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* Widersprüchlichkeiten in "Der Kälteste Krieg" - Textanalyse
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1. Die erste Textstelle beschreibt die Situation bei der Übergabe des Giftes in der Glasflasche an Professor Frucht im Institut. "An einem Frühlingstag des Jahres 1966 gaben Chemiker der Nationalen Volksarmee Frucht tatsächlich Kenntnis von dem neuen, aber noch namenlosen Nervengas des Warschauer Pakts - Es handelte sich um den Nervenkampfstoff den General Gestewitz erwähnt hatte, als er seine Alaska-Operation skizzierte." (Q86) Es existieren ein Kampfstoff und eine geplante Militäroperation. Trotzdem hat der Kampfstoff, um den es geht keinen Namen. Für eine präzise Planung und einen Einsatzplan sehr unpraktisch... . Ein Indiz dafür, daß dieser Stoff in Wirklichkeit eventuell gar nicht existierte.2. Professor Frucht läßt sich die Formel des Stoffes erklären. "Aufschreiben kann man das wohl nicht?" sagte Frucht. "Doch, doch", antwortete der Leutnant [RAUSCH]. " Das stand in der Sondernummer der Zeitschrift für Militärmedizin der DDR und ist kein Geheimnis." (Q87)
Eine so wichtige und geheime Formel ist in einer Zeitschrift, die jedem Bürger der DDR zugänglich war - äußerst suspekt. Außerdem sagt er das auch noch ganz öffentlich: Kein Geheimnis. Scheint also kein so wichtiger Stoff gewesen zu sein, den man Professor Frucht als den "Kältekampfstoff "verkaufte.3. Dr. Rausch zeigt Professor Frucht den Zettel, auf den er die Formel des Stoffes notiert hat. "Das ist aber keine große Erfindung", sagte Frucht nach einem Blick auf die Formel." (Q88)
Sogar Professor Frucht selbst schien die Formel bekannt vorzukommen.4. Trotzdem schien Adolf-Henning Frucht fest davon überzeugt, etwas streng Geheimes zu verraten, wie sein Kurier in einem an den CIA gerichteten Geheimbrief schreibt. [Frieda = Professor Frucht; Orchesterarbeit = Spionagetätigkeit]:
"Frieda berichtet mir voller Freude über ihre Orchesterarbeit, die sie fleißig und in höchst lohnender Weise neben ihrer normalen beruflichen Arbeit leistet." (Q89)
Trotz dieser Seltsamkeiten, die Herrn Frucht wohl aufgefallen und in Erinnerung geblieben sein müssen, denn sonst hätte er sie den Autoren ja nicht in der Weise schildern können, war er, wie man aus der Quelle schließen kann, offenbar doch sehr fest davon überzeugt, daß er etwas absolut Wichtiges verriet.5. "Die Flaschen enthielten nach Professor Fruchts Angaben einige hundert Kubikzentimeter eines neuen, sehr speziellen Kampfstoffes." (Q90) Die Autoren scheinen offenbar selbst an der Aussage des Professors gezweifelt zu haben, oder ihnen waren, wie mir, ein paar Zusammenhänge nicht ganz schlüssig.
6. "Außerdem hatten die Amerikaner ja die vollständige Formel, Frucht schrieb ihnen, er sei im Besitz von mehreren hundert Kubikzentimetern des neuen Kampfstoffes, beabsichtige aber nicht, damit etwas anzufangen. Zu seiner Erleichterung reagierten die Amerikaner mit Unglauben. Eine Flasche mit Kampfstoff in einem Büroschrank ging offenbar über ihr Vorstellungsvermögen." (Q91) Es ist nichts darüber ausgesagt, ob die Amerikaner das nicht glauben konnten ("offenbar") oder ob sie Frucht für jemanden hielten, der sie nur auszuspionieren suchte. Wenn er wirklich in eine Falle getappt war, und den Amerikanern eine völlig unwichtige Information geben wollte, so mußten sie vermuten, daß die StaSi hinter dieser Person stand, und sie wollten ihn deshalb zurückweisen, damit keine falschen Informationen hereingeschleust werden konnten und die StaSi nicht die Möglichkeit erhielt, die Wege der falschen Informationen innerhalb des Geheimdienstes nachzuforschen.
Dies ist nur eine Auswahl an Widersprüchen, die sich im Buch "Der kälteste Krieg" an der Stelle ergaben, wo über den Ablauf der Informationsbeschaffung von Professor Frucht berichtet wird. Ich bin der Meinung, daß die oben angeführten Widersprüche so merkwürdig sind, daß die bisher veröffentlichte Theorie auf jeden Fall nicht in allen Bereichen richtig sein kann. Es ist geradezu unvorstellbar, daß ein hoher General, der ein weltpolitisch so wichtiges Geheimnis verraten hat, dafür überhaupt nicht zur Rechenschaft gezogen wird. Dies ist in der DDR gleich doppelt seltsam, wo doch schon das Lesen einer westdeutschen Zeitung genügte, um eine staatsfeidliche Gesinnung festzustellen. Niemand im engeren Umfeld Professor Fruchts wurde wirklich zur Rechenschaft gezogen. Der General, der hochbrisante Geheimnisse an den militärisch ungeprüften Wissenschaftler ausplauderte wurde 1976 sogar noch mit dem "Vaterländischen Verdienstorden in Gold" ausgezeichnet! (Q92)
Die These, die ich über den Verlauf der ganzen Sache aufgestellt habe, baut auf den
verschiedensten kleinen Äußerungen auf, die ich in Gesprächen mit Journalisten und
Zeitzeugen aufschnappte. Rechtsanwalt Vogel sagte mir sogar, auf meine These hin befragt, er
habe selbst früher diese Vermutung gehabt, und ich solle dem nachgehen.
Ich will nun einmal schildern, wie sich damals wirklich alles zugetragen haben könnte:
Professor Frucht arbeitete an einigen Projekten, die für die NVA sehr interessant waren
(Biolumineszenztester), jedoch konnte er nicht einfach in die militärische Forschung mit
eingebunden werden, weil er nicht sicherheitsüberprüft war, das heißt es war nicht
sichergestellt, ob man ihm Geheimnisse des Staates anvertrauen konnte oder ob er ein
perfekter DDR-Bürger im Sinne der Staatsdoktrin war. Man mußte also zuerst seine
Vertrauenswürdigkeit überprüfen und tat dies, indem man ihm einfach etwas auftischte, was
sich nach einer großen Sache anhörte, jedoch nur als "Testballon" dienen sollte. Professor
Frucht hatte mit General Gestewitz schon sehr häufig zusammen über alle möglichen sinnvollen
und unsinnigen Neuerungen in der Waffentechnik geplaudert und die beiden hatten ein gutes
Verhältnis zueinander. Teilweise waren ihre Überlegungen allzu phantasievoll, wie z. B. als sie
zusammen über die Einrichtung einer großen Unterwasserarmee diskutierten, die ja gegen
Gasangriffe perfekt geschützt sein müßte....
Man könnte sich an diesem Punkt zwei verschiedene Wege vorstellen, wie eine solch
gravierende Fehlinformation zu Stande kommen konnte. Es wäre entweder möglich, daß
Professor Dr. Frucht einfach nur eine Äußerung von General Gestewitz "in den falschen Hals"
bekommen hatte und sich deshalb grundlos Sorgen machte. Es kann sein, daß der General
wieder einmal nur prahlen wollte, wie sehr man doch dem kapitalistischen Westen überlegen
sei. Ich halte diese Version aber für unwahrscheinlich, da Professor Frucht ein Mensch war, der
die außergewöhnliche Fähigkeit hatte, fast sofort hinter eine nicht sattelfeste Sache zu steigen.
Ich will ein Beispiel geben: Ich habe einen der Autoren von "der Kälteste Krieg", Gwynne
Roberts, in London angerufen, um ihn zu fragen, ob er es für möglich hielte, daß sich Herr Dr.
Frucht damals einfach nur getäuscht hatte. Er antwortete mir mit einer kleinen Anekdote, die
ich hier kurz wiedergeben will. Als es darum ging, das Manuskript für "der Kälteste Krieg"
fertigzustellen, besuchte Professor Frucht den Schriftsteller in London. Bei einigen ihrer
Treffen war ein Mann anwesend, der ein neuer Bekannter von Herrn Roberts war. Sie trafen
sich oft zum Golfspielen, etc.. Professor Frucht hatte ihn noch keine fünf Minuten gesehen, als
er Herrn Roberts schon zur Seite nahm, um ihn zu fragen, ob es nicht möglich sei, daß dieser
Mann, der "neue Freund", ein Agent war. Herr Roberts konnte es sich nicht vorstellen, doch
als er auf einmal bemerkte, daß jemand an seinen Manuskripten "herumgespielt" hatte, stellte
er Nachforschungen an, die ergaben, daß der Mann tatsächlich vom CIA war. In meinem
Telefongespräch mit ihm sagte er wörtlich folgenden Satz: "Es war unglaublich! Ich laufe da
rum wie ein Idiot und lasse mich tagelang an der Nase herumführen und Frucht sieht den Mann
5 Minuten und sagt: Du, der ist vom Geheimdienst. Seine Auffassungsgabe und Fähigkeit zu
kombinieren war verblüffend." (Q93)
Dies war die Antwort, die ich auf meine Frage hin bekam, zusammen mit der Erläuterung, daß
er sich nicht vorstellen könne, wie Professor Frucht sich getäuscht haben könnte, wo er doch
ein Mensch war, der alles hinterfragte.
Man könnte jetzt natürlich sagen, daß er dann ja wohl auch nicht getäuscht worden sein
könnte, wenn er alles durchschauen können sollte. Nun, die heimtückischen
Täuschungsversuche der StaSi waren sehr häufig fast undurchschaubar, sie wurden schon
unglaublich vielen DDR-Bürgern zum Verhängnis. Fast alle Menschen, die in der ehemaligen
DDR ins Gefängnis kamen, waren auf irgendeine Art eines solchen Betruges hereingefallen,
meist durch den eines Informellen Mitarbeiters. In den Antworten meiner Ansprechpartner
ließen sich auch eine ganze Reihe von Erklärungsversuchen für die Entdeckung von Professor
Fruchts Informantentätigkeit finden, nach denen ich überhaupt nicht gefragt hatte:
Zellengenosse Alfred Albrecht schreibt: "Daß er ausgerechnet einer undichten Stelle im Sicherheitsring der amerikanischen Botschaft in West-Berlin in die Hände geraten mußte, war Pech." (Q94) Als sich Professor Frucht mit Herrn Albrecht in der Zelle traf ging er noch davon aus, durch einen Doppelagenten im Geheimdienst verraten worden zu sein.
Rudolf Lohse, ebenfalls Zellengenosse aus Bautzen II meint auch: "Trotzdem müssen Doppelagenten den Frucht verraten haben, sonst wäre er nicht in das Getriebe der Staatssicherheit geraten." (Q95)
Beide hielten es nicht für möglich, daß die StaSi ohne einen besonderen Zufall hinter diese
Sache hätte steigen können, sie vermuten einen Doppelagenten. Inzwischen ist bekannt, daß
die Informationen, die Professor Frucht zum Verhängnis wurden, aus seinen Papierkörben im
Institut stammen. Irgend jemand hatte aus den achtlos weggeworfenen Unterlageblättern, die
unter seinen "Spionagebriefen" gelegen hatten, durch schraffieren der Oberfläche die
Vertiefungen im Papier durch die Lettern der Schreibmaschine auf dem darüberliegenden Blatt
wieder herausgearbeitet, so daß man das Original jetzt rekonstruieren konnte.... Es ist zwar
bekannt, daß das MfS ihre Verdächtigen auf Schritt und Tritt überwachte, aber jedes noch so
unwichtig erscheinende Blatt aus dem Papierkorb eines Wissenschaftlers (!!), der sicherlich
nicht ganz so wenig gefüllt sein wird, zu sammeln und auszuwerten, das scheint doch etwas
übertrieben, wenn man sich vorstellt, wie viele Menschen mit einer solchen Aufgabe betraut
gewesen sein müßten, wenn man jeden Zettel aus dem Papierkorb einer zu überprüfenden
Person hätte auswerten wollen. Außerdem war davon auszugehen, daß man nichts finden
würde, weil die Spuren geheimer Briefe meistens sehr gut verwischt sind.
Wenn man meine These im Hinterkopf hat, nämlich daß Professor Frucht bewußt von der
StaSi mit falschen Informationen "gefüttert" wurde, um ihn auf seine Loyalität dem Staate
gegenüber zu testen, läßt sich allerdings für diese Merkwürdigkeit schnell eine Erklärung
finden: Man mußte nicht ziellos herumwühlen, sondern man wußte sehr genau, wonach und wo
man suchen sollte.
Die eindeutigste und wahrscheinlich wohl auch finale Bestätigung meiner Vermutung kam für
mich völlig überraschend mit der Post, und zwar ohne daß ich direkt danach gefragt hatte. Dr.
Franz Kössler, ein enger Mitarbeiter von Professor Frucht im Institut, der sich wegen seiner
Herzschwäche erst nicht mehr mit der "Geschichte Frucht" beschäftigen wollte, antwortete mir
auf meine Frage, wie denn die Tests mit dem angeblichen Kampfstoff im Institut ausgefallen
seien mit einem Ausschnitt aus einem Artikel über die Geschichte der Toxizitätsforschung des
Institutes, der sich mit meinem Problem beschäftigt.
"Die meisten dieser neueren Anwendungsgebiete waren zur Zeit der Arbeiten mit
Leuchtbakterien in Berlin-Lichtenberg noch nicht absehbar, aber daß es sich um eine höchst
aktuelle Thematik handelte, war bereits nach unserer ersten Kurzmittleilung in der Zeitschrift
"Die Naturwissenschaften" (Kössler et al.1965) zu erahnen. Diese Publikation löste
zahlreiche Sonderdruckanforderungen aus, aber auch die Alarmglocken in militärischen
Institutionen, die einen Einsatz unter spezifischen Bedingungen des Kalten Krieges in
Betracht zogen (vgl. FRUCHT & FRUCHT 1992). Die an der Universität Greifswald
verhältnismäßig gut ausgestattete Sektion Militärmedizin stellte uns sogar ein Gerät zur
Verfügung, mit dem wir die Lyophilisierung der Leuchtbakterien erproben könnten, und eines
Tages (im Frühjahr 1967) reiste ein Chemiker von dort mit Testlösungen an, vermeintlich
chemische Kampfstoffe (KS), die in der Meßanordnung in Lichtenberg zu testen wären.
Dabei fiel uns als erstes der sorglose Umgang mit diesen Lösungen auf (Handhabung ohne
Schutzbrille, ohne Schutzhandschuhe, Entsorgung über die städtische Kanalisation), noch
mehr aber das völlige Ausbleiben einer Reaktion der Bakterienlumineszenz auf diese Stoffe.
In den zahlreichen vorangegangenen Experimenten reagierten die Bakterien auf nahezu alle
Substanzen, die wir anboten, besonders aber auf die phosphorhaltigen Insektizide. Deshalb
vermuteten wir bei den mitgebrachten Substanzen, daß es sich um reines Wasser handeln
müsse, das in erster Linie dazu diente, geheimdienstlich zu verfolgen, was mit den reichlich
zur Verfügung gestellten Lösungen passieren könnte, denn Prof. Frucht war offensichtlich
schon über längere Zeit im Visier der Sicherheitsorgane.
Nach der politischen Wende in der DDR ließ uns der ehemalige Militärchemiker wissen, daß
es sich wohl doch um eine sehr stark verdünnte Probe einer als Kampfstoff anzusehenden
Substanz gehandelt hätte. Frucht fragte damals den Chemiker nach genauen Einzelheiten
einschließlich chemischer Formel für diese Substanz und reservierte die verbleibende
Testlösung, um sie möglichst bald westlichen Diensten anzubieten. [davon ist bisher nichts
bekannt!!] Er war überzeugt, man dürfe diese gefährlichen Substanzen im bestehenden
Ost/West-Konflikt nicht dem Vorteil einer Seite überlassen. Hätten beide Lager die
gleichen Kenntnisse, könnte im Ernstfall ein Einsatz vermieden werden. Zu einer
Übergabe der vermeintlichen KS-Lösung und der neuen Daten kam es nicht mehr. [Lösung
war auch nicht geplant. Daten wurden übergeben] Während einer Dienstreise nach Prag
schnappte die Falle zu und nach einem Jahr Untersuchungshaft wurde Frucht vom
Militärgericht der DDR wegen fortgesetzter, vielseitiger Spionagetätigkeit für westliche
Geheimdienste zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Seinem Anwalt Dr. Vogel gelang es erst
nach 10 Jahren, ihn auf dem Wege des Häftlingsaustausches freizubekommen." (Q96)
Daß die StaSi schon länger von der "konspitativen Tätigkeit" Professor Fruchts wußte ist möglich. Jedoch weiß ich aus vielen Gesprächen, daß Herr Dr. Frucht als privilegiert galt und ich denke, man hätte ihm dies eventuell nachgesehen, wenn es nur um die Privatperson Frucht ging [meine Spekulation]. Wenn Professor Frucht aber militärischer Geheimnisträger werden sollte, konnte man keinen noch so harmlosen Kontakt zu einem feinlichen Geheimdienst dulden und so mußte man irgendwie sicherstellen, daß Professor Frucht vertrauenswürdig war. Ich denke, es ist schlüssiger, damit den Täuschungsversuch der StaSi zu begründen, als zu vermuten, man habe nur einen guten Grund gesucht, um ihn jetzt endlich festnehmen zu können.
So, nun habe ich meine neue Version des wahrscheinlichsten Ablaufes geschildert, die ich mir
aus vielen kleinen Puzzelteilen zusammengesetzt habe. Es ist das wahrscheinlichste Szenario,
wenn ich mit Sicherheit sagen könnte, daß es 1967 keinen "Kältekampfstoff" in den Lagern der
NVA gegeben hat. Dies ist mir mit 95%iger Sicherheit gelungen, doch kann ich nicht komplett
ausschließen, daß es eventuell doch einen kälteresistenten chemischen Kampfstoff gegeben
haben könnte, von dem heute noch niemand etwas weiß. Allerdings ist eine solche Möglichkeit
verschwindend gering.
Eine weitere sehr interessante Frage ist die Nachforschung nach den von Herrn Dr. Kössler in
oben zitierter Quelle genannten Möglichkeit, die auch ich schon gesehen hatte, nämlich daß
man Professor Frucht die Geschichte mit dem Kältekampfstoff nur aufgetischt hatte, um
"geheimdienstlich zu verfolgen", was damit geschehen würde. Das heißt, man wollte
versuchen, über Professor Frucht die Informationswege innerhalb der CIA, sowie die Arten des
Nachrichtentransfers herauszufinden. Ich habe in diesem Zusammenhang bereits die HVA
genannt. Von Herrn Karl-Willhelm Fricke weiß ich, daß die Gegenspionage eine der
entscheidenden Aufgaben der HVA war, die sicherlich in einem Fall von bewußter Täuschung
eine Rolle gespielt haben muß. Wenn ich die mir von Dr. Maria Frucht zur Verfügung
gestellten Kopien der Original - StaSi-Dokumente betrachte, so fällt auf, daß im Kopf der
Seiten immer die Abteilung X, bzw. Abteilung II erwähnt ist. Abteilung X ist bereits bekannt,
als zuständig für Maßnahmen aktiver Zersetzung und Desinformation. In einem Register über
die Aufgaben der verschiedenen Abteilungen der HVA (=> Fricke) sah ich nach, welche
Aufgaben die Abteilung II zu erfüllen hatte und fand, daß sie für die "äußere Spionageabwehr"
der DDR zuständig war. Dies stützt die Vermutung, daß man offenbar versuchte, nicht nur
Professor Frucht zu überführen, sondern mit seiner unwissentlichen Hilfe auch noch einen
Zugang zur CIA zu bekommen (evtl. durch Enttarnung der Deckadressen und anschließender
Überwachung der Post).
Interessant ist auch folgende Information, die mir Herr Fricke gab, als ich ihn auf General
Gestewitz ansprach. Seine spontane Reaktion ("der war doch IM") paßte ganz gut in mein
bisheriges Bild. Hans-Rudolf Gestewitz mußte demnach ein sehr bedeutender Mensch für die
DDR gewesen sein, denn wenn er auf der einen Seite informeller Mitarbeiter der StaSI und
gleichzeitig mit dem Minister für Nationale Verteidigung, Hoffmann, gut befreundet war, so
war es möglich, daß über ihn ein Fall sozusagen an mehrere Institutionen der inneren und
äußeren Abwehr "verteilt" wurde. Es kann demnach sein, daß General Gestewitz von der NVA
beauftragt worden ist, Professor Frucht zu überprüfen (von Hoffmann) und er sich dann (ohne
Befehl) noch an die StaSi gewandt hat, die sich daraufhin, zusammen mit der HVA ebenfalls an
Professor Frucht anhängte. Ich halte dies deshalb für wahrscheinlich, weil Professor Frucht mit
überaus verschiedenen Institutionen Kontakt hatte, die Tarneinrichtungen von
unterschiedlichen östlichen Überwachungsdiensten waren. So fällt im Gespräch zwischen Prof.
Frucht und Dr. Rausch die Frage, ob Herr Rausch denn überhaupt nie etwas aus Bohnsdorf
abgeholt habe (Zusammenhang: Professor Frucht wollte wissen, welches Ministerium Herrn
Dr. Rausch damals zu ihm geschickt hatte). Herr Dr. Rausch antwortet daraufhin, er wisse
zwar, was "die" dort gemacht hätten, aber von dort habe er nie etwas abgeholt. Professor
Frucht schien also, wie man an der Frage sehen kann, mit zwei unterschiedlichen Partnern
zusammenzuarbeiten, die miteinander wenig zu tun hatten. Zudem schien es mir auf der
Tonbandaufnahme des Gespräches vom Dezember 1992 so, als sprächen Professor Frucht und
Dr. Rausch über zwei unterschiedliche Dinge, im Bezug auf Bohnsdorf. Herr Rausch meinte
ein chemisches Institut, was in Bohnsdorf zu finden war, jedoch paßte dieses nicht auf die von
Professor Frucht gegebene Beschreibung. Der Name Bohnsdorf legt noch eine andere
Möglichkeit nahe: Ahnen Sie, wer seine Zentrale im Ostberliner Stadtteil Bohnsdorf hatte? ...
Die HVA! Es wäre möglich, daß Professor Frucht nicht mit einem Institut im Kontakt
gestanden hat, sondern mit einem Zweig der HVA, der sich als wissenschaftliches Institut
ausgab und ihn auf diese Weise gezielt falsch über den "Kältekampfstoff" informieren konnte....
Im folgenden zitiere ich aus den Mitschriften, die mir Clive Freeman von einem Gespräch mit Professor Lohs (wichtiger Militärchemiker der ehemaligen DDR) schickte: "In the last few months evidence has emerged that in Bohnsdorf in Berlin the Stasi maintained a research unit for chemical weapons, under the guise of civil defence installation. They kept substances and stocks of chemical weapons there" (Q97) Deutsch: "In den letzten paar Monaten ist der Beweis aufgetaucht, daß die StaSi in Berlin Bohnsdorf eine Forschungseinrichtung für chemische Waffen unter Anleitung des zivilen Abwehrdienstes unterhalten hat. Sie lagerten dort Substanzen und chemische Waffen." Weiter unten im Text heißt es: "The Sarin was found in the civil defence premises, but behind these was a StaSi undercover operation where the VX was kept. Officially it was supposed to be a hygiene institute. (...) Nothing could have come out. Absolutely top security installation." (Q98) Deutsch: "Das Sarin wurde in den Gebäuden des zivilen Abwehrdienstes gefunden, aber dahinter steckte eine verdeckte StaSi-Operation", die das VX aufbewahrte. Offiziell wurde dieses Institut für "sauber" gehalten. (...) Nichts konnte herauskommen - absolute Hochsicherheitsinstallation (nicht zu entdecken)." Jetzt die entscheidende Stelle: "Perry Robinson had asked me directly about the Frucht affair. He was inclined to say Frucht had conjured up the whole. But I had always answered that Frucht was in my eyes a highly intelligent man, and any suggestion that he could have hatched up the story was most improbable. I said that it was perhaps possible that the military with whom he was in contact with had planted the story on him, and that Frucht, who had not sufficient knowledge of cw and chemistry had somply believed it. (...) I am sure that Frucht had sincerely believed, what he was told by the military. It was not only Gestewitz, who he was in touch with. Other military experts were coming to him. (...) They were all people who had contact with Frucht, and who were direcly from the army cw service, or from the medical service. I never believed that Frucht had dreamed up the story. I could not rule out that he had falsely misinterpreted or misheard something." (Q99) Deutsch: "Perry Robinson hat mich direkt zur Frucht-Affaire befragt und war geneigt, zu behaupten, daß Frucht sich alles nur ausgedacht habe. Aber ich habe immer wieder geantwortet, daß Frucht in meinen Augen ein hoch intelligenter Mann war, und die Annahme, daß er die ganze Geschichte erfunden haben könnte war höchst unwahrscheinlich. Ich sagte, daß es u.U. möglich sei, daß das Militär, mit dem er in Kontakt war, ihm die Geschichte aufgetischt hatte, und daß Frucht, der keine ausreichenden Kenntnisse über Chemiewaffen und deren Chemie hatte, dies einfach geglaubt hat. (...) Ich bin sicher, daß Frucht ehrlich das geglaubt hat, was ihm die Militärs erzählt haben. Es war nicht nur Gestewitz, mit dem er in Kontakt stand. Er wurde auch von anderen Militärexperten besucht. (...) Die Leute, die mit Frucht Kontakt hatten, waren alle direkt von der Armee - Abteilung chemische Waffen oder vom medizinischen Dienst. Ich habe niemals geglaubt, daß Frucht sich die Geschichte ausgedacht hat. Ich konnte nicht herausfinden, ob er etwas falsch interpretiert hatte oder ob er sich verhört hatte."
Es ist mir klar, daß diese Spekulationen, wer wen getäuscht und mit wem gesprochen hatte, nur wenig mit dem Thema "Protest" direkt zu tun haben. Jedoch zeugen sie in höchst interessanter Weise von den Methoden und dem Dschungel des DDR-Spionageapparates. Sie lassen lediglich den Punkt "Sinn des Protestes" in einem anderen Licht erscheinen.
Das Thema ist so interessant und mitreißend, daß es fast ein wenig schwer fällt, sich auf den
Hauptpunkt "Protest" zu konzentrieren, denn der ist, nach fast allem was ich gehört und
gelesen habe, eine klare Sache. Der tragische Fall, der die schamlose Ausnutzung des Mutes
und der Charakterstärke von Professor Frucht beschreibt ist es wert, noch näher, als dies hier
geschehen ist, untersucht zu werden und an seinem Beispiel dem Leser Einblicke in die
Vergangenheit der einen Hälfte unseres nun geeinten Deutschlands zu gewähren.