Anhang (3)

* Forschungsbericht - Ansprechpartner
* Familie Frucht

Zeitzeugen:

* Malte Heygster
* Dr. Franz Kössler
* Familie Bräuer
* Hans Rudolf Gestewitz
* Alfred Albrecht
* Rudolf Lohse
* Dr. Rausch
* Dr. Wolfgang Vogel

Chemiewaffenexperten:
* Dr. Kremer
* Dr. Bernd Appler
* Dr. Günther Brauch

Politiker:
* Helmut Schmidt
* Dr. Gerhard Stoltenberg
* Dr. Walter Scheel
* Lothar de Maizière

Journalisten:
* Clive Freeman
* Gwynne Roberts
* Helmut Wonschick
* Karl-Willhelm Fricke
* Craig R. Whitney
* Dr. Axel Frohn

* Weitere Quellen
* Schwierigkeiten bei der Forschung
* Systematik der Arbeitsabläufe
* Persönliche Wertung meiner Forschungsarbeit

* Widersprüchlichkeiten in "Der Kälteste Krieg" - Textanalyse
* Bildanlagen

Widersprüche im Buch "Der kälteste Krieg" - eine Textanalyse

Ich will aus dem Buch "Der Kälteste Krieg" einige für die dort vorgestellte Hintergrundhandlung widersprüchliche Textstellen zitieren und daraufhin vorstellen, wie sich diese durch meine Vermutungen des wahres Ablaufes erklären lassen.

1. Die erste Textstelle beschreibt die Situation bei der Übergabe des Giftes in der Glasflasche an Professor Frucht im Institut. "An einem Frühlingstag des Jahres 1966 gaben Chemiker der Nationalen Volksarmee Frucht tatsächlich Kenntnis von dem neuen, aber noch namenlosen Nervengas des Warschauer Pakts - Es handelte sich um den Nervenkampfstoff den General Gestewitz erwähnt hatte, als er seine Alaska-Operation skizzierte." (Q86) Es existieren ein Kampfstoff und eine geplante Militäroperation. Trotzdem hat der Kampfstoff, um den es geht keinen Namen. Für eine präzise Planung und einen Einsatzplan sehr unpraktisch... . Ein Indiz dafür, daß dieser Stoff in Wirklichkeit eventuell gar nicht existierte.

2. Professor Frucht läßt sich die Formel des Stoffes erklären. "Aufschreiben kann man das wohl nicht?" sagte Frucht. "Doch, doch", antwortete der Leutnant [RAUSCH]. " Das stand in der Sondernummer der Zeitschrift für Militärmedizin der DDR und ist kein Geheimnis." (Q87)
Eine so wichtige und geheime Formel ist in einer Zeitschrift, die jedem Bürger der DDR zugänglich war - äußerst suspekt. Außerdem sagt er das auch noch ganz öffentlich: Kein Geheimnis. Scheint also kein so wichtiger Stoff gewesen zu sein, den man Professor Frucht als den "Kältekampfstoff "verkaufte.

3. Dr. Rausch zeigt Professor Frucht den Zettel, auf den er die Formel des Stoffes notiert hat. "Das ist aber keine große Erfindung", sagte Frucht nach einem Blick auf die Formel." (Q88)
Sogar Professor Frucht selbst schien die Formel bekannt vorzukommen.

4. Trotzdem schien Adolf-Henning Frucht fest davon überzeugt, etwas streng Geheimes zu verraten, wie sein Kurier in einem an den CIA gerichteten Geheimbrief schreibt. [Frieda = Professor Frucht; Orchesterarbeit = Spionagetätigkeit]:
"Frieda berichtet mir voller Freude über ihre Orchesterarbeit, die sie fleißig und in höchst lohnender Weise neben ihrer normalen beruflichen Arbeit leistet." (Q89)
Trotz dieser Seltsamkeiten, die Herrn Frucht wohl aufgefallen und in Erinnerung geblieben sein müssen, denn sonst hätte er sie den Autoren ja nicht in der Weise schildern können, war er, wie man aus der Quelle schließen kann, offenbar doch sehr fest davon überzeugt, daß er etwas absolut Wichtiges verriet.

5. "Die Flaschen enthielten nach Professor Fruchts Angaben einige hundert Kubikzentimeter eines neuen, sehr speziellen Kampfstoffes." (Q90) Die Autoren scheinen offenbar selbst an der Aussage des Professors gezweifelt zu haben, oder ihnen waren, wie mir, ein paar Zusammenhänge nicht ganz schlüssig.

6. "Außerdem hatten die Amerikaner ja die vollständige Formel, Frucht schrieb ihnen, er sei im Besitz von mehreren hundert Kubikzentimetern des neuen Kampfstoffes, beabsichtige aber nicht, damit etwas anzufangen. Zu seiner Erleichterung reagierten die Amerikaner mit Unglauben. Eine Flasche mit Kampfstoff in einem Büroschrank ging offenbar über ihr Vorstellungsvermögen." (Q91) Es ist nichts darüber ausgesagt, ob die Amerikaner das nicht glauben konnten ("offenbar") oder ob sie Frucht für jemanden hielten, der sie nur auszuspionieren suchte. Wenn er wirklich in eine Falle getappt war, und den Amerikanern eine völlig unwichtige Information geben wollte, so mußten sie vermuten, daß die StaSi hinter dieser Person stand, und sie wollten ihn deshalb zurückweisen, damit keine falschen Informationen hereingeschleust werden konnten und die StaSi nicht die Möglichkeit erhielt, die Wege der falschen Informationen innerhalb des Geheimdienstes nachzuforschen.

Dies ist nur eine Auswahl an Widersprüchen, die sich im Buch "Der kälteste Krieg" an der Stelle ergaben, wo über den Ablauf der Informationsbeschaffung von Professor Frucht berichtet wird. Ich bin der Meinung, daß die oben angeführten Widersprüche so merkwürdig sind, daß die bisher veröffentlichte Theorie auf jeden Fall nicht in allen Bereichen richtig sein kann. Es ist geradezu unvorstellbar, daß ein hoher General, der ein weltpolitisch so wichtiges Geheimnis verraten hat, dafür überhaupt nicht zur Rechenschaft gezogen wird. Dies ist in der DDR gleich doppelt seltsam, wo doch schon das Lesen einer westdeutschen Zeitung genügte, um eine staatsfeidliche Gesinnung festzustellen. Niemand im engeren Umfeld Professor Fruchts wurde wirklich zur Rechenschaft gezogen. Der General, der hochbrisante Geheimnisse an den militärisch ungeprüften Wissenschaftler ausplauderte wurde 1976 sogar noch mit dem "Vaterländischen Verdienstorden in Gold" ausgezeichnet! (Q92)

Die These, die ich über den Verlauf der ganzen Sache aufgestellt habe, baut auf den verschiedensten kleinen Äußerungen auf, die ich in Gesprächen mit Journalisten und Zeitzeugen aufschnappte. Rechtsanwalt Vogel sagte mir sogar, auf meine These hin befragt, er habe selbst früher diese Vermutung gehabt, und ich solle dem nachgehen.
Ich will nun einmal schildern, wie sich damals wirklich alles zugetragen haben könnte:

Professor Frucht arbeitete an einigen Projekten, die für die NVA sehr interessant waren (Biolumineszenztester), jedoch konnte er nicht einfach in die militärische Forschung mit eingebunden werden, weil er nicht sicherheitsüberprüft war, das heißt es war nicht sichergestellt, ob man ihm Geheimnisse des Staates anvertrauen konnte oder ob er ein perfekter DDR-Bürger im Sinne der Staatsdoktrin war. Man mußte also zuerst seine Vertrauenswürdigkeit überprüfen und tat dies, indem man ihm einfach etwas auftischte, was sich nach einer großen Sache anhörte, jedoch nur als "Testballon" dienen sollte. Professor Frucht hatte mit General Gestewitz schon sehr häufig zusammen über alle möglichen sinnvollen und unsinnigen Neuerungen in der Waffentechnik geplaudert und die beiden hatten ein gutes Verhältnis zueinander. Teilweise waren ihre Überlegungen allzu phantasievoll, wie z. B. als sie zusammen über die Einrichtung einer großen Unterwasserarmee diskutierten, die ja gegen Gasangriffe perfekt geschützt sein müßte....
Man könnte sich an diesem Punkt zwei verschiedene Wege vorstellen, wie eine solch gravierende Fehlinformation zu Stande kommen konnte. Es wäre entweder möglich, daß Professor Dr. Frucht einfach nur eine Äußerung von General Gestewitz "in den falschen Hals" bekommen hatte und sich deshalb grundlos Sorgen machte. Es kann sein, daß der General wieder einmal nur prahlen wollte, wie sehr man doch dem kapitalistischen Westen überlegen sei. Ich halte diese Version aber für unwahrscheinlich, da Professor Frucht ein Mensch war, der die außergewöhnliche Fähigkeit hatte, fast sofort hinter eine nicht sattelfeste Sache zu steigen. Ich will ein Beispiel geben: Ich habe einen der Autoren von "der Kälteste Krieg", Gwynne Roberts, in London angerufen, um ihn zu fragen, ob er es für möglich hielte, daß sich Herr Dr. Frucht damals einfach nur getäuscht hatte. Er antwortete mir mit einer kleinen Anekdote, die ich hier kurz wiedergeben will. Als es darum ging, das Manuskript für "der Kälteste Krieg" fertigzustellen, besuchte Professor Frucht den Schriftsteller in London. Bei einigen ihrer Treffen war ein Mann anwesend, der ein neuer Bekannter von Herrn Roberts war. Sie trafen sich oft zum Golfspielen, etc.. Professor Frucht hatte ihn noch keine fünf Minuten gesehen, als er Herrn Roberts schon zur Seite nahm, um ihn zu fragen, ob es nicht möglich sei, daß dieser Mann, der "neue Freund", ein Agent war. Herr Roberts konnte es sich nicht vorstellen, doch als er auf einmal bemerkte, daß jemand an seinen Manuskripten "herumgespielt" hatte, stellte er Nachforschungen an, die ergaben, daß der Mann tatsächlich vom CIA war. In meinem Telefongespräch mit ihm sagte er wörtlich folgenden Satz: "Es war unglaublich! Ich laufe da rum wie ein Idiot und lasse mich tagelang an der Nase herumführen und Frucht sieht den Mann 5 Minuten und sagt: Du, der ist vom Geheimdienst. Seine Auffassungsgabe und Fähigkeit zu kombinieren war verblüffend." (Q93)
Dies war die Antwort, die ich auf meine Frage hin bekam, zusammen mit der Erläuterung, daß er sich nicht vorstellen könne, wie Professor Frucht sich getäuscht haben könnte, wo er doch ein Mensch war, der alles hinterfragte.
Man könnte jetzt natürlich sagen, daß er dann ja wohl auch nicht getäuscht worden sein könnte, wenn er alles durchschauen können sollte. Nun, die heimtückischen Täuschungsversuche der StaSi waren sehr häufig fast undurchschaubar, sie wurden schon unglaublich vielen DDR-Bürgern zum Verhängnis. Fast alle Menschen, die in der ehemaligen DDR ins Gefängnis kamen, waren auf irgendeine Art eines solchen Betruges hereingefallen, meist durch den eines Informellen Mitarbeiters. In den Antworten meiner Ansprechpartner ließen sich auch eine ganze Reihe von Erklärungsversuchen für die Entdeckung von Professor Fruchts Informantentätigkeit finden, nach denen ich überhaupt nicht gefragt hatte:

Zellengenosse Alfred Albrecht schreibt: "Daß er ausgerechnet einer undichten Stelle im Sicherheitsring der amerikanischen Botschaft in West-Berlin in die Hände geraten mußte, war Pech." (Q94) Als sich Professor Frucht mit Herrn Albrecht in der Zelle traf ging er noch davon aus, durch einen Doppelagenten im Geheimdienst verraten worden zu sein.

Rudolf Lohse, ebenfalls Zellengenosse aus Bautzen II meint auch: "Trotzdem müssen Doppelagenten den Frucht verraten haben, sonst wäre er nicht in das Getriebe der Staatssicherheit geraten." (Q95)

Beide hielten es nicht für möglich, daß die StaSi ohne einen besonderen Zufall hinter diese Sache hätte steigen können, sie vermuten einen Doppelagenten. Inzwischen ist bekannt, daß die Informationen, die Professor Frucht zum Verhängnis wurden, aus seinen Papierkörben im Institut stammen. Irgend jemand hatte aus den achtlos weggeworfenen Unterlageblättern, die unter seinen "Spionagebriefen" gelegen hatten, durch schraffieren der Oberfläche die Vertiefungen im Papier durch die Lettern der Schreibmaschine auf dem darüberliegenden Blatt wieder herausgearbeitet, so daß man das Original jetzt rekonstruieren konnte.... Es ist zwar bekannt, daß das MfS ihre Verdächtigen auf Schritt und Tritt überwachte, aber jedes noch so unwichtig erscheinende Blatt aus dem Papierkorb eines Wissenschaftlers (!!), der sicherlich nicht ganz so wenig gefüllt sein wird, zu sammeln und auszuwerten, das scheint doch etwas übertrieben, wenn man sich vorstellt, wie viele Menschen mit einer solchen Aufgabe betraut gewesen sein müßten, wenn man jeden Zettel aus dem Papierkorb einer zu überprüfenden Person hätte auswerten wollen. Außerdem war davon auszugehen, daß man nichts finden würde, weil die Spuren geheimer Briefe meistens sehr gut verwischt sind.
Wenn man meine These im Hinterkopf hat, nämlich daß Professor Frucht bewußt von der StaSi mit falschen Informationen "gefüttert" wurde, um ihn auf seine Loyalität dem Staate gegenüber zu testen, läßt sich allerdings für diese Merkwürdigkeit schnell eine Erklärung finden: Man mußte nicht ziellos herumwühlen, sondern man wußte sehr genau, wonach und wo man suchen sollte.

Die eindeutigste und wahrscheinlich wohl auch finale Bestätigung meiner Vermutung kam für mich völlig überraschend mit der Post, und zwar ohne daß ich direkt danach gefragt hatte. Dr. Franz Kössler, ein enger Mitarbeiter von Professor Frucht im Institut, der sich wegen seiner Herzschwäche erst nicht mehr mit der "Geschichte Frucht" beschäftigen wollte, antwortete mir auf meine Frage, wie denn die Tests mit dem angeblichen Kampfstoff im Institut ausgefallen seien mit einem Ausschnitt aus einem Artikel über die Geschichte der Toxizitätsforschung des Institutes, der sich mit meinem Problem beschäftigt.
"Die meisten dieser neueren Anwendungsgebiete waren zur Zeit der Arbeiten mit Leuchtbakterien in Berlin-Lichtenberg noch nicht absehbar, aber daß es sich um eine höchst aktuelle Thematik handelte, war bereits nach unserer ersten Kurzmittleilung in der Zeitschrift "Die Naturwissenschaften" (Kössler et al.1965) zu erahnen. Diese Publikation löste zahlreiche Sonderdruckanforderungen aus, aber auch die Alarmglocken in militärischen Institutionen, die einen Einsatz unter spezifischen Bedingungen des Kalten Krieges in Betracht zogen (vgl. FRUCHT & FRUCHT 1992). Die an der Universität Greifswald verhältnismäßig gut ausgestattete Sektion Militärmedizin stellte uns sogar ein Gerät zur Verfügung, mit dem wir die Lyophilisierung der Leuchtbakterien erproben könnten, und eines Tages (im Frühjahr 1967) reiste ein Chemiker von dort mit Testlösungen an, vermeintlich chemische Kampfstoffe (KS), die in der Meßanordnung in Lichtenberg zu testen wären. Dabei fiel uns als erstes der sorglose Umgang mit diesen Lösungen auf (Handhabung ohne Schutzbrille, ohne Schutzhandschuhe, Entsorgung über die städtische Kanalisation), noch mehr aber das völlige Ausbleiben einer Reaktion der Bakterienlumineszenz auf diese Stoffe. In den zahlreichen vorangegangenen Experimenten reagierten die Bakterien auf nahezu alle Substanzen, die wir anboten, besonders aber auf die phosphorhaltigen Insektizide. Deshalb vermuteten wir bei den mitgebrachten Substanzen, daß es sich um reines Wasser handeln müsse, das in erster Linie dazu diente, geheimdienstlich zu verfolgen, was mit den reichlich zur Verfügung gestellten Lösungen passieren könnte, denn Prof. Frucht war offensichtlich schon über längere Zeit im Visier der Sicherheitsorgane.
Nach der politischen Wende in der DDR ließ uns der ehemalige Militärchemiker wissen, daß es sich wohl doch um eine sehr stark verdünnte Probe einer als Kampfstoff anzusehenden Substanz gehandelt hätte. Frucht fragte damals den Chemiker nach genauen Einzelheiten einschließlich chemischer Formel für diese Substanz und reservierte die verbleibende Testlösung, um sie möglichst bald westlichen Diensten anzubieten. [davon ist bisher nichts bekannt!!] Er war überzeugt, man dürfe diese gefährlichen Substanzen im bestehenden Ost/West-Konflikt nicht dem Vorteil einer Seite überlassen. Hätten beide Lager die gleichen Kenntnisse, könnte im Ernstfall ein Einsatz vermieden werden. Zu einer Übergabe der vermeintlichen KS-Lösung und der neuen Daten kam es nicht mehr. [Lösung war auch nicht geplant. Daten wurden übergeben] Während einer Dienstreise nach Prag schnappte die Falle zu und nach einem Jahr Untersuchungshaft wurde Frucht vom Militärgericht der DDR wegen fortgesetzter, vielseitiger Spionagetätigkeit für westliche Geheimdienste zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Seinem Anwalt Dr. Vogel gelang es erst nach 10 Jahren, ihn auf dem Wege des Häftlingsaustausches freizubekommen."
(Q96)

Daß die StaSi schon länger von der "konspitativen Tätigkeit" Professor Fruchts wußte ist möglich. Jedoch weiß ich aus vielen Gesprächen, daß Herr Dr. Frucht als privilegiert galt und ich denke, man hätte ihm dies eventuell nachgesehen, wenn es nur um die Privatperson Frucht ging [meine Spekulation]. Wenn Professor Frucht aber militärischer Geheimnisträger werden sollte, konnte man keinen noch so harmlosen Kontakt zu einem feinlichen Geheimdienst dulden und so mußte man irgendwie sicherstellen, daß Professor Frucht vertrauenswürdig war. Ich denke, es ist schlüssiger, damit den Täuschungsversuch der StaSi zu begründen, als zu vermuten, man habe nur einen guten Grund gesucht, um ihn jetzt endlich festnehmen zu können.

So, nun habe ich meine neue Version des wahrscheinlichsten Ablaufes geschildert, die ich mir aus vielen kleinen Puzzelteilen zusammengesetzt habe. Es ist das wahrscheinlichste Szenario, wenn ich mit Sicherheit sagen könnte, daß es 1967 keinen "Kältekampfstoff" in den Lagern der NVA gegeben hat. Dies ist mir mit 95%iger Sicherheit gelungen, doch kann ich nicht komplett ausschließen, daß es eventuell doch einen kälteresistenten chemischen Kampfstoff gegeben haben könnte, von dem heute noch niemand etwas weiß. Allerdings ist eine solche Möglichkeit verschwindend gering.
Eine weitere sehr interessante Frage ist die Nachforschung nach den von Herrn Dr. Kössler in oben zitierter Quelle genannten Möglichkeit, die auch ich schon gesehen hatte, nämlich daß man Professor Frucht die Geschichte mit dem Kältekampfstoff nur aufgetischt hatte, um "geheimdienstlich zu verfolgen", was damit geschehen würde. Das heißt, man wollte versuchen, über Professor Frucht die Informationswege innerhalb der CIA, sowie die Arten des Nachrichtentransfers herauszufinden. Ich habe in diesem Zusammenhang bereits die HVA genannt. Von Herrn Karl-Willhelm Fricke weiß ich, daß die Gegenspionage eine der entscheidenden Aufgaben der HVA war, die sicherlich in einem Fall von bewußter Täuschung eine Rolle gespielt haben muß. Wenn ich die mir von Dr. Maria Frucht zur Verfügung gestellten Kopien der Original - StaSi-Dokumente betrachte, so fällt auf, daß im Kopf der Seiten immer die Abteilung X, bzw. Abteilung II erwähnt ist. Abteilung X ist bereits bekannt, als zuständig für Maßnahmen aktiver Zersetzung und Desinformation. In einem Register über die Aufgaben der verschiedenen Abteilungen der HVA (=> Fricke) sah ich nach, welche Aufgaben die Abteilung II zu erfüllen hatte und fand, daß sie für die "äußere Spionageabwehr" der DDR zuständig war. Dies stützt die Vermutung, daß man offenbar versuchte, nicht nur Professor Frucht zu überführen, sondern mit seiner unwissentlichen Hilfe auch noch einen Zugang zur CIA zu bekommen (evtl. durch Enttarnung der Deckadressen und anschließender Überwachung der Post).
Interessant ist auch folgende Information, die mir Herr Fricke gab, als ich ihn auf General Gestewitz ansprach. Seine spontane Reaktion ("der war doch IM") paßte ganz gut in mein bisheriges Bild. Hans-Rudolf Gestewitz mußte demnach ein sehr bedeutender Mensch für die DDR gewesen sein, denn wenn er auf der einen Seite informeller Mitarbeiter der StaSI und gleichzeitig mit dem Minister für Nationale Verteidigung, Hoffmann, gut befreundet war, so war es möglich, daß über ihn ein Fall sozusagen an mehrere Institutionen der inneren und äußeren Abwehr "verteilt" wurde. Es kann demnach sein, daß General Gestewitz von der NVA beauftragt worden ist, Professor Frucht zu überprüfen (von Hoffmann) und er sich dann (ohne Befehl) noch an die StaSi gewandt hat, die sich daraufhin, zusammen mit der HVA ebenfalls an Professor Frucht anhängte. Ich halte dies deshalb für wahrscheinlich, weil Professor Frucht mit überaus verschiedenen Institutionen Kontakt hatte, die Tarneinrichtungen von unterschiedlichen östlichen Überwachungsdiensten waren. So fällt im Gespräch zwischen Prof. Frucht und Dr. Rausch die Frage, ob Herr Rausch denn überhaupt nie etwas aus Bohnsdorf abgeholt habe (Zusammenhang: Professor Frucht wollte wissen, welches Ministerium Herrn Dr. Rausch damals zu ihm geschickt hatte). Herr Dr. Rausch antwortet daraufhin, er wisse zwar, was "die" dort gemacht hätten, aber von dort habe er nie etwas abgeholt. Professor Frucht schien also, wie man an der Frage sehen kann, mit zwei unterschiedlichen Partnern zusammenzuarbeiten, die miteinander wenig zu tun hatten. Zudem schien es mir auf der Tonbandaufnahme des Gespräches vom Dezember 1992 so, als sprächen Professor Frucht und Dr. Rausch über zwei unterschiedliche Dinge, im Bezug auf Bohnsdorf. Herr Rausch meinte ein chemisches Institut, was in Bohnsdorf zu finden war, jedoch paßte dieses nicht auf die von Professor Frucht gegebene Beschreibung. Der Name Bohnsdorf legt noch eine andere Möglichkeit nahe: Ahnen Sie, wer seine Zentrale im Ostberliner Stadtteil Bohnsdorf hatte? ... Die HVA! Es wäre möglich, daß Professor Frucht nicht mit einem Institut im Kontakt gestanden hat, sondern mit einem Zweig der HVA, der sich als wissenschaftliches Institut ausgab und ihn auf diese Weise gezielt falsch über den "Kältekampfstoff" informieren konnte....

Im folgenden zitiere ich aus den Mitschriften, die mir Clive Freeman von einem Gespräch mit Professor Lohs (wichtiger Militärchemiker der ehemaligen DDR) schickte: "In the last few months evidence has emerged that in Bohnsdorf in Berlin the Stasi maintained a research unit for chemical weapons, under the guise of civil defence installation. They kept substances and stocks of chemical weapons there" (Q97) Deutsch: "In den letzten paar Monaten ist der Beweis aufgetaucht, daß die StaSi in Berlin Bohnsdorf eine Forschungseinrichtung für chemische Waffen unter Anleitung des zivilen Abwehrdienstes unterhalten hat. Sie lagerten dort Substanzen und chemische Waffen." Weiter unten im Text heißt es: "The Sarin was found in the civil defence premises, but behind these was a StaSi undercover operation where the VX was kept. Officially it was supposed to be a hygiene institute. (...) Nothing could have come out. Absolutely top security installation." (Q98) Deutsch: "Das Sarin wurde in den Gebäuden des zivilen Abwehrdienstes gefunden, aber dahinter steckte eine verdeckte StaSi-Operation", die das VX aufbewahrte. Offiziell wurde dieses Institut für "sauber" gehalten. (...) Nichts konnte herauskommen - absolute Hochsicherheitsinstallation (nicht zu entdecken)." Jetzt die entscheidende Stelle: "Perry Robinson had asked me directly about the Frucht affair. He was inclined to say Frucht had conjured up the whole. But I had always answered that Frucht was in my eyes a highly intelligent man, and any suggestion that he could have hatched up the story was most improbable. I said that it was perhaps possible that the military with whom he was in contact with had planted the story on him, and that Frucht, who had not sufficient knowledge of cw and chemistry had somply believed it. (...) I am sure that Frucht had sincerely believed, what he was told by the military. It was not only Gestewitz, who he was in touch with. Other military experts were coming to him. (...) They were all people who had contact with Frucht, and who were direcly from the army cw service, or from the medical service. I never believed that Frucht had dreamed up the story. I could not rule out that he had falsely misinterpreted or misheard something." (Q99) Deutsch: "Perry Robinson hat mich direkt zur Frucht-Affaire befragt und war geneigt, zu behaupten, daß Frucht sich alles nur ausgedacht habe. Aber ich habe immer wieder geantwortet, daß Frucht in meinen Augen ein hoch intelligenter Mann war, und die Annahme, daß er die ganze Geschichte erfunden haben könnte war höchst unwahrscheinlich. Ich sagte, daß es u.U. möglich sei, daß das Militär, mit dem er in Kontakt war, ihm die Geschichte aufgetischt hatte, und daß Frucht, der keine ausreichenden Kenntnisse über Chemiewaffen und deren Chemie hatte, dies einfach geglaubt hat. (...) Ich bin sicher, daß Frucht ehrlich das geglaubt hat, was ihm die Militärs erzählt haben. Es war nicht nur Gestewitz, mit dem er in Kontakt stand. Er wurde auch von anderen Militärexperten besucht. (...) Die Leute, die mit Frucht Kontakt hatten, waren alle direkt von der Armee - Abteilung chemische Waffen oder vom medizinischen Dienst. Ich habe niemals geglaubt, daß Frucht sich die Geschichte ausgedacht hat. Ich konnte nicht herausfinden, ob er etwas falsch interpretiert hatte oder ob er sich verhört hatte."

Es ist mir klar, daß diese Spekulationen, wer wen getäuscht und mit wem gesprochen hatte, nur wenig mit dem Thema "Protest" direkt zu tun haben. Jedoch zeugen sie in höchst interessanter Weise von den Methoden und dem Dschungel des DDR-Spionageapparates. Sie lassen lediglich den Punkt "Sinn des Protestes" in einem anderen Licht erscheinen.

Das Thema ist so interessant und mitreißend, daß es fast ein wenig schwer fällt, sich auf den Hauptpunkt "Protest" zu konzentrieren, denn der ist, nach fast allem was ich gehört und gelesen habe, eine klare Sache. Der tragische Fall, der die schamlose Ausnutzung des Mutes und der Charakterstärke von Professor Frucht beschreibt ist es wert, noch näher, als dies hier geschehen ist, untersucht zu werden und an seinem Beispiel dem Leser Einblicke in die Vergangenheit der einen Hälfte unseres nun geeinten Deutschlands zu gewähren.

Bildanlagen:

Der Vorschlag der Verurteilung zum Tod, mit anschließender Begnadigung mit geschwärztem (l) und ungeschwärztem Namen (r)

Ausschnitte aus dem Urteil, das Professor Frucht für zehn Jahre hinter Gitter brachte

Ein streng geheimes Dokument, auf dem die Namen der StaSi-Institutionen vermerkt ist, die Professor Frucht "bearbeitet" haben.

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