"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
38. Brief
Berlin, Sonntag, 11. April 1869.
Mein liebster Schatz! Es ist schön, wenn die Menschen
durch Edelmut wetteifern, und daher will ich Deinen gestern zuerst hier
eingetroffenen Brief dadurch noch überbieten, daß ich meinem gestrigen
Brief heute schon einen zweiten folgen lasse und Dir einen frischen
Sonntagsgruß sende! Allerdings sind dafür noch zwei besondere Gründe
vorhanden, erstens nämlich Clärchens Geburtstag, an dem ich ihr doch
beifolgende feierlichste Gratulation senden muß, und zweitens eine
Beichte.
Zunächst aber sollst Du wissen, daß ich Dich und
unser kleines Puttchen von ganzem Herzen liebe und mich recht noch
Euch sehne. Ferner melde ich, daß ich heute bereits 13 - schreibe
dreizehn! - Familien- und sonstige Visiten gemacht habe, wovon
glücklicherweise die Hälfte in der Kirche
war! . . .
Was nun das zu beichtende Vergehen betrifft, so bin
ich gestern abend - höre und staune! - auf allgemeines Verlangen in die
große Oper gegangen. Sethes und Reimers behaupten nämlich, ich müßte
die Lucca und Niemann in der "Afrikanerin" hören, und so bin ich denn,
nachdem ich gestern nachmittag den Brief an Dich geschrieben und dann
Reimers besucht hatte, in das Opernhaus gestürmt und habe für 20 Sgr.
die entsetzliche Qual genossen, vier Stunden bei 45o Hitze
mit 60 Leuten eng zusammengepackt zu Fuß zu stehen. Ich fühlte
mich wie ein gedämpfter Pudding und schwöre feierlich, niemals wieder
in das Parterre des Opernhauses zu gehen. Die Lucca ist
allerdings eine niedliche kleine Person und singt ziemlich gut, läßt sich
aber doch in jeder Beziehung durch meine kleine, liebliche, reizende
Frau übertreffen, der ich gern diesen Genuß gegönnt hätte. Das Stück ist
übrigens sehr albern, und ich dankte dem Schicksal, als endlich die vier
Stehstunden vorbei waren. - für Dich habe ich 4-6 Dutzend Grüße
gesammelt . . .
Brief 37..........................................................................................Brief 39

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