Schwere Samtmäntel, kostbare Seidenwämser, filigrane
Kragen und prunk-voll geschmückte Kopfbedeckungen: Rund
50 Kleidungsstücke aus der Zeit zwischen 1530 und 1650 lassen
Besucher ab Donnerstag, 3. Dezember im Germanischen Nationalmuseum
in die opulente Kleiderwelt der frühen Neuzeit eintauchen.
Zeitgenössische Gemälde, historische Trachtenbücher
und kontroverse Flugblätter ergänzen die einzigartige
Präsentation. Sie verdeutlichen, dass neue Moden nicht nur
bewundert, sondern durchaus auch kritisch beäugt wurden.
Accessoires für die Kleiderpflege erlauben zudem Einblicke
in den Kleideralltag vor rund 400 Jahren.
Mode-Originale: Kleidung von 1530 bis 1650
Die kostbaren Textilien bilden den Kern der Ausstellung. Sie
alle gehören dem Germanischen Nationalmuseum, dessen Sammlung frühneuzeitlicher
Kleidung weltweit zu den ältesten, bedeutendsten und umfangreichsten
zählt. Die fragilen, historischen Originale erlauben unmittelbare
Nahsichten auf Stoffe, Formen und Machart. Kuratorin Dr. Jutta
Zander-Seidel freut sich besonders, dass der wertvolle Bestand
nun erstmal auch öffentlich und in seinem kulturhistorischen
Kontext zu sehen ist.
Grünes Wams mit „Gänsbauch“, um 1580/1600
Seidenatlas mit Schlitzmuster
54 cm lang
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Das Wams, ein Oberteil mit Knopfleiste, langen Ärmeln,
betonter Taille und Schoß, wurde von beiden Geschlechtern
getragen. Inspiriert von vorne schmal zulaufenden Rüstungen,
wurde es um 1600 auch im nicht-militäri-schen Bereich Mode,
die Bauchpartie zu einem so genannten „Gänsbauch“ auszupolstern.
Als Leib- und Nachtwäsche diente vermutlich das Kamisol,
eine leichte gestrickte Jacke, dessen prachtvolles Strickmuster
gewebte Seidenstoffe nachahmte. Von italienischen und spanischen
Höfen ausgehend, kam der Mantel um 1520 immer mehr in Mode.
Aus einem Kreissegment geschnitten und mit Stehkragen oder Kapuze
versehen, wurde er zum festen Bestandteil der Repräsentationskleidung.
Wie damals den gesellschaftlichen Auftritt komplettieren Hüte
und Kragen in der Ausstellung die umfassende Präsentation.

oben:
Wams mit Schlitzen, um 1630/40, Veränderungen 1875 und 1954/57
Seidenatlas, weiß, punziert
Gesamtlänge 61,5 cm
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
links: Grabkleid
der Katharina Gräfin zur Lippe, 1600 oder wenig früher,
mit Ergänzungen nach 1970
Seidensamt, Kettsamt, wohl Italien, mit Metallspitzen
83 cm hoch x 78 cm breit x 90 cm tief (in montiertem Zustand)
Detmold, Lippisches Landesmuseum
Mode-Ansichten: Von Bewunderung bis Entsetzen
Kostüme und Gemälde veranschaulichen die höchsten
Ansprüche, die sich real und auf Porträts mit Kleidung
verbanden. Vor allem auf großformatigen Repräsentationsbildnissen
diente ein aufwendiges Äußeres der Inszenie-rung von
Persönlichkeit und Status. Flugblätter nutzten dagegen
Kleidung zur Gesellschaftskritik. Kritische Darstellungen gaben
neue Moden der Lächerlichkeit preis und bezichtigten den
Träger der Sünde der Eitelkeit. Moralische Instanzen
tadelten den „häßlichen langen ausgefülte
Gänßbäuch, […] [der] wie ein Erker an
eim Hauß hanget“.
Zwischen 1550 und 1600 erschienen zudem die ersten gedruckten
Trachtenbücher, die Kleidermoden aus fernen Ländern
bekannt machten. Mit Kleidung im ausländischen Stil konnte
fortan Weltläufigkeit und Interesse an fremden Kulturen
ausgedrückt werden. Parallel sah man die Übernahme
exotischer Moden aber auch als Angriff auf die eigene Identität.
Mode-Alltag: Kleiderherstellung und -pflege
Zum ersten Mal ausgestellt sind archäologische Funde aus
einer Schneiderwerkstatt aus der Zeit um 1600. Selten erhaltene
Zeugnisse aus dem Bereich der Textilpflege – wie Fingerhüte,
Näh- und Stopfnadeln, zierliche Meißel, Scheren oder
Kleiderbürsten – zeigen die authentischen Arbeitsgeräte,
mit denen Kleidung einst bearbeitet und gereinigt wurde.
Eine besondere Rarität bilden die Einzelteile eines Turnierwamses,
eine großzügige Leihgabe aus der Königlichen
Leibrüstkammer in Stockholm. Für ein Schauturnier anlässlich
der Hochzeit der Schwester des schwedischen Königs 1615
waren neue Wämser bestellt worden. Die Zuschnitte trafen
zu spät bei Hofe ein, weshalb sie nicht mehr zusammengenäht
wurden. Ein seltener Glücksfall, denn so sind die Form
von Ober-, Vorder- und Rückenteilen, von Ober- und Unterärmel,
Schulterstreifen, Schößen und Kragen noch heute zu
erkennen.

Zuschnitte für ein Turnierwams, 1615.
Leder mit Gold- und Silberstickerei,
53 cm lang
Stockholm, Livrustkammaren
Neben der Königlichen Leibrüstkammer Stockholm gaben
auch andere internationale Sammlungen bedeutende Leihgaben nach
Nürnberg, u.a. das Metropolitan Museum of Art in New York,
das Victoria & Albert Museum in London und das Kunsthistorische
Museum in Wien.
Hans
Mielich: Herzogin Anna von Bayern in ganzer Figur, 1556
Malerei auf Leinwand
211,5 cm hoch x 115,5 cm breit
Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie
Katalog Begleitend zur Ausstellung ist ein
Katalog mit Abbildungen aller Exponate, Beiträgen zu aktuellen Forschungsergebnissen
und Texten zur Restaurierung und Konservierung zum Preis von
28,50 € erschienen. Führungen jeden Sonntag um 14 Uhr und jeden Mittwoch um
18 Uhr
Öffnungszeiten Dienstag – Sonntag: 10 – 18 Uhr Mittwoch:
10 – 21 Uhr
Eintritt 8,- €, erm. 5,- € Mittwoch ab 18 Uhr: Eintritt
frei
Buchung privater Führungen beim Kunst- und Kulturpädagogischen
Zentrum der Museen (KPZ) unter Tel. +49 (0)911/1331-238 oder
erwachsene@kpz-nuernberg.de
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