Zwangsarbeit - Lager vor Ort -
Lebensverhältnisse der ausländischen Arbeiter
aus dem Westen und Osten

Die Fremdarbeiter aus dem Westen erhielten für die schwere Arbeit, die sie leisten mussten, den gleichen Lohn wie die Deutschen, waren aber oft nicht entsprechend ihrer Ausbildung eingesetzt und daher unzufrieden.
Auch die Arbeitszeit entsprach weitgehend derjenigen der deutschen Arbeiter, über die häufigen Sonntagsschichten beklagten sie sich ebenso wie ihre deutschen Kollegen.
Mit der Ernährung in den Lager- und Betriebsküchen waren sie nicht zufrieden, was die Qualität des Essens betraf - Klagen wegen zu geringer Portionen tauchen seltener auf.
Die Beschwerden über das Urlaubsverbot, die Ausschreitungen des Lagerpersonals schlechtes Schuhwerk erinnern in Inhalt und Form sehr an die Beschwerden der deutschen Arbeiter beim Westwallbau oder in den Arbeitslagern beim Autobahnbau in den Vorkriegsjahren.
Dennoch unterschied sich die Situation der Westarbeiter von derjenigen der Deutschen nach wie vor erheblich - nicht allein durch die materiellen Bedingungen, sondern auch durch Demütigungen und Diskriminierungen: Erniedrigende Strafen wie Prügel bei Urlaubsüberschreitung führten auch den Westarbeitern vor Augen, daß sie nicht als willkommene "Gastarbeiter" in Deutschland waren, sondern als Angehörige besiegter Feindstaaten in einem faschistisch regierten Land.

(Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches; Bonn 1999, S. 333)

Ostarbeiter

Die Briefe der Arbeiter und Arbeiterinnen aus der Sowjetunion zeigen, dass deren Arbeits- und Lebensbedingungen in Deutschland erheblich schlechter waren als diejenigen der Westarbeiter.
Von der Gesamtmenge der zensierten Post erhielten im März 1943 98% "für Deutschland ungünstige Bedingungen", nur 2% äußerten sich positiv.

Die Hauptbeschwerden waren:

  • lange Arbeitszeit bis zu 18 Stunden
  • schwere, schmutzige Arbeit, keine Ruhetage
  • unzureichende Kleidung und Schuhwerk
  • Klagen über zu kalte Baracken und Ungeziefer
  • Klagen über zu geringen Lohn bzw. nicht erhaltenen Lohn
  • mangelnde ärztliche Behandlung, Nichtanerkennung des Krankseins
  • Leben hinter dem Stacheldrahtzaun
  • Beschränkung der Freizeit, Ausgehverbote an freien Tagen
  • Behandlung als Menschen zweiter Klasse, Beschimpfungen
  • Schläge als Mittel der Disziplinierung
  • miserable Ernährung: dünne Suppen, ungeschälte Kartoffeln, Kohlrüben, nicht ausreichende Brotzuteilungen (150 g, 200 g)

Anfang 1943 sind zwei entgegen gesetzte Trends in den Lebensverhältnissen der ausländischen Arbeiter zu verzeichnen. Einerseits nahmen die Bemühungen der Betriebe und Behörden zur Steigerung der Arbeitsleistung seit Januar 1943 erheblich zu, was auch Verbesserungen in den Lebensbedingungen der West- und Ostarbeiter umfassen sollte.
Andererseits stellen alle Zensurberichte im Frühjahr 1943 fest, dass sich aber die tatsächliche Lage der Ausländer verschlechterte. Hierfür waren nicht zuletzt die Auswirkungen der Bombenangriffe verantwortlich, denn in den zerbombten Lagern waren die Lebensbedingungen der Bewohner gleichermaßen unzureichend, unabhängig von der Nationalität; - die Bomben der Alliierten zerstörten mit den Fabriken und Lagern auch ein Stück der so sorgfältig aufgebauten Hierarchie unter den Fremdarbeitern im Nazideutschland.

(Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches; Bonn 1999, S. 334)

Zum Widerspruch schlechter Behandlung und guter Arbeitsleistung

Seit 1943 erhöhten sich die Arbeitsleistungen der ausländischen Arbeiter stark, während sich ihre Lebensbedingungen im gleichen Zeitraum verschlechterten.
Eine große Bedeutung kam sicherlich der Leistungsernährung und der Durchsetzung des Akkordsystems zu. Dort, wo dieses System funktionierte, waren die einzelnen darauf angewiesen, ihre Lebensbedingungen durch erhöhte Arbeitsleistungen zu verbessern oder erträglicher zu gestalten.
In vielen Betrieben gingen die Betriebsführungen dazu über, Übersoll-Leistungen nur noch mit zusätzlichen Lebensmitteln zu belohnen - in manchen Betrieben erhielten die Ostarbeiter bei guten Leistungen eine "polnische Suppe" oder "ein Westarbeiteressen".
Daneben stellte gegenüber den oft chaotischen Verhältnissen im Lager die Arbeit selbst für viele ausländische Arbeiter offenbar ein Element von Kontinuität und Sicherheit dar, die Arbeitsstelle war oft der einzige Ort, an dem sie, wenn sie arbeiteten, eine Zeitlang in Ruhe gelassen wurden.
Gerade für diejenigen, die qualifiziert eingesetzt wurden, bedeutete Arbeitsleistung auch ein Stück Selbstbehauptung und Bewahrung der persönlichen Identität.
So schlecht die Behandlung und so erniedrigend der Status etwa eines Ostarbeiters auch war, durch gute Arbeit und hohe Leistung konnte er der Reduktion seiner Person auf einen anonymen Produktionsfaktor zumindest entgegenarbeiten, um sich und den deutschen Kollegen zu zeigen, dass er sich mit der Situation, in der er sich befand, nicht abfinden wollte.
Die Wertschätzung des guten Arbeiters ...... war gerade für die besonders diskriminierten ausländischen Arbeitergruppen von Wichtigkeit, weil sie für die Erhaltung des eigenen Selbstwertgefühls konstitutiv sein konnte.

Gerade für viele Ostarbeiter und Zivilarbeiter aus Südosteuropa verbanden sich schließlich zumindest am Anfang des Arbeitseinsatzes im Reich mit dem Begriff "Deutschland" nicht in jedem Fall in erster Linie Krieg und Faschismus. Hier standen vielmehr oft auch Hoffnungen, Wünsche und Illusionen über ein reiches, hochindustrialisiertes und schönes Land im Vordergrund. Vorstellungen von sozialem Aufstieg und höherem Lebensstandard, Faszination von deutscher Ordnung, Sauberkeit und Technik waren verbreitet. … Doch mit der fortwährenden Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen verschärfte sich auch die Kritik der ausländischen Arbeiter an ihrer Situation, wuchsen Erbitterung und Ablehnung, auch und gerade wenn die Erwartungen und Hoffnungen groß gewesen waren.

(Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches; Bonn 1999, S. 343f)


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