zwölf Apostel, die scheinbar im Gespräch untereinander in Beziehung treten. Die beiden Brüder Petrus und Andreas umgeben Christus links und rechts. Es folgen der bartlose Johannes, Lieblingsjünger des Herrn, und Thomas, der Zweifler, links, ihnen gegenüber, stehen Jakobus d.J. und Jakobus d.Ä. mit Pilgerstab und Hut. Auf dem linken Flügel findet sich als Dreiergruppe Paulus mit Schwert und halb verdeckt dahinter Judas Thaddäus, daneben Philippus mit dem Martyriumskreuz und Spuren des Kirchenbrandes auf dem Handrücken. Bartholomäus, Mathias und Simon mit der Säge zieren das rechte Relief. Auf den Außenseiten der Flügel sind die Evangelisten Lukas und Markus aufgemalt.

1954 wurde unter dem rechten Seitenrelief die Kreidezeichnung einer Frau entdeckt, offenbar eine Bewegungsstudie des Meisters. Die Virtuosität seiner Schnitzkunst zeigt sich darüber hinaus an der individualisierten, fast porträthaft erfolgten Ausmodellierung der Figuren, ihrer Gesichter, Frisuren, Hände und Gewänder. Die Feinheit der Holzbehandlung macht verständlich, warum Riemenschneider das Retabel in einer monochromen Bernsteinlasur und nicht durch eine allgebräuchliche Farbfassung wirken lassen wollte. Dargestellt ist die Aussendung der zwölf Apostel durch den auferstandenen Christus, aller Welt das Evangelium zu verkünden (Mt. 28, 18 - 20).

Riemenschneiders Bekanntheit reichte schon zu Lebzeiten weit über die Grenzen Würzburgs hinaus. Geboren um 1460 in Heiligenstadt im Eichsfeld, verbrachte der Sohn eines Münzmeisters seine Jugend in Osterode im Harz. Um 1473 erlernte er das Bildhauer- und Bildschnitzerhandwerk und trat am 7. Dezember 1483 in die Würzburger Gilde der Maler ein. 1504 wurde er in den städtischen Rat aufgenommen, vom Oktober 1505 bis November 1507 war er Baumeister der Stadt und von 1509 bis 1510 als Fischmeister, d.h. Organisator und Finanzverwalter für die Instandhaltung der Stadtgräben zuständig. In Würzburg feierte er höchste politische, künstlerische und wirtschaftliche Erfolge, bis er seine Parteinahme im Bauernkrieg gegen den Fürstbischof von Würzburg 1525 mit Kerkerhaft und dem Entzug seines Vermögens bezahlen musste. Ohne Aufträge geriet er bald in Vergessenheit und starb 1531 in der unterfränkischen Metropole.

Frieder Hepp


 

 


 


 
 
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