"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"

248. Brief

Schaffhausen, 5. September 1909.

Liebste Agnes! . . . Die ersten 4 Tage meiner kurzen Ferienreise waren gut. Mittwoch, 1. September, fuhr ich in 6 1/2 Stunden nach Würzburg in überfülltem Schnellzug. Von Erfurt an hatte ich fromme Gesellschaft im Coupé 3. Klasse - 4 Pastoren, die zur Missionskonferenz in Pforzheim fuhren. In Würzburg verlebte ich einen sehr interessanten Tag - Erinnerungen an meine Studienzeit vor 57 Jahren! Anatomie, Julius-Spital, Universität. Das neue Würzburg ist dreimal so groß und schön wie mein altes - nicht wiederzuerkennen: Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit. Am 2. September machte ich, bei schönstem Wetter, eine 4stündige Wanderung auf den Nikolausberg (Käppele, Fraukirch-Warte) und durch die neuen Anlagen um die Stadt und am Main . . . 3. September in Stuttgart, wo vormittags 3 genußreiche Stunden in dem Museum für bildende Kunst. Nachmittag schöne Exkursion nach Kannstadt zu den Königl. Lustschlössern: Berg, Rosenstein, Wilhelma (interessante Nachbildung der Alhambra). 4. September in 4 Stunden nach Schaffhausen. Schöne Fahrt durch das obere Neckartal. Dann bei Singen Hohentwiel (Ekkehard). Nachmittag 6stündige Exkursion zum Rheinfall (erstes Aquarell). Prächtige Sonnenbeleuchtung. Abends große Illumination des Rheinfalls (mit Scheinwerfern, bengalischen Flammen - rot, gelb, violett -, auch Schloß Laufen. - Luzern, 6. September, Montag abend. Heute bin ich wohlbehalten hier angekommen und von Paul Rottenburg - der eine Stunde früher eintrag - glänzend im Hotel National logiert. Herrliche Ausicht auf See und Alpen, bei schönstem Wetter. Morgen abend trifft Heinrich ein. Ich hoffe, wir haben zusammen 3 vergnügte Tage. Leider fand ich die erwartete Nachricht von Dir, liebste Frau, nicht vor . . . Hoffentlich höre ich von Dir bald und Gutes . . .

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