"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
23. Brief
München 27. August 1868.
Mein liebstes, bestes Herzchen! Endlich, endlich
erhielt ich heute Deinen Brief, nach dem ich mich so sehr gesehnt und
nach dem ich bereits dreimal auf der Post gefragt hatte. Du hattest das H
in Haeckel zu undeutlich - wie F - geschrieben, und so war er als Faeckel
unter das F gesteckt worden! Schreibe künftig nur immer den
Namen Haeckel sehr deutlich mit lateinischen Buchstaben,
namentlich das H recht klar, und ohne die beliebten Schnörkel! Nun,
mein herziges kleines Röschen, ich bin herzensfroh, von Dir Nachricht zu
haben und zu wissen, daß es Dir besser geht. Hoffentlich erholst Du Dich
jetzt in der schönen Ruhe und sammelst Kräfte . . .
Wieviel habe ich Deiner schon gedacht, und wie hat mich Dein liebes Bild
auf Tritt und Schritt begleitet, namentlich hier in München, wo wir vor
einem Jahre so vergnügt waren! . . .
Die vier Tage in München waren sehr schön und
genußreich, wenn auch in ganz anderer Weise als vor einem Jahre. Den
größten Teil derselben (die beiden ersten Tage fast ganz) habe ich in der
zoologischen und in der ganz wundervollen paläontologischen Sammlung
zugebracht. Letztere ist die erste der Welt. Was Dich aber vor allem
interessieren wird, war der über alle Erwartung freundliche
Empfang, den ich hier fand, und der mich zu den schönsten und
kühnsten, Dir wohlbekannten Hoffnungen berechtigte. Nicht allein waren
sämtliche Fachgenossen von einer wirklich aufrichtigen und warmen
Teilnahme für die "Darwin-Haeckelsche" Theorie und ihren lebendigen
Vertreter erfüllt, sondern äußerten dieselbe auch in einer so
liebenswürdigen und netten Weise, daß es mich höchst angenehm
berührte. Der Respekt, mit dem selbst alle die alten Herren mich
behandelten, war beinahe spaßhaft und würde Dich sehr ergötzt haben!
Kurz, die ganzen vier Tage waren eigentlich eine Reihe von Triumpfen,
von denen es mir nur leid tut, daß Du nicht daran teilnehmen
konntest!
In den ersten Tagen der Reise war ich noch recht
kaputt und abgespannt. Jetzt gehtīs aber schon besser, und das herrliche
"Bierle" bekommt mir vortrefflich. Könntest Du nur mittrinken, mein
liebstes Herzchen! Bei jedem Schluck denke ich an die durstige Kehle
meines kleinen Frauchens, in die der kostbare Bierstoff so glatt
hinunterfloß. Ich wollte Dir heute ein frisches Seidel per Telegraph
schicken, der dumme Telegraph nahmīs aber leider nicht an!! Sonst ist
die Verpflegung im "Augsburger Hof" (nahe dem Bahnhof) lange nicht so glänzend wie im Rheinischen Hof, den ich im
Vorbeigehen jedesmal mit großer Sehnsucht und mit Gefühlen reizender
Rückerinnerung betrachte. - Morgen, Freitag, geht es nun nach
Brannenburg (hinter Rosenheim), wo wir einen Tag bleiben werden, und
dann nach Innsbruck. In Innsbruck denken wir bis Montag zu bleiben
und dann Dienstag (1. September) oder Mittwoch über den Brenner nach
Bozen zu fahren, wo wir mehrere Tage bleiben werden.
In Innsbruck werden wir, wie im vorigen Jahr, im
goldenen Stern (an der Brücke) wohnen . . . Es tut mir
sehr leid, daß Dich das Abnehmen von Annaīs und Allmerīs Bild so
betrübt hat! Das hättest Du Dir wirklich ersparen können, liebster
Schatz! Ich nehme jedesmal vor der Reise alle bunten Bilder ab,
weil sie vom Lichte leiden. Wenn Du nicht in meiner Stube wohnst,
kannst Du auch die Aquarellbilder abnehmen und umdrehen, was ich
noch tun wollte, aber vergessen habe. Mit "Mangel an Vertrauen", von
dem Du sprichst, hat das aber gar nichts zu tun, Du schlimmes
Rosinchen! Di könnstest doch jetzt wahrlich wissen, wie lieb ich Dich
habe und wie sehr ich Dir in allem!! Vertrauen schenke. Gelt, mein süßes
kleines Huschkischen, das gewöhnst Du Dir doch noch ab?! Es grüßt und
küßt Dich tausendmal Dein treuer Ernst.
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