1861
ersteigerte Charles de Graimberg in Würzburg einen spätgotischen
Schnitzaltar, bestehend aus zwei Seitenflügeln und einer
farbig gefassten Apostelgruppe um den Erlöser Jesus Christus.
Der Graf vermutete, es handle sich um einen Altar aus der Heidelberger
Heiliggeistkirche, der dem calvinistischen Bildersturm im 16.
Jh. zum Opfer gefallen sei, und reihte das Retabel in einem eigens
dazu angefertigten Holzschrein und neuer Predella in seine kurpfälzisch-stadtgeschichtliche
Sammlung ein.
Schon früh gab es jedoch Zweifel an Graimbergs Zuschreibung.
Albert Mays‘ „Erklärendes Verzeichnis“ von
1891 vermerkt bereits ein „grosses und vorzügliches
Holzschnitzwerk in der Art des Tillmann (sic!) Riemenschneider.“ Auch
Adolf von Oechelhäuser vermutete, dass es sich bei dem Altar „der
Tradition nach aus dem Franziskanerkloster stammend [...] um
anerkannt tüchtige Arbeiten des fränkischen Meisters
Tilman Riemenschneider“ handelt.
Letzte Zweifel an der Autorschaft Riemenschneiders beseitigte
eine grundlegende Restaurierung durch Peter Valentin Feuerstein
aus Neckarsteinach in den Jahren 1948/49. Dabei entdeckte Museumsdirektor
Georg Poensgen, dass das Flügelretabel von der Witwe Elisabeth
Bachknapp in Bad Windsheim bei Riemenschneider in Auftrag gegeben
wurde und kurz vor dem Osterfest 1509 in der dortigen Pfarrkirche
St. Kilian im südlichen Seitenschiff zur Aufstellung gelangte.
Drei Jahre danach hat der Maler Jakob Mühlholtzer die Figuren
für 100 Gulden erstmals farbig gefasst. Eine Kreideaufschrift
auf dem rechten Flügel berichtet von einer weiteren Bemalung
1617 durch Daniel Schulz: „moler und Bürger / zu Windsheim
hot diesen Altar gemolt / und nur 70 R Gulden gehobt er wolt
in sunst noch besser gemacht haben.“ Riemenschneider selbst
hatte der Witwe für seinen Altar 75 Gulden berechnet. Nach
einem Stadtbrand am 3. Dezember 1730, der auch die Kilianskirche
zerstört hatte, galt der Riemenschneider-Altar lange Zeit
als verschollen.
Erst 1840, am 6. April, hat ausweislich einer Bleistiftaufschrift „Johann
Weidner, Tischlergeselle aus Retzbach bei Meister Th. Ditrich
in Würzburg diesen Altar zum zweiten mahl Repariert“ und
die Figuren des Mittelschreins sowie die beiden Seitenflügel
mit einer neuen Schicht grellbunter Farben und stellenweise starker
Vergoldung versehen. In diesem Zustand kam er schließlich
nach Heidelberg.
Das Thema der Apostelgemeinschaft erfreute sich im Vorfeld der
Reformation allgemein großer Beliebtheit. In Zeiten des
Umbruchs scharte man die Jünger als unerschütterliche
Verkünder des Evangeliums um den Erlöser der Welt.
In einem schlichten Holzschrein, der in der Kirche ursprünglich
nur an hohen Festtagen geöffnet wurde, fällt der Blick
des Betrachters auf den zentral postierten Christus, umgeben
von seinen Begleitern, die er, als letzten Ausklang der mittelalterlichen
Bedeutungsperspektive, um Haupteslänge überragt.
In der linken Hand hält er die Weltkugel. Die Rechte ist
zum Segensgruß erhoben. Die große Ohrenfalte des
Mantels unterstreicht neben der Körpergröße die
herausgehobene Bedeutung des Heilands. Auf ihn ausgerichtet sind
die zwölf Apostel, die scheinbar im Gespräch untereinander
in Beziehung treten. Die beiden Brüder Petrus und Andreas
umgeben Christus links und rechts. Es folgen der bartlose Johannes,
Lieblingsjünger des Herrn, und Thomas, der Zweifler, links,
ihnen gegenüber, stehen Jakobus d.J. und Jakobus d.Ä.
mit Pilgerstab und Hut. Auf dem linken Flügel findet sich
als Dreiergruppe Paulus mit Schwert und halb verdeckt dahinter
Judas Thaddäus, daneben Philippus mit dem Martyriumskreuz
und Spuren des Kirchenbrandes auf dem Handrücken. Bartholomäus,
Mathias und Simon mit der Säge zieren das rechte Relief.
Auf den Außenseiten der Flügel sind die Evangelisten
Lukas und Markus aufgemalt.
1954 wurde unter dem rechten Seitenrelief die Kreidezeichnung
einer Frau entdeckt, offenbar eine Bewegungsstudie des Meisters.
Die Virtuosität seiner Schnitzkunst zeigt sich darüber
hinaus an der individualisierten, fast porträthaft erfolgten
Ausmodellierung der Figuren, ihrer Gesichter, Frisuren, Hände
und Gewänder. Die Feinheit der Holzbehandlung macht verständlich,
warum Riemenschneider das Retabel in einer monochromen Bernsteinlasur
und nicht durch eine allgebräuchliche Farbfassung wirken
lassen wollte. Dargestellt ist die Aussendung der zwölf
Apostel durch den auferstandenen Christus, aller Welt das Evangelium
zu verkünden (Mt. 28, 18 - 20).
Riemenschneiders Bekanntheit reichte schon zu Lebzeiten weit über
die Grenzen Würzburgs hinaus. Geboren um 1460 in Heiligenstadt
im Eichsfeld, verbrachte der Sohn eines Münzmeisters seine
Jugend in Osterode im Harz. Um 1473 erlernte er das Bildhauer-
und Bildschnitzerhandwerk und trat am 7. Dezember 1483 in die
Würzburger Gilde der Maler ein. 1504 wurde er in den städtischen
Rat aufgenommen, vom Oktober 1505 bis November 1507 war er Baumeister
der Stadt und von 1509 bis 1510 als Fischmeister, d.h. Organisator
und Finanzverwalter für die Instandhaltung der Stadtgräben
zuständig. In Würzburg feierte er höchste politische,
künstlerische und wirtschaftliche Erfolge, bis er seine
Parteinahme im Bauernkrieg gegen den Fürstbischof von Würzburg
1525 mit Kerkerhaft und dem Entzug seines Vermögens bezahlen
musste. Ohne Aufträge geriet er bald in Vergessenheit und
starb 1531 in der unterfränkischen Metropole.
Frieder Hepp
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