Kurpfälzisches Museum Heidelberg:

Das Kunstwerk des Monats

August 2002

Hans Daucher:
(Frankfurt/Oder 1491 - 1569 Hofgastein)

Das Urteil des Paris

- Sammlungsblatt -

Am 18. Oktober 1529 heiratete der Neuburger Herzog Pfalzgraf Ottheinrich Susanna von Bayern, die Witwe des Markgrafen Kasimir von Brandenburg-Ansbach, Schwester der Herzöge Wilhelm und Ludwig von Bayern. Bereits als Sechzehnjähriger war er der Gleichaltrigen auf dem Reichstag zu Augsburg begegnet, als er sie im Gefolge Kaiser Maximilians als Page empfangen und nach der Trauung zur Hochzeitsfeier nach Ansbach geleiten durfte. Wenn sich auch Susanna rein äußerlich vollkommen von Ottheinrich unterschied, sie sei „ganz rank und klein von leip gewest“, weiß die Zimmersche Chronik zu berichten, so scheinen beide doch in ihrer Wesensart durchaus ähnliche Züge gehabt zu haben. Beide gingen gern zur Jagd, und sie liebten die Musik, den Tanz und fröhliche Feste.
Nach Ausweis der ausführlichen Bauinschrift ließ Ottheinrich für seine Gemahlin das Jagdschloss Grünau, östlich von Neuburg, an der Stelle eines ehemaligen hölzernen Jagdhauses errichten und im Inneren mit höfischen Jagdszenen, aber auch mit derb sinnlichen Wandmalereien ausschmücken. Dies wurde ebenso als Beweis für den „gesunden Sinn der Beiden für alles Natürliche und Lustige" (Poensgen) herangezogen wie das Steinrelief von Hans Daucher, das Ottheinrichs Gattinnenwahl im Bild des in der Renaissance verbreiteten Motivs des Parisurteils wiedergibt.

Paris war der Sohn des Königs Priamos von Troja und dessen Gattin Hekabe. Der junge Mann, angeblich von unvergleichlicher Schönheit, verbrachte seine Tage unbeschwert mit dem Hüten der väterlichen Schafe auf dem Berg Ida, bis Hermes, der Götterbote, ihm Hera, Pallas Athene und Aphrodite zuführte, zu urteilen, welcher der drei Göttinnen der goldene Apfel mit der Aufschrift „der Schönsten" gebühre. Bekanntlich entschied sich Paris für Aphrodite, die ihm als Gegenleistung die Liebe der schönsten Frau der Welt versprach, während er die Bestechungsversuche der Göttermutter Hera, Herrschaft über die Erde, und auch das Angebot von Pallas Athene, ewige Unbesiegbarkeit, leichtfertig ausschlug. Damit provozierte Paris den Raub der schönen Helena und verursachte letztlich den Untergang seiner Heimatstadt im trojanischen Krieg.Nach klassischem Heldenverständnis verlor der trojanische Königssohn, indem er den von Aphrodite gebotenen Preis wählte, alle Attribute der Männlichkeit, mit der ihn Hera und Athena ausgestattet hätten. Der schöne Schiedsrichter wurde zum „Weiberheld", oder wie Sebastian Brant in seinem Narrenschiff (1494) diejenigen verspottete, die sich von „Frow Venus mit dem stroewen ars" verführen ließen, zu einem „gouch" (Kap. 13 „Von buollschaft"). Es stellt sich also die Frage, warum der Augsburger Bildhauer und Medailleur Hans Daucher, der in den Jahren 1522 bis 1529 Ottheinrich mehrfach auf Medaillen porträtierte, 1529 eine Schaumünze zu seiner Vermählung anfertigte und den jungen Neuburger Herzog in dem Steinrelief „Drei christliche Helden" mit Karl dem Großen und Gottfried von Bouillon, dem Kreuzfahrerkönig von Jerusalem, zusammen sogar als König Artus feierte, für die künstlerische Darstellung seines Freierglücks ausgerechnet das wenig vorteilhafte Bild des Paris wählte.

Das im Original aus Kehlheimer Stein geschnittene „Parisurteil" folgt zeitgenössischen Vorlagen, vor allem zwei Darstellungen von Lucas Cranach d. Ä. Paris, unschwer als Ottheinrich zu erkennen, lehnt schlafend am Stamm eines ausladenden Baumes. Der Ritter hat den linken Handschuh abgestreift und vor sich neben den mit Straußenfedern bewehrten Helm auf den Boden geworfen. Aufmerksam hält ein treuer Jagdhund die Wacht, während hinter dem Baum das Reitpferd, gesattelt und gezäumt, mit hoch erhobenem Haupt auf das Erwachen seines Reiters wartet. Gegenüber auf der rechten Bildhälfte haben die drei Göttinnen sich soeben ihrer Gewänder entledigt und zeigen sich unter dem Geäst eines Laubbaumes in ihrer vollkommenen göttlichen Nacktheit, eine im Profil, die andere von vorne und die dritte a tergo. Fern am Horizont erkennt man Neuburg an der Donau, eingerahmt von der herrschaftlichen Burg am rechten Bildrand und dem Jagdschloss Grünau auf der linken Seite. Am Himmel ist ein Reiher durch ein geschicktes Flugmanöver dem Angriff eines Jagdfalkens ausgewichen, womit auch der eigentliche Grund für die Rast des Ritters ersichtlich wird. Er wartet auf die Rückkehr seines Jagdvogels und ist dabei eingeschlafen.

In diesem Augenblick erscheint Hermes in Gestalt eines Hofjunkers, weckt den schlafenden Jäger mit seinem Stab und präsentiert ihm die drei unvollkommen gekleideten Göttinnen, welche um die Gunst des Jünglings werben. Die vorderste, von Hermes an der Hand geführt, trägt die Züge von Ottheinrichs Gattin Susanna.

Vergleicht man das Parisurteil Dauchers mit den beiden Vorlagen von Lucas Cranach d. Ä. im Wallraf-Richartz Museum in Köln (1512/14) und dem Statens Museum für Kunst in Kopenhagen (1528), aber auch mit den Gemälden „Die Geschichte des Paris" von Mathias Gerung im Louvre oder „Amor omnia vincit" im Puschkin Museum in Moskau, so erkennt man unschwer, dass Daucher insgesamt den Kompositionsprinzipien seiner Vorlagen folgt, im Detail aber entscheidende Abweichungen vorgenommen hat. So liegt der Zankapfel, eigentlicher Anlass für den Schönheitswettbewerb der Göttinnen, achtlos auf dem Boden, auch vermisst man den bogenspannenden Amor, der die Entscheidung des Paris zugunsten seiner Herrin unzulässig beeinflusst. Entscheidend aber ist, dass Hermes dem soeben erwachten Ritter nicht die am rechten Bildrand stehende, an ihrem offenen Haar und an ihrem „stroewen ars" leicht zu erkennende Aphrodite Kallipygos („die Schöngesässige") zuführt, sondern Hera, die weniger grazile Göttermutter, die ihr Haar züchtig unter einer Netzhaube trägt. Die jungfräuliche Pallas Athene bleibt klug im Hintergrund, gibt aber durch ihre eindeutige Handhaltung zu verstehen, dass sie mit der Gattenwahl des Ritters einverstanden ist.

So konnte Ottheinrich einerseits seiner Vorliebe frönen, sich als Mitspieler in den antiken Mythos einzuschalten, gleichzeitig aber gab er dem Urteil des Paris eine persönliche Wendung. Diese entsprach einmal den realen Begebenheiten, denn immerhin heiratete er eine Witwe, die in ihrer ersten Ehe bereits fünf Kinder zur Welt gebracht hatte und nach landläufiger Vorstellung keine Venus war. Andererseits machte er deutlich, dass seine Gattenwahl nicht aus blinder „buollschaft" heraus erfolgte, sondern aus Klugheit und der Absicht, den Fortbestand der Familiendynastie zu sichern. Im Unterschied zu Paris hatte sich also der Pfalzgraf und künftige Kurfürst der Kurpfalz für Hera entschieden, und damit für die Macht und deren Erhalt.

Ottheinrich entging indes seinem Schicksal nicht. Wie das Urteil des trojanischen Helden, so stand auch seine Ehe unter keinem günstigen Stern. Entgegen allen Erwartungen blieb die Ehe kinderlos, Susanna starb im Jahre 1543 und die alte Kurlinie, die seit Ruprecht l. die rheinische Kurwürde innehatte, erlosch.

Frieder Hepp

Literatur:

Anja-Franziska Eichler, Mathias Gerung (um 1500-1570), Die Gemälde. Europäische Hochschulschriften: Reihe 28, Kunstgeschichte; Bd. 183, Frankfurt/ Main u.a. 1993.

Frieder Hepp, Wegbereiter einer neuen Zeit. Kurfürst Ottheinrich zum 500. Geburtstag, in: Die Pfalz. Zeitschrift für Politik, Kultur und Wirtschaft Jg. 53, Nr. 1, S. 6f.F

Frieder Hepp, „Mit der Zeyt." Kurfürst Ottheinrich als Landesherr, in: Pfalzgraf Ottheinrich. Politik, Kunst und Wissenschaft im 16. Jh. Hg. von der Stadt Neuburg a. d. Donau, Regensburg 2002, S 94-107.

Poensgen, Georg (Hg.), Ottheinrich. Gedenkschrift zur vierhundertjährigen Wiederkehr seiner Kurfürstenzeit in der Pfalz (1556 - 1559), Ruperto Carola, Sonderband, Heidelberg 1956. Reitzenstein, Alexander von, Ottheinrich von der Pfalz, Bremen/Berlin 1939.

siehe auch: Hans Daucher:
Die drei christlichen Helden

Aphrodite Kallipygos
Didaktik: Mythen
Ottheinrich
Abguss des Steinreliefs im Staatlichen Museum Berlin-Dahlem
(Gips)
Hans Daucher, um 1529
21 x 19 cm, Inv.Nr.  PS 246
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