Die Französische Revolution

Copyright des Textes: Dr. Christoph Bühler, Heidelberg

Das vorrevolutionäre Frankreich Von den Generalständen zur Revolution Die Herrschaft der Nationalversammlung Die Diktatur der Jakobiner - Die Schreckensherrschaft Die bleibenden Errungenschaften der Revolution Probleme und Schwierigkeiten der Revolution

Zeittafel

A. Das vorrevolutionäre Frankreich

1. Das absolutistische System

Für den Ausbruch der Französischen Revolution sind die Mißstände des absolutistischen Systems verantwortlich, insbesondere die unterschiedliche Verteilung der Lasten: Geistlichkeit und Adel waren die privilegierten Stände (als 1. und 2. Stand gezählt), sie bezogen ihren Lebensunterhalt ausschließlich aus bäuerlichen Abgaben und Leistungen sowie aus königlichen Pensionen, sie waren darüber hinaus von Steuern teilweise befreit. Zwischen Adel und Bauern stand das Bürgertum der Städte, zusammen mit den Bauern als Dritter Stand (frz. Tiers État) gezählt. Sein großbürgerlicher Teil war zwar durch die Wirtschaftspolitik des Merkantilismus reich geworden, forderte aber gerade aus dieser wirtschaftlichen Machtstellung heraus um so mehr politische Mitwirkung. Der kleinbürgerliche Teil (Handwerker und Kleinhändler) litt unter dem von den Großbürgern ausgehenden Konkurrenzdruck und trug vor allem an den allgemeinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der 1780er Jahre. Schon unter diesem Gesichtspunkt entstand eine politisch-soziale Spannung, die dem Mißverhältnis in den lombardischen Städten des Hochmittelalters oder den deutschen Bischofsstädten des 13. Jahrhunderts ähnlich war.

Zu diesen Spannungen traten die politischen Gedanken der Aufklärung, wie sie wenige Jahre vorher in der Verfassung der Vereinigten Staaten formuliert wurden. Sie stilisierten die Reformunfähigkeit des Königtums unter Ludwig XVI. zur absolutistischen Tyrannei hoch, obwohl gerade dieses Königtum durch eine Fülle von Instanzen (Gerichtshöfe, Provinzialstände etc.) daran gehindert war, eine absolute Macht im Stil der Denker des 16. und frühen 17. Jahrhunderts zu errichten.

Dem privaten Reichtum der bürgerlichen Schichten stand der Bankrott des Staates gegenüber, dessen Ausgaben am Vorabend der Revolution die gesamten Einnahmen um 126 Millionen Livres (= 20% der Ausgaben) überstiegen; allein die Aufwendungen für die Zinsen der Staatsschulden verschlangen schon über die Hälfte des gesamten Etats (318 Mill. Livres oder 63% der Einnahmen!). Als Gründe für diesen Staatsbankrott sind verschwenderische Hofhaltung (6% des Etats) zu nennen und eine Serie von außenpolitischen Rückschlägen und militärischen Abenteuern - der Siebenjährige Krieg brachte den Verlust der nordamerikanischen Kolonien an England, das französische Engagement im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg auf Seiten der Amerikaner kostete an die 2 Milliarden Livres, die ausschließlich durch Anleihen gedeckt wurden. Ende der 1780er Jahre waren die Quellen für die Aufnahme weiterer Schulden versiegt, der Staat war finanziell handlungsunfähig geworden. Eine generelle Steuerreform war unumgänglich geworden.

Zu dieser Krise des Staates kam eine Wirtschaftskrise, die sich bereits 1770 angekündigt hatte und 1778 voll zum Tragen kam. Sie äußerte sich besonders im Mißverhältnis zwischen Lohn- und Preissteigerungen: einem Preisanstieg von 65% (gegenüber dem Zeitraum 1726-41) standen lediglich Erhöhungen des Lohns von 22% gegenüber; die Folgen wurden noch dadurch verschärft, daß die Besteuerung bis an die Grenzen des Erträglichen ging. Da auch die Pachtzinsen stiegen, war Grundbesitz auch für das Stadtbürgertum eine sichere Anlage - immer mehr Bauern gerieten auf diese Weise in das Landproletariat.

Bei den städtischen Unterschichten, den kleinen Handwerkern und Ladenbesitzern wirkte sich die "Schere" zwischen Preis- und Lohnsteigerung besonders gravierend aus. In Zeiten der Teuerung, d.h. der Ernährungs- und Versorgungskrise, hervorgerufen durch die (das Großbürgertum begünstigende) Freigabe der Getreideausfuhr, durch Mißernten und Viehseuchen, verschlang allein der Brotpreis bereits bis zu 80% des Familieneinkommens. Er erreichte am 14. Juli 1789, am Tag der Erstürmung der Bastille, den höchsten Stand des Jahrhunderts.

Das System des königlichen Absolutismus hatte sich indessen bereits seit einiger Zeit gegen die feudalen Restaurationsbestrebungen des Adels zu behaupten. Sie äußerten sich besonders in den "parlèments" (Parlamente), vom Adel besetzten königlichen Gerichten, vor allem in dem der Hauptstadt Paris. Diese Gerichte hatten die Aufgabe und das Recht, Gesetze und Erlasse des Königs zu registrieren und ihnen damit erst Rechtskraft zu verleihen. Die Gemeinsamkeiten mit dem Großbürgertum erschöpften sich jedoch in dieser Gegnerschaft. Der Adel der Parlèments war im wesentlichen alter Adel, der sich gegen den vom König begünstigten neuen Briefadel abzuschotten suchte.

Die Weigerung des Parlement von Grenoble, die königliche Verordnung zur Schaffung von königlichen Großen Amtsgerichten, die die Kompetenzen des Parlèment stark eingeschränkt hätte, zu registrieren, führte (wie in Dijon, Pau und Rennes) im Juni 1788 zum offenen Aufruhr, der schließlich Geistlichkeit, Adel und Mitglieder des dritten Standes zusammenbrachte. Sie forderten die unverzügliche Einberufung der Generalstände des Königreiches, um dem königlichen Machtanspruch zu begegnen. Vor dieser drohenden Allianz des liberal denkenden Adels mit dem Großbürgertum kapitulierte das Königtum und setzte die Parlèments wieder in ihre alten Rechte ein. Diese Parlèments aber waren weiterhin vom alten Adel beherrschte Institutionen; sie waren nicht gewillt, mit dem Dritten Stand auch in Fragen der Gleichberechtigung weiter zusammenzuarbeiten.

2. Die Generalstände

Ein Ausweg aus der Finanzkrise des Staates, aus dem drohenden Staatsbankrott schien nur möglich, wenn die Einkünfte - durch Gewinnung eines allgemeinen Konsenses - erhöht würden. Durch die Rechte der Parlèments führte an einer Einberufung der Generalstände, die allein das Recht der Steuerfestsetzung hatten, kein Weg vorbei. Die Krone berief daher die Generalstände ein (8. August 1788), die zum letzten Mal 1614 zusammengetreten waren. Nach Beschluß des Pariser Parlèment (vom 21. September 1788) war die Versammlung in derselben Zusammensetzung wie 1614 einzuberufen, das heißt mit je 300 Abgeordneten des 1., 2. und 3. Standes. Am 5. Dezember wurde dem Dritten Stand eine Verdoppelung seiner Abgeordneten von 300 auf 600 Mitglieder zugestanden. Die Kernfrage des Abstimmungsmodus (nach Köpfen statt wie bisher nach Ständen) wurde jedoch nicht berührt. Abstimmung nach Köpfen und damit die Durchsetzung des Mehrheitsprinzips aber hätte die Stimmenverhältnisse eindeutig zu Gunsten des Dritten Standes verschoben, da zahlreiche geistliche Abgeordnete und die liberalen Vertreter des Adels mit dem Dritten Stand zusammen zu Reformen bereit waren.

Zur Vorbereitung der Wahl wurden von allen drei Ständen Beschwerdehefte, "Cahiers de doléance", verfaßt, von denen die des Dritten Standes in den Urwählerversammlungen diskutiert und zur Annahme beschlossen wurden; die Vertreter der Intelligenz waren schon in diesen Versammlungen die Wortführer. Berühmt wurde die in diesem Zusammenhang entstandene Schrift des Abbé Sieyès "Qu'est-ce le Tiers État?". Die Existenz und weite Verbreitung dieser Cahiers zeigt das Fortschreiten des Pressefreiheit während der Vorbereitungen zur Wahl.

In den Beschwerden, die in den Cahiers des Dritten Standes festgehalten wurden, spiegelt sich die Interessenlage des Großbürgertums, die Beschwerdepunkte und Reformforderungen von Kleinbürgern und Bauern wurden oft gestrichen. Einhelligkeit gab es vor allem in folgenden Punkten:

- Einschränkung der Machtbefugnisse des Königs;

- Schaffung einer nationalen Vertretung, die Steuern bewilligt und Gesetze beschließt;

- Schaffung gewählter Provinzialstände zur Verwaltung;

- Neuordnung des Steuerwesens und des Staatshaushalts;

- Garantie der Freiheit der Person und der Presse;

- Abschaffung der innerfranzösischen Zollschranken, was vor allem den Interessen des Großbürgertums entsprach.


3. ABBÉ SIEYES: WAS IST DER DRITTE STAND?

Emmanuel-Joseph Sieyès (1748-1836), 1780 Generalvikar, 1788 Kanzler der Diözese Chartres und Mitglied des Ersten Standes. Sièyes schrieb seinen Aufsatz über den Dritten Stand während der Vorbereitungen zur Einberufung der Generalstände im Jahre 1788. Er erschien im Januar 1789 im Druck.

In klaren, kurzen Fragen und Antworten entwirft er das Programm einer Bevölkerungsgruppe, die sich des Mißverhältnisses zwischen Macht und politischem Einfluß bewußt wird: Was ist der Dritte Stand? - Alles. Was ist er bis jetzt in der politischen Ordnung gewesen? - Nichts. Was verlangt er? - Etwas zu sein.

Im Anschluß an diese Fragen stellt er fest, daß der Dritte Stand 25 Millionen Menschen vertrete und über die Interessen der Nation berate, während die anderen beiden Stände - mit der Vollmacht von ca. 200000 -nur an ihre eigenen Privilegien dächten. Da der Dritte Stand allein aber keine Generalstände im herkömmlichen Sinn bilden könne, müsse er den Rang einer Nationalversammlung annehmen.

Kernsätze seiner Flugschrift sind neben der Identität des Dritten Standes mit der Nation die Angriffe auf den Adel: für die Gesellschaft sei er nur eine Belastung, aber nicht von Nutzen, seine Privilegien seien - eben wegen seiner Nutzlosigkeit - nicht mehr gerechtfertigt. Rousseaus Gesellschaftsvertrag entspricht seine Forderung, die Nation sei die einzige Quelle von Recht und Gesetz.

In der Formulierung des "Alleinvertretungsanspruchs" lag für die Folgezeit die Rechtfertigung für den Schritt der Versammlung des Dritten Standes, sich zur Nationalversammlung zu erklären. Sieyès hatte an diesem Schritt neben Mirabeau wesentlichen Anteil. Ebenso tragen die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte und die Verfassung von 1791 wesentlich seine Handschrift.

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Dieser Text erschien in: Abitur-Training Grundkurs Geschichte 1. 1. Aufl. 1989, Stark-Verlag, Freising, und wurde in der Neuauflage des Bandes nach der Revision des Baden-Württembergischen Lehrplans nicht mehr abgedruckt.

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