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Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel |
"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
8. Brief
Jena, 19. Juli 1867.
Meine liebste, teuerste Agnes! Da es morgen fünf
Wochen wird, daß wir uns verlobten, und da wir uns somit auf dem
Höhepunkt oder wenigstens der Zeit nach in der Mitte unseres
Brautstandes befinden (sintemal Du heute über fünf Wochen bereits Frau
Professor Dr. Haeckel bist), so muß ich Dir doch wohl einen frischen
Gruß nach Bad Sulza schicken, obwohl Du eigentlich noch ein paar Tage darauf warten solltest. Denn mehr als 24 Stunden hast Du mich
auf die erste Nachricht aus Sulza vergebens hoffen und warten lassen, Du
böses, schlimmes Bräutchen! Du weißt gar nicht, wie sehnsüchtig einem
liebenden Bräutigam zumute wird, wenn er von Stunde zu Stunde
vergeblich auf den sehnlichst erwarteten Brief von der Geliebten hofft!
Deinen ersten, durch Deine Schuld so verspäteten Brief erhielt ich erst
gestern abend um 6 Uhr im mikroskopischen Kurse, wohin ihn mir der
kleine Karl nachbrachte. Als der Kurs um 7 Uhr beendet war, ging ich zu
meiner "stillen Freundin", jetzt wirklich rechten "Trösterin" hinüber
und konnte nur rasch ein paar Zeilen in ihren Brief kritzeln, da unten
Dr. Engelmann aus Utrecht auf mich wartete. Meinen Vorsatz, Dir erst
morgen zu antworten, breche ich nun heute eigentlich nur, weil ich Dir
doch offiziell zu der fünfwöchigen Feier Deines Verlobungstages
gratulieren muß.
Wie ich höre, soll Dein Bräutigam ein "ebenso
liebenswürdiger als ausgezeichneter" Mann sein, und so darf ich Dir
denn wohl meine offiziellen Glückwünsche feierlich zu Füßen lebgen.
Übrigens lauten doch die Urteile über ihn sehr verschieden. Heute
morgen erhielt ich durch die Post eine Abhandlung "Über die Genealogie
der Anthropoden", in der u. a. folgender Satz steht: "Es war zu erwarten,
daß die ganze Morphologie durch die Darwinsche Theorie einen
gewaltigen Anstoß und eine völlige Umwälzung erleiden würde, und daß
ein Riesenschritt in dieser Wissenschaft gemacht werden müßte. Schon
eher, als irgend jemand erwarten konnte, ist in großen Dimensionen und
mit genialer Allseitigkeit dieser Riesenschritt getan von Haeckel, dem
berühmten Zoologen an der Universität Jena, etc. etc." Vermutlich ist
dieser "berühmte" und daher wahrscheinlich auch "höchst eingebildete"
Mann Dein Bräutigam. Ja, ich fürchte sogar, daß er identisch ist mit
einem Zoologen gleiden Namens, den kürzlich ein sehr frommer und
ausgezeichneter Theologe, der "große" Professor Frank in Wien, mit dem
Drachen von Babel verglich. Da indessen besagter frommer Mann diesem
Drachen ein "Küchlein von Pech, Oel und Haaren ins Maul werfen wollte,
auf das er berste", so wird der arme Professor, der sogar den lieben Gott
(wie er gewöhnlich gedacht wird!!!) ein gasförmiges Wirbeltier
genannt haben soll (- denke Dir und entsetze Dich davor!!!), inzwischen
an jenem Küchlein "geborsten" sein. Da auch dieser "geborstene Zoologe"
ein höchst "unsittlicher" Mensch, Dein Bräutigam dagegen (abgesehen
von einige "unsittlichen" Manieren beim Essen und Trinken,
Visitenmachen und Komplimenten etc.) ein sehr "sittlicher" und "netter"
Mensch sein soll, so wird wohl obige Befürchtung nicht begründet
sein.
Ich hoffe also aufrichtig und von Herzen, daß Du,
liebe Agnes, ebenso glücklich als gut und lieb bist und daß Du den heute
zu Ende gehenden Verlobungskontrakt auf weitere 2-3-4-5 Wochen
verlängern wirst.
>P ALIGN=JUSTIFY>Doch nun Spaß beiseite, mein süßes Liebchen!
Antworte mir schleunigst (damit ich es noch Sonntag morgen
erfahre), ob Du wirklich Deinen wilden, bösen, ungezogenen Erno noch
länger behalten willst, und wie lange? Am 20. August, wie Du
weißt, ist der letzte Scheidungs-Termin - Entweder-Oder -! Laß
Dich auch nicht bei Deinem definitiven Entschluß durch "patriotische",
wenn auch an sich höchst ehrenwerte Rücksichten bestimmen!
Ebensowenig bitte ich dabei Deine Kleider-Garderobe oder Dein
Stuhl-Möblement zu Rate zu ziehen - diese beiden sind
parteiisch! Was mich betrifft, so muß ich Dir leider mitteilen, daß
ich noch immer, wie seit dem 15. Juni, mit der eigensinnigsten
Hartnäckigkeit und "unbegreiflichen" Zähigkeit darauf bestehe, die
kleine Nessa Huschke ("an der doch gar nichts ist"!!, sagen einige
biedere Jenenser) als meine wirkliche und leibhaftige Ehe-Herrin und
Lebens-Gebieterin heimzuführen innerhalb der nächsten 5 Wochen in
meinen stolzen Palazzo. Denke daran und juble, Du liebster, bester
Schatz! Dann wird Dir die Zeit bis zum Wiedersehen schneller vergehen,
als es leider (besonders am Abend!) der Fall ist bei Deinem jämmerlich
sehnsüchtigen treuen besten Erno!
Der Liebesfrühling
Das höchste Glück,
Es kehret wieder
Zu mir zürück!
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Du bist es, Agnes
Du süße Braut,
Dir mir ihr Leben
Hat anvertraut.
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Istīs wirklich Wahrheit?
Ich faßī es kaum!
Ist es nicht wieder
Ein holder Traum?
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Du bestes Mädchen,
Du holder Stern,
Der immer treu mir,
Ob nah, ob fern!
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Dem in drei Jahren
Kein Frühling schien,
Dem keine Blume
Mehr wollte blühn;
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Die mit mir teilen
Will Leid und Lust,
Die immer ruhn will
An meiner Brust!
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Dem schien zu sterben
In bittrem Schmerz
Das tiefbetrübte,
Verarmte Herz;
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Wie anders schau ich
Jetzt in die Welt,
Wie anders grünet
Mir Wald und Feld!
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Ihn hat nun wieder
Der Liebe Kuß
Geweckt zur Freude
und zum Genuß!
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Vergessen darf ich
die bittre Not,
Die mich so nahe
Geführt dem Tod!
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Er schaut ins Leben
Mit neuem Mut,
In seinen Adern
Rollt neues Blut!
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Drum tausend Dank Dir,
Du Zauberin,
Die neu belebt hat
Mir Herz und Sinn!
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Wer hat dies Wunder
An mir vollbracht,
Wer hat vertrieben
die dunkle Nacht,
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Und laß uns halten
Zusammen fest,
Daß eins vom anderen
Niemalen läßt!
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Die Nacht des Unglücks,
Des Schmerzens Pein,
Wer hat verändert
Mein ganzes Sein?
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Zum neuen Freuden-
und Lebenslauf
Sendī ich Dir Liebsten
Ein frisch: "Glückauf!"
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Brief 7..........................................................................................Brief 9
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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999
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