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KdG

Erwin Koch-Raphael

* 11. Oktober 1949

Erwin Koch-Raphael, geboren am 11. Oktober 1949 in Kempen / Niederrhein, stammt aus einer katholisch geprägten Lehrer-Familie. Mit acht Jahren bekam er Klavierunterricht, begann mit ersten Kompositionsversuchen und harmonisierte Kirchenlieder nach Gehör. 13jährig erhielt er zusätzlich Geigenunterricht, brachte sich selbst das Orgelspielen bei und begleitete 1963-68 als Organist die Gottesdienste an der Rektoratskirche seiner Heimatstadt. Nach dem Abitur am humanistischen Gymnasium Thomaeum in Kempen 1968 begann Koch-Raphael zunächst mit dem Studium der Elektrotechnik an der Technischen Universität (TU) Berlin, ab 1970 an der Hochschule der Künste (HdK) mit der Ausbildung zum Tonmeister, die er 1976 mit dem Diplom abschloss. 1971-72 belegte er an der HdK zusätzlich Rhythmik bei Barbara Kroll und Dirigieren bei Robert Wolf. 1972-79 studierte er dort Komposition bei Isang Yun, dem er von 1975 an assistierte. Ab 1973 arbeitete er eine Zeit lang im elektronischen Studio der TU.

Neben seinem Studium begann Koch-Raphael 1973 mit der Vermittlung und Verbreitung neuer Musik. Er war Mitbegründer der »Klangwerkstatt« im elektronischen Studio der TU wie auch der »berlin arts company«, die sich für die multimediale Präsentation neuer Musik engagierte, dirigierte fremde wie eigene Werke, veranstaltete Seminare, Workshops, Komponistenporträts. 1975-82 war er freier Mitarbeiter beim RIAS. 1979 unternahm er auf Einladung der koreanischen Sektion der IGNM eine zweimonatige Studienreise nach Süd-Korea. 1980-87 war er Assistent von Yun bei der »Woche junger Komponisten« in Hilchenbach.

1982 erhielt Koch-Raphael eine Dozentur (1996: Professur) für Komposition, Musiktheorie und experimentelles Musiktheater an der Universität und an der Hochschule für Künste (HfK) in Bremen. 1984 gründete er dort die Performance-Gruppe »ganZeit«, die an intermedialen Projekten arbeitete und in Bremen - u. a. bei Pro Musica Nova - und Umgebung zahlreiche Aufführungen hatte. 1987/88 ging er für sechs Monate mit einem Stipendium der Cité Internationale des Arts nach Paris, wo er bei Donatoni (IRCAM) und Xenakis (Universität VIII und CEMAMU) studierte. 1990 gründete er die Arbeitsgruppe »ZeM Bremen« (Zentrum für elektroakustische Musik) und wirkte von Jan. bis Sept. an dem vom Ensemble Modern initiierten »Response ’90«-Projekt mit, wo Schüler Frankfurter Schulen zu kreativem musikalischem Arbeiten angeregt wurden. 1991-92 arbeitete er am Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe an der Verbindung von digitaler Technik und künstlerischer Produktion. Dort entstand to open ears für NeXt-Computer, vier DAT-Recorder und Violoncello bzw. Bassklarinette. - Auszeichnungen: Kompositionspreis Hitzacker (1976), Orchesterkompositionspreis Kiel (1977), Förderauftrag der Akademie der Künste Berlin/West (1979), Förderpreis für besondere kompositorische Leistungen Bremen (1984), Siemens-Stipendium Karlsruhe (1991).

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 Erwin Koch-Raphael               
 von Monika Fürst-Heidtmann

Von Vielseitigkeit, Bezügen zu anderen Künsten und der Neigung, Antworten zu existenziellen Fragen gleichermaßen in Naturwissenschaft und Philosophie zu suchen, zeugt bereits Koch-Raphaels Werkkatalog. Dieser umfasst mehr als 60 Kompositionen, darunter Chor- und Orchesterwerke, vier Instrumentalkonzerte, zwei Opern, Kammer- und elektronische Musik. Verschiedene Tendenzen, die sich teils nacheinander, teils parallel entwickelten, überschneiden sich bisweilen sogar in einem Werk.

Eine Werkgruppe bildet die durch den Unterricht bei Yun verstärkte Auseinandersetzung mit fernöstlichem Denken: Trollebottn für Orchester (1974), Jahreszeiten für Oboe, Klarinette und Fagott (1979/85), Sekitei für Violine solo (1979), Septembertage für Klavier (1983), composition no. 45 für Flöte(n), Violoncello, Gitarre und Schlagzeug (1993) u. a. Eine andere lässt szenische bzw. intermediale Züge erkennen: Posaunensolo Spuren (1975), Oper Jabberwhorl Cronstadt (nach Henry Miller, 1978 - mit offener Form und happeningartigen Elementen), Chorwerk pax / Erasmus (Erasmus von Rotterdam / Astronauten, 1989), Theater-Konzert Engel der Zeit (1995). Durch persönliche bzw. politisch-gesellschaftliche Erfahrungen geprägt - bedeutet Komponieren für Koch-Raphael doch »Reagieren« und »Sich-Einmischen« - sind u. a. das Orchesterstück Land der Nacht (1979; Süd-Korea), der Klavierzyklus Septembertage (1983; Friedensbewegung), das Kammerensemble?musikwerk Kalte Zeiten (1984), das 1. Klavierkonzert (1986/87), die composition no. 40 (1989) sowie - ebenfalls mit Flöte, Viola und Gitarre besetzt - Styx (1990) und composition no. 44 (1993), die Begegnungen mit dem Tod reflektieren.

Nach der Obersiedlung nach Bremen (1983) machte sich zunächst eine Abkehr vom Großformatigen, Symphonischen und eine Konzentration der musikalischen Mittel bemerkbar (Petites Aventures au bord de la mer für Kammerensernble, 1984). Das Studium bei Donatoni und Xenakis in Paris (1987/88) verstärkte die konstruktivistische Seite und die Vorliebe für mathematisch abstrakte, häufig auf Zahlen und ihren Proportionen aufgebaute Kompositionsmodelle (ab composition no. 39 für Flöte(n) und Kammerensemble, 1988). Bevorzugt bedient sich Koch-Raphael hierbei eines »Prinzipalrhythmus«, eines seriellen Techniken nahestehenden Strukturprinzips, das er während der Arbeit an seinem Kammermusikwerk NachtStücke (1974) entdeckt hatte. Daneben gibt er auch Spontanem, Indeterminiertem und Improvisatorischem Spielraum, z. B. in den informellen Instrumentalsoli grenzRaum und grenzZeit (1993) und in composition no. 47 für Streichtrio (1993). 1995 begann ein Dialog mit anderen Komponisten, so mit Machault in composition no. 49a für Ensemble (1996), mit Isang Yun in composition no. 50 für Streichtrio (1995). In shógo / noonday. composition no. 61 für Koto und Renaissanceflöte (2005) greift er erneut zen-buddhistische Gedanken auf. Koch-Raphael entwirft in seiner Musik immer reichere Visionen sinnerfüllen Lebens, Don Quijote vergleichbar, auf den sich sein Orchesterwerk El sueño  del caballero. composition no. 59 (2005) bezieht.

33. Nlfg. / Komponisten der Gegenwart (KdG) 2/07