"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
224. Brief
München, 9. Oktober 1901.
Meine geliebte Frau! Nachdem ich Dir gestern über
den "Polterabend" unseres lieben Walter berichtet habe, will ich Dir nun
heute gleich von der Hochzeit erzählen. Ich war von 10-12 mit Hans und
Lisi im Paläontologischen Museum. Um 1 1/2 Uhr holte uns der Wagen zur Christus-Kirche ab, weit draußen in Nymphenburg
gelegen: eine neue, öde, nüchterne Kirche, ohne allen Schmuck.
Glüchlicherweise dauerte die Trauung noch 1/2 Stunde. Die Predigt des
jungen Geistlichen (20 Minuten) war ganz gut. Da die Kirche
eiskalt war, waren wir froh, als wir um 3 Uhr im "Bayrischen Hof"
anlangten . . . Das Essen war gut, das junge Paar
hübsch und sehr glücklich, die ganze Stimmung heiter, mehr gemütlich
als feierlich. Von 6-7 Uhr wurde getanzt. Um 6 Uhr brach das junge Paar
auf, um noch direkt in 4 Stunden nach Sonthofen zu fahren. Die übrige
Gesellschaft ging von 8-11 in das Deutsche Theater (hübsches
Varieté mit Tanz, Gymnastik etc.). - Das Bedauern, daß Ihr, Du
und Emma, nicht bei der Hochzeit sein konntet, war allgemein und
herzlich und wurde auch in den Toasten mehrfach
ausgedrückt . . .
Ich bleibe bis Montag (14.) hier und arbeite im
botanischen Institut für die "Kunstformen". Dann fahre ich nach Basel,
wo ich den den "Drei Königen" wohnen werde. Auf der Rückreise will ich
ein paar Tage in Sonthofen bleiben, um Dir von dem jungen Ehepaar
berichten zu können. So werde ich wohl erst gegen den 24. (spätestens am
25.) nach Jena zurückkehren . . . Hoffentlich bist Du
wieder ganz wohl, liebstes Röschen. Schreibe mir ja noch am
Freitag hierher, später anch Basel -3 Könige. Ich bin trotz der
Strapazen und dem schauderhaften November-Wetter wohlauf. Meine
Wirte sind sehr liebenswürdig . . .
Brief 223..........................................................................................Brief 225

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