"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
29. Brief
München, 9. September 1868.
Mittwoch Abend.
Liebe, süße Frau! Heute kann ich Dir wieder Besseres
von mir melden. Ich habe in der letzten Nacht sehr gut geschlafen und
befinde mich heute wesentlich besser. Aber in den letzten beiden Tagen
ging´s gar nicht besonders, und ich hätte was darum gegeben, hätte ich
bei Dir zu Hause sein und mich von Dir süßem, zärtlichem Schatze
ordentlich pflegen lassen können. An demselben Abend (Sonntag), als ich
von Jenbach den letzten Brief an Dich abgeschickt, bekam ich einen
starken Fieberanfall, offenbar infolge der Erkältung in der Malaria-
Atmosphäre des sumpfigen Etschtals. Ich trank gleich 4 Tassen
Lindenblütentee und wickelte mich in dicke Betten ein, um stark zu
schwitzen. Das erfolgte dann auch gehörig und tat sehr gute
Wirkung. Am folgenden Tage blieb ich ruhig liegen und war sehr
schwach. Am Abend kam wieder ein kleiner Fieberanfall, aber nur
schwach. Ich nahm wieder zum Schwitzen ein, abermals mit bestem
Erfolg. Gestern abend blieb das Fieber ganz weg, und so bin ich denn
heute hierher gefahren. Ich hoffe, damit wird dieser dumme Zwischenfall
erledigt sein. Die dicke Backe und die Schmerzen im Ohr sind heute
ebenfalls verschwunden. Da ich mich wieder ganz wohl, nur noch ein
wengi schwach fühle, so will ich noch den kleinen Umweg über Stuttgart
und Karlsruhe machen, um die dortigen fossilen Medusen mitzunehmen.
In München halte ich mich gar nicht auf. Ich fahre jetzt gleich durch
nach Augsburg, um dort zu übernachten. Morgen (Donnerstag) von da
nach Stuttgart, Freitag von da nach Karlsruhe, Sonnabend nach Frankfurt.
Sonntag denke ich dann mit dem Morgenschnellzug von Frankfurt nach
Apolda zu fahren (von 7-4 Uhr). Um 6 Uhr denke ich wohlbehalten in
Jena einzutreffen und hoffe Dich liebsten, besten Schatz recht munter
und wohlbehalten in meine Arme schließen zu können!
Rechne jedoch nicht ganz bestimmt auf Sonntag. Es
wäre möglich, daß ich erst Montag käme, im Falle nämlich die
zoologischen Sammlungen von Stuttgart und Karlsruhe (die ich noch nicht
kenne) mich über Erwarten beschäftigen sollten.
Du glaubst nicht, liebste, beste Agnes, wie ich mich
freuef, Dich bald wieder zu haben! Da will ich Dir mal ordentlich
erzählen, und wir wollen den Rest der Ferien recht glücklich und still
beisammen verleben. Hast Du etwas Eiliges zu melden, so schreibe mir
(oder telegraphiere eventuell) nach Stuttgart oder nach
Karlsruhe poste restante. Ich werde in beiden Städten auf der Post
nach Briefen und telegr. Depeschen fragen.
Ängstige Dich, bitte, nicht um mich. Ich versichere
Dir, daß ich heute ganz wohl und stark genug bin, um die paar Tage Reise
noch aushalten zu können. Bitte, melde den Eltern (denen ich wegen der
Kürze des Aufenthaltes hier nicht besonders schreiben kann) mit ein
paar Zeilen, daß ich wieder wohl bin und erst Sonntag oder Montag nach
Jena komme. Grüße Mamachen und die Schwestern freundlichst. Es
umarmt und küßt Dich in Gedanken herzlichst Dein treuer Ernst.
Brief 28..........................................................................................Brief 30

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