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Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel |
"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
203. Brief
Innsbruck, 30. August 1896.
Liebstes Röschen! Soeben erhalte ich, als
willkommene Morgengabe, Deinen lieben Brief vom 27. 8., den ich mir von
Jenbach habe herschicken lassen . . . Ich habe
inzwischen 8 erfrischende Wandertage in Vorarlberg gehabt und (trotz
des meist schlechten Wetters) tüchtig gemalt: Aquarell-Skizzen in dem
bekannten Format. Jede leidliche Stunde habe ich fleißig benutzt und die
wenigen schönen Tage recht genossen. Die gründliche Ausspannung
nach der harten und langen Arbeit mit der Systemat. Phylogenie tut mir
sehr wohl. Sonntag fuhr ich von Gernsbach (begleitet von einem
Verehrer, Ingenieur Büttner, sehr intelligent) nach Offenburg und
Triberg und dann nach Konstanz, Montag über den Bodensee nach Bregenz
und dann per Bahn nach Bludenz. Dienstag Glanzpunkt der Reise: Der
erste herrliche Wandertag! Von Bludenz in 3 Stunden durch das
malerische Brandner Tal nach Brand hinauf, von dort in 3 Stunden steil
ansteigend zum Lüner-See, am Fuße der Rhaetikon-Gruppe).
Herrlicher Hochgebirgs-See in voller Einsamkeit, von Felsen und
Gletschern eingeschlossen. 2 schöne Skizzen gemalt. Die kleine "Douglas-
Hütte" am See hat eigentlich nur 40 Betten. Da aber gegen 60 Wanderer
ankamen (darunter 10 abenteuerliche Alpinistinnen), waren die beiden
engen Gastzimmer überfüllt. Die kleinen, niederen Schlafräume wurden
mit 4-6 Gästen belegt, die übrigen auf Tisch und Erde in Heu gebettet!
Ich schlief in einem Zimmer à 4, mit einem Wiener Advokaten,
einem württembergischen Professor und einem Berliner Studenten
zusammen. Mittwoch früh 5 Uhr aufgebrochen mit dem Wiener Advokaten
und 1 Führer. Nach 2 schönen Morgenstunden hinauf zum
Schweizertor (Blick westlich weit nach Graubünden, Prätigau,
nordöstlich nach der Zimbaspitze) - dann über das Ofenjoch zur Spirer-
Alpe. Hier begann strömender Regen. Wir wanderten in ihm 6 Stunden,
meist in Wasser watend, da von allen Seiten neugebildete Bergbäche in
der Sohle des wilden Gauertales zusammenströmten. Als wir um 3 Uhr in
Schruns (unten im Montafon-Tal) ankamen, waren wir wie aus dem
Wasser gezogen (auch das Gepäck ganz durchnäßt) und mußten uns zu Bett legen. Die Kleider und das Plaid wurden zum
Bäcker geschickt, so daß wir zum Abendessenin den Speisesaal (guter
Gasthof zur Taube) hinuntergehen konnten. Viele Sommerfrisch-Gäste,
besonders Wiener Familien. Donnerstag regnete es früh fort. Im
Stellwagen nach Bludenz zurückgefahren. Der Nachmittag war leidlich.
Ich malte 2 Skizzen: malerischer Kirchturm in der Felsenschlucht des
Dorfes Bürs und die Ruine Roseneck mit schönem Überblick in das
Bludenzer Tal, prächtige Abendwolken. Freitag Bahnfahrt über den
Arlberg, bei leidlichem Wetter. Ich gedachte lebhaft unserer
interessanten Postfahrt auf der Hochzeitsreise, vor 29 Jahren, wo
wir in St. Anton übernachten und früh 4 Uhr aufbrechen mußten! Jetzt
fährt man mit dem Schnellzug mittag 1 Uhr aus Innsbruck, ist um 3 1/2
in St. Anton (Tunnel mit 20 Minuten Durchfahrzeit), um 4 1/2 in
Bludenz, 5 in Feldkirch und 5 1/2 in Bregenz! - also alles in 4 1/2
Stunden, wozu wir damals 2 Tage brauchten!! Ich fuhr von Bludenz
nun nach Wiesberg, um die großartige Eisenbahnbrücke über die
Trisanna zu malen (bei ihrem Zusammenfluß mit der Rosanna), blieb dort
5 Stunden und wanderte noch etwas in das wilde Paznauer Tal hinein, der
Trisanna entgegen. Dann weiter nach Landeck, wo ich auf dem
Bahnhof (leidlich) übernachtete. Ich benutzte die Abendstunden, um die
1 Stunde entfernte Lötzer Klamm zu besuchen und eine Skizze der
dortigen Schmiede (über dem Wasserfall) zu malen. Sonnabend Regentag.
Früh per Bahn in 2 Stunden nach Innsbruck. Hier geriet ich ganz zufällig
in ein ganz neues, ausgezeichnetes Hotel: Kaiserhof, am linken
Innufer, unmittelbar an der Innbrücke gelegen, erst vor 10 Tagen
eröffnet ("Neue Besen kehren gut!"). Verbrachte den ganzen Tag mit dem
Besuch des Museums und der Lauben, betrachtete die Unmassen
Photographien und alle möglichen Kunstsachen in den reichen Tiroler
Läden. Abends hörte ich ein "National-Konzert" der Tiroler Sänger und
Zitherspieler, ich bin morgen noch hier, fahre Dienstag, 1. September,
nach Jenbach, wo ich noch 2 Tage bleibe. Dann vielleicht noch einige
kleine Exkursionen ins Pinzgau-Tal, sonst - bei fortdauerndem
Regenwetter - direkt nach München . . .
Brief 202..........................................................................................Brief 204
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Diese Seite ist Teil von Kurt Stübers online library
erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999
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