ZUM
 

Sie befinden sich hier: Poetik

Variation über Wittgenstein

poetik

   
der "tractatus logico-philosophicus" angelegt an die
kompositorische technik und ästhetik in der musik von
erwin koch-raphael
 
 
 

praefixum

 
AM ANFANG jederKomposition steht eine SETZUNG.
Der Prinzipalrhythmus. Die zeitlinie, ein Sachverhalt.
Das weitere ist das Folgende.
 
 

wittgenstein

 
 
Der Gegenstand ist das Feste, Bestehende; die KONFIGURATION ist
das Wechselnde, Unbeständige.
 
Die Konfiguration der Gegenstände bildet den SACHVERHALT.
 
Im Sachverhalt hängen die Gegenstände ineinander, wie die Glieder
einer KETTE.
 
Wir machen uns KLANGBILDER der Tatsachen.
 
Das Klangbild ist ein MODELL der Wirklichkeit.
 
Das Klangbild ist eine TATSACHE.
 
Dass sich die ELEMENTE des Klangbildes in bestimmter Art und Weise
zueinander verhalten, stellt vor, dass sichdie Sachen so zueinander verhalten.
Dieser Zusammenhang der Elemente des Klangbildes heisse seine
STRUKTUR und ihre Möglichkeit seine Form der Abbildung.
 
Das Klangbild ist so mit der WIRKLICHKEIT verknüpft; es reicht
bis zu ihr.
 
Es ist wie ein Massstab an die Wirklichkeit angelegt.
 
Nach dieser Auffassung gehört also zum Klangbild auch noch die
abbildende Beziehung (ZUORDNUNGEN), die es zum Klangbild macht.
 
Diese Zuordnungen sind gleichsam die FüHLER der Klangelemente,
mit denen das Klangbild die Wirklichkeit berührt.
 
[ich möchte sagen, wenn es nur die äussere Verbindung gäbe, so
liesse sich gar keine Verbindung beschreiben, denn wir beschreiben
die äussere Verbindung nur mit Hilfe der innern. Wenn diese fehlt,
so fehlt der Halt, den wir brauchen, um irgend etwas beschreiben
zu können. Wie wir nichts mit den Händen bewegen können, wenn wir
nicht mit den Füssen feststehen.]
 
Die TATSACHE muss, um Klangbild zu sein, etwas mit dem
Abgebildeten gemeinsam haben.
 
In Klangbild und Abgebildetem muss etwas identisch sein, damit das
eine überhaupt ein ABBILD des anderen sein kann.
 
Im musikalischen SATZ [Begriff umschreibt: Struktur, Mikrostrukturmodelle,
Texturen, Takt- und Taktgruppensyntax, Gesamtanlage usf.]
drückt sich der GEDANKE sinnlich wahrnehmbar aus.
 
[die Übereinstimmung von Satz und Wirklichkeit ist der Übereinstimmung
von Bild und Abgebildetem nur soweit ähnlichwie der Übereinstimmung
zwischen einem ERINNERUNGSBILD und dem gegenwärtigen Gegenstand.]
 
Wir benützen das sinnlich wahrnehmbare ZEICHEN (Laut- oder
Schriftzeichen, Notenzeichen etc.) des musikalischen Satzes als
Projektion der möglichen Sachlage.
Die Projektionsmethode ist das DENKEN des musikalischen Satz-Sinnes.
 
Das Zeichen, durch welches wir den musikalischen Gedanken ausdrücken,
nenne ich das (musikalische) SatzZeichen.
Und DER MUSIKALISCHE SATZ ist das SatzZeichen in seiner
projektiven Beziehung zur Welt.
 
Der musikalische Satz ist kein Gemisch von Tönen.
Er ist artikuliert.
 
Sehr klar wird das WESEN des SatzZeichens, wenn wir es uns, statt
aus Schriftzeichen, aus räumlichen Gegenständen (etwaTischen,
Stühlen) zusammengesetzt denken.
Die gegenseitige räumliche LAGE dieser Dinge drückt dann den SINN
des musikalischen Satzes aus.
 
Der Konfiguration der einfachen Zeichen im SatzZeichen entspricht
die Konfiguration derGegenstände in der SACHLAGE.
 
Das WORT-KLANGBILD vertritt im musikalischen Satz den Gegenstand.
 
Die GEGENSTÄNDE kann ich nur nennen. Zeichen vertreten sie. Ich
kann nur von ihnen sprechen, sie aussprechen kann ich nicht. Ein
musikalischer Satz kann nur sagen, wie ein Ding ist, nicht was es
ist.
 
 
Was in den Zeichen nicht zum Ausdruck kommt, das zeigt ihre
ANWENDUNG. Was die Zeichen verschlucken, das spricht ihre
Anwendung (KOMPOSITION/INTERPRETATION) aus.
 
Nur der Satz hat Sinn; nur im Zusammenhang des musikalischen
Satzes hat einWort-Klangbild BEDEUTUNG.
[man kann sagen: der Sinn des Satzes ist sein ZWECK.]
 
Das Zeichen ist das sinnlich Wahrnehmbare am SYMBOL.
 
Wird ein ZEICHEN nicht gebraucht, so ist es bedeutungslos.
(Wenn sich alles soverhält als hätte ein Zeichen Bedeutung, dann
hat es auch Bedeutung.)
 
Definitionen sind Regeln der ÜBERSETZUNG von einer Sprache in
eine andere. Jede richtige Zeichensprache muss sich in jede andere
nach solchen Regelnübersetzen lassen: Dies ist, was sie alle
gemeinsam haben.
 
Der musikalische Gedanke ist der sinnvolle musikalische SATZ.
 
Der musikalische Satz ist ein Bild der Wirklichkeit.
Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns
denken.
Der MUSIKALISCHE Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie
ICH sie mir denke.
 
Auf den ersten Blick scheint der musikalische Satz-wie er etwa
auf dem Papier gedruckt steht - kein Bild der Wirklichkeit zu
sein, von der er handelt. Auch die NOTENSCHRIFT scheint
auf den ersten Blick kein Bild der Musik zu sein, und unsere
Lautzeichen-(Buchstaben-) Schrift kein Bild unserer Lautsprache.
Und doch erweisen sich diese ZEICHENSPRACHEN auch im
gewöhnlichen Sinne als Bilder dessen, was sie darstellen.
 
Die Grammophonplatte, der musikalische Gedanke, die Notenschrift,
die Schallwellen, stehen alle in jener abbildenden internen
Beziehung zueinander, die zwischen SPRACHE UND WELT besteht.
Ihnen allen ist der logische Bau gemeinsam.
 
Dass es eine allgemeine Regel gibt, durch die der Musiker aus der
Partitur die Symphonie entnehmen kann, durch welche man aus der
Linie auf der Grammophonplatte die Symphonie und nach der ersten
Regel wieder die Partitur ableiten kann, darin besteht eben die
INNERE ÄHNLICHKEIT dieser scheinbar so ganz verschiedenen
Gebilde. Und jene Regel ist das GESETZ DER PROJEKTION, welches
die Symphonie in die Notensprache projiziert. Sie ist die Regel
der Übersetzung der Notensprache in die Sprache der Grammophonplatte.
 
Der musikalische Satz ZEIGT seinen Sinn.
Der Satz zeigt , wie es sich verhält, wenn er WAHR ist.
Und er sagt, dass es sich so verhält.
 
Der musikalische Satz ist die Beschreibung eines SACHVERHALTES.
 
Wie die Beschreibung einen Gegenstand nach seinen externen
Eigenschaften, so beschreibt der Satz die Wirklichkeit nach ihren
internen EIGENSCHAFTEN. Der Satz KONSTRUIERT eine Welt
mit Hilfe eines Gerüstes und darum kann man am Satz auch
sehen (und hören), wie sich alles verhält, wenn er WAHR ist.
 
Ein Satz muss mit alten Ausdrücken einen neuen Sinn mitteilen.
 
Der Satz teilt uns eine Sachlage mit, also muss er wesentlich mit
der Sachlage zusammenhängen.
 
Und der Zusammenhang ist eben, dass er ihr logisches Bild ist.
 
Der musikalische Satz sagt nur insoweit etwas aus, als er ein
Bild ist.
 
Im musikalischen Satz wird gleichsam eine Sachlage probeweise
zusammengestellt.
Man kann geradezu sagen: statt, dieser Satz hat diesen und diesen
Sinn; dieser Satz stellt diese und diese Sachlage dar.
 
Die Möglichkeit des musikalischen Satzes beruht auf dem Prinzip
der VERTRETUNG von Gegenständen durch Zeichen.
 
Am musikalischen Satz muss geradesoviel zu unterscheiden sein,
als an der Sachlage die er darstellt. Die beiden müssen die
gleiche logische Mannigfaltigkeit besitzen.
 
Der PRINZIPALRHYTHMUS (zeitlinie) ist eine Satzvariable.
 
Die SATZVARIABLE bezeichnet den formalen Begriff und ihre Werte
(Konkretisierungen in den jeweiligen Parameterebenen) die
Gegenstände, welche unter diesen Begriff fallen.
 
Jede VARIABLE ist das Zeichen eines formalen Begriffs.
Denn jede Variable stellt eine KONSTANTEFORM dar, welche alle
ihre Werte besitzen, und die als formale Eigenschaft dieser Werte
aufgefasst werden kann.
 
Der einfachste musikalische Satz, der ELEMENTARSATZ, behauptet
das Bestehen eines Sachverhalts und ist eine SETZUNG.
 
Ein Elementarsatz kann Teil des PRINZIPALSATZES (der Satz, wenn
er der Prinzipalrhythmus IST) oder des PRINZIPALRHYTHMUS sein.
 
DIREKTE WORT-KLANGBILDER sind Elementarsätze oder in diese als
SYMBOLE integriert.
 
Der Elementarsatz besteht aus einfachen SYMBOLEN. Er ist ein
Zusammenhang, eine Verkettung, von Symbolen.
 
Das einfache Symbol kommt im musikalischen Satz nur im
Zusammenhange des Elementarsatzes vor.
 
Es ist von vornherein wahrscheinlich, dass die Einführung der
Elementarsätze für das VERSTÄNDNIS alleranderen Satzarten
grundlegend ist. Ja, das Verständnis der allgemeinen Sätze hängt
fühlbar von dem der Elementarsätze ab.
 
Der PRINZIPALRHYTHMUS, der Satz, das Bild, das Modell, sind im
negativen Sinne wie ein fester Körper, der die Bewegungsfreiheit
der anderen beschränkt; im positiven Sinne, wieder von fester
SUBSTANZ begrenzte RAUM, worin ein Körper Platz hat.
 
Einer bestimmten logischen Verbindung von Zeichen entspricht eine
bestimmte logische Verbindung ihrer Bedeutungen; jede beliebige
Verbindung entspricht nur den unverbundenen Zeichen.
 
Das heisst, Sätze, die für jede Sachlage WAHR sind, können
überhaupt keine ZEICHENVERBINDUNGEN sein, denn sonst könnten
ihnen nur bestimmte Verbindungen von Gegenständen entsprechen.
(Und keiner logischen Verbindung entspricht keine Verbindung der
Gegenstände.)
Tautologie (z.B. "repetitive musik") und Kontradiktion (z.B."stille")
sind die Grenzfälle der Zeichenverbindung, nämlich ihre Auflösung.
 
Freilich sind auch in der Tautologie und Kontradiktion die
Zeichen noch miteinander verbunden, d.h. sie stehen in
Beziehungen zueinander, aber diese Beziehungen sind
bedeutungslos, dem Symbol unwesentlich.
 
Tautologie und Kontradiktion sind aber nicht unsinnig; sie
gehören zum SYMBOLISMUS, und zwar ähnlich wie die "0"
zum Symbolismus der Arithmetik.
 
Die KONTRADIKTION ist das Gemeinsame der (musikalischen) Sätze,
was kein Satz mit einem anderen gemein hat. Die TAUTOLOGIE ist
das Gemeinsame aller Sätze, welche nichts miteinander gemein
haben.
 
Die Kontradiktion verschwindet sozusagen ausserhalb,
die Tautologie innerhalb aller Sätze.
Die Kontradiktion ist die äussere GRENZE der Sätze,
die Tautologie ist substanzloser MITTELPUNKT.
 
Tautologie und Kontradiktion sind nicht Bilder der Wirklichkeit.
Sie stellen keine mögliche Sachlage dar. Denn jene lässt jede
mögliche Sachlagezu, diese keine. In der TAUTOLOGIE heben die
Bedingungen der Übereinstimmung mit der Welt - die darstellenden
Beziehungen - einander auf, sodass sie in keiner darstellenden
Beziehung zur Wirklichkeit steht.
 
                          -
 
Angenommen, mir wären alle Elementarsätze gegeben: Dann lässt
sich einfach fragen: welche Sätze kann ich aus ihnen bilden. Und
das sind alle Sätze und so sind sie begrenzt.
 
Die allgemeine musikalische SATZFORM ist eine Variable.
 
Die STRUKTUREN der Sätze stehen in internen Beziehungen zu
einander.
 
Wir können diese internen Beziehungen dadurch in unserer
Ausdrucksweise hervorheben, dass wir einen musikalischen Satz
als Resultat einer Operationdarstellen, die ihn aus anderen
Sätzen (den BASEN der Operation) hervorbringt.
 
Die OPERATION ist der Ausdruck einer Beziehung zwischen den
Strukturen ihres Resultats und ihrer Basen.
 
Die OPERATION ist das, was mit dem einen Satz geschehen muss, um
aus ihm den anderen zu machen.
 
Die Operation zeigt sich in einer VARIABLEN; sie zeigt, wie man
von einer Formvon Sätzen zueineranderen gelangen kann.
Sie bringt den UNTERSCHIED der Formen zum Ausdruck.
(Und das Gemeinsame zwischen den Basen und dem Resultat der
Operation sind eben die Basen.)
 
Die Operation kennzeichnet keine FORM, sondern den Unterschied
der Formen.
 
Dieselbe Operation, die "q" aus "p" macht, macht aus "q" "r" usf.
Dies kann nur darin ausgedrückt sein, dass "p", "q", "r", etc.
Variable sind, die gewisse formale RELATIONEN allgemein zum
Ausdruck bringen.
 
Das RESULTAT einer Operation kann ihre eigene Basis werden.
(Im Unterschied zur FUNKTION, diese kann nicht ihr eigenes
Argument sein.)
 
Nur so ist das Fortschreiten von Glied zu Glied in einer
FORMENREIHE (von Type zu Type ) möglich, also "KOMPOSITION".
 
Die fortgesetzte Anwendung einer Operation auf ihr eigenes
Resultat nenne ich ihre SUCCESSIVE ANWENDUNG.
 
Eine Operation kann die Wirkung einer anderen rückgängig machen.
Operationen können einander aufheben.
 
 
 
                             -
 
 
 
Die allgemeine SATZFORM ist das Wesen des musikalischen Satzes.
 
Das Wesen des Satzes angeben, heisst, das Wesen aller Beschreibung
angeben, also das Wesen der Welt.
 
Die Beschreibung der allgemeinsten (musikalischen) Satzform ist
die Beschreibung des einen und einzigen allgemeinen URZEICHENS
der musikalischen Logik.
 
Es kommt nur darauf an, ein ZEICHENSYSTEM von einer bestimmten
Anzahl von DIMENSIONEN - von einer bestimmten Mannigfaltigkeit -
zu bilden.
 
Es ist klar, dass es sich hier nicht um eine Anzahl von
Grundbegriffen handelt, die bezeichnet werden müssen,
sondern um den Ausdruck einer Regel.
[Dies könnte auch ein Argument gegen den musikalischen
FORTSCHRITTsbegriff der 50er und 60er Jahre sein.]
 
 
                             -
 
 
 
Wie kann die allumfassende, weltspiegelnde MUSIKALISCHE LOGIK so
spezielle Haken und Manipulationen gebrauchen? Nur, in dem sich
alle diese zu einem unendlich feinen NETZWERK, zu dem grossen
Spiegel, verknüpfen.
 
Ist eine NOTATION festgelegt, so gibt es in ihr eine Regel, nach
der Sätze der einen Art gebildet werden, eine Regel, nach der
Sätze der anderen Art gebildet werden, usf. Diese REGELN sind den
Symbolen äquivalent und in ihnen spiegelt sich ihr SINN wider.
 
Man kann die WELT vollständig durch vollkommen verallgemeinerte
Sätze beschreiben. Prinzipalrhythmen (zeitlinien) können solche
Sätze sein, auch ganze Kompositionen.
 
Einvollkommen verallgemeinerter Satz ist, wie jeder andere SATZ
zusammengesetzt.
 
 
Das Eigentümliche der ALLGEMEINHEITSBEZEICHNUNG ist
erstens, dass sie auf ein logisches URBILD hinweist, und
zweitens, dass sie KONSTANTE hervorhebt.
 
Gewissheit, Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Sachlage wird
nicht durch einen Satz ausgedrückt, sondern dadurch, dass ein
Ausdruck eine Tautologie, ein sinnvoller Satz, oder eine Kontradiktion ist.
 
Kennzeichen des zusammengesetzten Symbols: es hat etwas mit
anderen Symbolen gemeinsam.
 
Einen KOMPLEX wahrnehmen, heisst, wahrnehmen, dass sich seine
Bestandteile so und so zueinander verhalten.
 
Wo man Symbole nach einem SYSTEM bilden kann, dort ist dieses
System das logisch wichtige und nicht die einzelnen Symbole.
Und wie wäre es auch möglich, dass ich es in der musikalischen
LOGIK mit FORMEN zu tun hätte, die ich erfinden kann; sondern mit
dem muss ich es zu tun haben, was es mir möglich macht, sie zu
erfinden. Nur was wir selbst konstruieren, können wir vorraussehen.
 
 
                           -
 
 
 
Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die GRENZEN meiner WELT.
 
Was wir nicht denken können, das können wir nicht denken; wir
können also auch nicht sagen ,was wir nicht denken können.
 
Dass dieWelt meine Welt ist, das zeigt sich darin, dass die
Grenzen der Sprache (der SPRACHE, die allein ich verstehe)
die Grenzen meiner Welt bedeuten.
 
Diese Bemerkung gibt den Schlüssel zur Entscheidung der Frage,
in wieweit der SOLIPSISMUS eine Wahrheit ist:
 
Die Welt und das Leben sind Eins.
 
Ich bin meine Welt. (Der MIKROKOSMOS.)
 
Das denkende, vorstellende, Subjekt gibt es nicht.
 
Das SUBJEKT gehört nicht zur Welt, sondern es ist eine
Grenze der Welt.
 
Wo in der Welt ist ein metaphysisches Subjekt zu merken?
Du sagst, es verhält sich hier ganz, wie mit Auge und
Gesichtsfeld. Aber das Auge siehst du wirklich nicht.
Und nichts am Gesichtsfeld lässt darauf schliessen, dass es
von einem Auge gesehen wird.
 
Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein.
Alles, was wir überhaupt beschreiben können, könnte auch
anders sein.
Es gibt keine Ordnung der Dinge apriori.
 
Hier sieht man, dass der SOLIPSISMUS, streng durchgeführt, mit dem
reinen REALISMUS zusammenfällt. Das Ich des Solipsismus schrumpft
zum ausdehnungslosen Punkt zusammen, und es bleibt die ihm
koordinierte Realität.
 
Das ICH tritt in die Philosophie dadurch ein, dass die "Welt meine
Welt ist".
Das philosophische Ich ist nicht der Mensch, der menschliche
Körper, oder die menschliche Seele, von der die Psychologie
handelt, sondern das metaphysische Subjekt, die Grenze - nicht
ein Teil der Welt.
 
                           -
 
 
Es ist klar, dass man zu demselben Zweck statt der Tautologien
auch die Kontradiktionen verwenden könnte.
 
Die musikalischen Sätze beschreiben, insofern sie logisch sind,
das GERüST der Welt, oder vielmehr, sie stellen es dar. Sie
"handeln" von nichts. Sie setzenvoraus, dass Wort-Klangbilder
Bedeutung, und Elementarsätze Sinn haben: Und dies ist ihre
VERBINDUNG MIT DER WELT. Es ist klar, dass es etwas über dieWelt
anzeigen muss, dass gewisse Verbindungen von Symbolen - welche
wesentlich einen bestimmten Charakter haben -Tautologien sind.
Hierin liegt das Entscheidende. Wir sagten, manches an den
Symbolen, die wir gebrauchen, wäre willkürlich, manches nicht. In
der LOGIK drückt nur dieses aus: Das heisst aber, in der Logik
drücken nicht wir mit Hilfe der Zeichen aus, was wir wollen,
sondern in der Logik sagt die Natur der naturnotwendigen Zeichen
selbst aus: Wenn wir die logische Syntax irgendeiner Zeichensprache,
z.B. die der musikalischen, kennen, dann sind bereits
alle Sätze der Logik gegeben.
 
Der musikalische Satz ist wie die Logik keine Lehre, sondern wie
die Logik ein SPIEGELBILD der Welt.
Die Logik ist transcendental.
 
 
                           -
 
 
Die MATHEMATIK ist eine logische METHODE.
 
Der Satz der Mathematik drückt keinen GEDANKEN aus.
 
Im Leben ebenso wie in bestimmten Konstruktionen des musikalischen
Prozesses ist es ja nie der mathematische Satz, den wir brauchen,
sondern wir benützen den mathematischen Satz nur, um aus Sätzen,
welche nicht der Mathematik angehören, auf andere zu schliessen,
welche gleichfalls nicht der Mathematik angehören.
(In der PHILOSOPHIE führt die Frage "wozu gebrauchen wir eigentlich
jenes Wort, jenen Satz" immer wieder zu wertvollen EINSICHTEN.)
 
Die Frage, ob man zur Lösung der musikalischen Probleme, die
beispielsweise beim Kompositionsprozess selbst oder beim Anhören
von Musik entstehen können, die ANSCHAUUNG brauche,
muss dahin beantwortet werden, dass eben die musikalische SPRACHE
hier die nötige Anschauung liefert.
 
Der Vorgang des Komponierens vermittelt eben diese Anschauung.
Die Komposition ist kein Experiment.
 
Die Vorgehensweisen von Mathematik und musikalischer Analyse bzw.
musikalischer Komposition sind einander ähnlich.
 
Die Mathematik ist eine Methode der Logik.
 
Das Wesentliche der mathematischen Methode ist es, mit
GLEICHUNGEN [in Logikund Musik: mit Tautologien] zu arbeiten.
Auf dieser Methode beruhtes nämlich, dass jeder Satz der Mathematik
sich von selbst verstehen muss .
 
Die Methode der Mathematik, zu ihren Gleichungen
[m.E.: "Tautologien"] zukommen, ist die
SUBSTITUTIONSMETHODE.
 
Denn die Gleichungen drücken die Ersetzbarkeit zweier Ausdrücke
aus, und wir schreiten von einer Anzahl von Gleichungen zu neuen
Gleichungen vor, indem wir, den Gleichungen entsprechend, Ausdrücke
durch andere ersetzen.
 
Hieran wird klar, dass die Methode der musikalischen KOMPOSITION
eine mathematische Methode ist und damit auch eine der Logik.
 
Dies gilt ins besondere für den klassischen Stil.
 
Der klassische Stil ist nicht an eine bestimmte Zeit oder an eine
bestimmte epochale Klangästhetik gebunden. Die Syntax
des klassischen Stils ist die Syntax der logischen Methode.
 
Als "klassisch" bezeichne ich demnach, was mit dieser Syntax,
Methode usf. gearbeitet ist.
 
                         -
 
Wir können keinen Vorgang mit dem "Ablauf der ZEIT"
vergleichen - diesen gibt es nicht - sondern nur mit einem
anderenVorgang (etwa mit dem Gang des Chronometers).
Daher ist die Beschreibung des zeitlichenVerlaufs nur so
möglich, dass wir uns auf einen anderenVorgang stützen.
 
Ganz Analoges gilt für den RAUM.
 
[Wo man z.B. sagt, es könne keines von zwei Ereignissen (die sich
gegenseitig ausschliessen) eintreten, weil keine Ursache vorhanden
sei, warum das eine eher als das andere eintreten solle, da
handelt es sich in Wirklichkeit darum, dass man garnicht eines
der beiden Ereignisse beschreiben kann, wenn nicht irgendeine
ASYMMETRIE vorhanden ist. Und wenn eine solche Asymmetrie
vorhanden ist, so können wir diese als Ursache des Eintreffens
des einen und Nicht-Eintreffens des anderen auffassen.]
 
Der ganzen modernen WELTANSCHAUUNG liegt die TÄUSCHUNG
zugrunde, dass die sogenannten Naturgesetze die Erklärung der
Naturerscheinungen seien.
 
So bleiben sie bei den Naturgesetzen als bei etwas Unantastbarem
stehen, wie die Älteren bei Gott und dem Schicksal.
Und sie haben ja beide Recht, und Unrecht. Die Alten sind
allerdings insofern klarer, als sie einen klaren Abschluss an
erkennen, während es bei dem neuen System scheinen soll, als sei
alles erklärt.
 
[der antike Begriff der „mimesis" umschreibt dieses Phänomen der
Täuschung. Mimesis IST in diesem Sinne Täuschung, neues Bild
der Wirklichkeit] (ARISTOTELES, "Poetik")
 
Diese Anschauungen sind also zu ersetzen (oder wenigstens zu
ergänzen) über die Logik und Mathematik hinaus durch die Künste
und ihre praktische Ausübung.
 
                           -
 
Ethik und Aesthetik sind Eins.
 
Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die Welt des
Unglücklichen.
 
Wenn man unter EWIGKEIT nicht unendliche Zeitdauer, sondern
Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart
lebt.
Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser GESICHTSFELD grenzenlos
ist.
 
Die Lösung des Rätsels des Lebens in RAUM und ZEIT liegt
ausserhalb von Raum und Zeit. Der Sinn der Welt muss ausserhalb
ihrer liegen. In der Welt ist alles wie es ist und geschieht
alles wie es geschieht.
 
Die TATSACHEN gehören alle nur zur Aufgabe, nicht zur Lösung.
 
Nicht wie dieWelt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.
 
Es gibt UNAUSSPRECHLICHES. Dies zeigt sich, es ist das MYSTISCHE.
 
Die richtige METHODE DES KOMPOSITIONSUNTERRICHTS
wäre eigentlichdie: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt,
also Sätze der Naturwissenschafft - also etwas, was mit Komposition
nichts zu tun hat - , und dann immer, wenn ein Schüler etwas
Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, dass er gewissen
Zeichen in seinen musikalischen Sätzen keine BEDEUTUNG
gegeben hat. Diese Methode wäre für den Schüler unbefriedigend
- er hätte nicht das Gefühl, dass wir ihn Komposition lehrten -
aber sie wäre die einzig streng richtige.
 
Meine Sätze zur POETIK erläutern dadurch, dass sie der, welcher
mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie
- auf ihnen - über sie hinausgestiegen ist.
(Er muss sozusagen die Leiter weg werfen, nachdem er auf ihr
hinaufgestiegen ist.)
 
Wovon man nicht singen kann, darüber muss man schweigen.
 
 
 „Schon sieht von weither den Rauch von den Häuserfirsten
man steigen,
und es fallen schon längere Schatten herab von den
Bergen."
(Vergil)

 
 
 
erwin koch-raphael
bremen, 1.7.1990