Der
Place de la Concorde - Paris' größter Platz - liegt am Beginn einer
bedeutenden innerstädtischen Achse, die über die Avenue des Champs-Élysées
zum Arc de Triomphe führt und heute bis in das Viertel La Défense
mit dem "neuen Triumphbogen", dem Grand Arche de la Défense reicht.
Bei Joachim Lutz' Aquarell dieses innerstädtischen "Knotenpunktes"
handelt es sich um ein Blatt aus dem Bestand einer umfangreichen
Schenkung an das Kurpfälzische Museum, die er selbst noch kurz vor
seinem Tod verfügte. In diesem Jahr wäre der am 12. Januar 1906
in Höchst a. M. geborene und im Februar 1954 im Alter von erst 48
Jahren in Ziegelhausen verstorbene Künstler 100 Jahre alt geworden.
Lutz arbeitete in unterschiedlichen Techniken - Bleistiftzeichnungen,
Aquarelle, Holzschnitte, Lithographien etc. gehören zu seinem
breitgefächerten graphischen Oeuvre. Auch im Bereich der Motivwahl
ist die Spannweite bei ihm sehr groß. Einen Schwerpunkt kann man
gleichwohl bei den Sujets Porträt und Landschaft sehen. Den herrschenden
Kunstrichtungen sind seine Arbeiten nicht klar zuzuordnen, wobei
man bisweilen Anklänge an verschiedene Strömungen und Tendenzen
zu erahnen meint, wie beispielsweise bei dem ein oder anderen
Blatt eine ganz entfernt kubistisch anmutende Auffassung oder
in der Fixierung des Moments eine "nachimpressionistische" formauflösende
Behandlung des Motivs, manchmal ist auch eine gewisse Nähe zu
Arbeiten Lyonel Feiningers zu spüren. Lutz' Arbeiten bleiben stets
dem Gegenständlichen verhaftet, wenngleich die Darstellungen kleinteilig
und detailliert sein, aber auch durchaus unterschiedliche Grade
und Ansätze der Abstraktion zeigen können.
Lutz, der in Mannheim aufwuchs, sollte eigentlich beruflich seinem
Vater nachfolgen und wie dieser Ingenieur werden, doch seiner
Begabung und Neigung entsprechend schlug er einen ganz anderen
Ausbildungs- und Berufsweg ein. Mit 18 Jahren ging er nach Weimar,
wo er an der Kunstakademie als Schüler des Graphikers und Illustrators
Walter Klemm Aufnahme fand. Im darauf folgenden Jahr, 1925, besuchte
Lutz für ein halbes Jahr die Kunstgewerbeschule in Stuttgart.
Bis 1939 war Lutz überwiegend in Mannheim tätig. Er arbeitete
in diesem Zeitraum als Pressezeichner für verschiedene Zeitungen.
Zudem wurde ihm 1936/37 die Leitung der Freien Akademie in Mannheim
übertragen und auch seine spätere Freundschaft mit Will Sohl nahm
in den Vorkriegsjahren ihren Anfang. Überdies unternahm er Studienreisen
durch Holland, Dalmatien, Frankreich und Polen. Ferner nahm er
an einer zweijährigen Afrikaexpedition (1928-1930) teil, die ihn
in besonderer Weise beeindruckte. Mit dem Auftrag, neu entdeckte
Fels- und Höhlenmalereien zu kopieren, begleitete er den späteren
Direktor des Frankfurter Völkerkunde-Museums Leo Frobenius auf
dessen Forschungsreise nach Rhodesien. Auch für seine eigene künstlerische
Entwicklung bedeutete der Aufenthalt in Afrika einen Einschnitt;
hatte er sich bis dahin ganz auf Zeichnung und Druckgraphik konzentriert,
so beschäftigte er sich nun erstmals mit der Aquarellmalerei.
Drei Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ließ sich Joachim
Lutz erstmals in Ziegelhausen nieder, wohin er nach dem Krieg
1945/46 zurückkehren sollte. Während des Krieges kam er als Soldat
und Kriegsberichterstatter nach Russland, Frankreich und Italien.
Auch in dieser Situation hielt er, wie bei den vorangegangenen
Studienreisen, seine Eindrücke in zahlreichen Zeichnungen und
Studien fest.
Ein Blatt aus dieser Zeit ist das 1941 entstandene Aquarell des
Place de la Concorde in Paris, den Lutz im Winter des Jahres im
Schneetreiben festhielt.
Der Place de la Concorde ist eines der Wahrzeichen der Seine-Metropole.
Der Name des Platzes täuscht ein wenig über seine Geschichte hinweg.
Aus dem Place Louis XV. wurde während der Französischen Revolution
der Place de la Révolution, Aufstellungsort der Guillotine und
Schauplatz unzähliger Hinrichtungen. Nach dem Ende der Schreckensherrschaft
erhielt der Platz 1795 erstmals seinen gegenwärtigen Namen, den
er, nach einigen den Machtverhältnissen entsprechenden Namenswechseln,
schließlich endgültig seit 1830 trägt. Sein charakteristisches
"Gesicht" erhielt er im 19. Jahrhundert. Besonders markant ist
der 1836 aufgestellte Obelisk von Luxor, ein Geschenk des ägyptischen
Vizekönigs, der mit mehr als 20 Metern Höhe das gesamte Ensemble
überragt. Den Sockel schuf der gebürtige Kölner Architekt und
Stadtplaner Jakob Ignaz Hittorff, der auch mit der weiteren Gestaltung
und Ausschmückung des Platzes beauftragt wurde. So entwarf er
zwei Brunnen und gab acht Skulpturen in Auftrag, Allegorien französischer
Städte.
Obschon Lutz stets dem Gegenständlichen verhaftet blieb, zeigen,
wie eingangs erwähnt, viele seiner Arbeiten abstrahierende Tendenzen.
So auch sein Aquarell des Place de la Concorde mit seiner formelhaften
Zusammenfassung der architektonischen Baukörper im Hintergrund,
der auf das Wesentliche reduzierten Darstellung. Aller Verdichtung
und Verkürzung "zum Trotz" definiert er die örtliche Situation
jedoch präzise, indem er die beiden Brunnen und den Obelisken
prominent und farblich etwas kräftiger gefasst im Vordergrundsbereich
ansiedelt.
Die Winter in den Kriegsjahren waren überwiegend streng. Insbesondere
die drei aufeinanderfolgenden Kriegswinter (1939/40, 1940/41 und
1941/42) zeichneten sich durch extreme Kälte und Schneefülle aus.
In Schnee und Eis quasi "erstarrt" hielt Lutz den Platz in einer
fast entrückt wirkenden Stimmung fest. Allgemein wirkt die Ansicht
wie die spontane Fixierung eines flüchtigen Moments, ein Eindruck,
der durch das Fehlen klar definierter und abgegrenzter Bildränder
unterstützt wird. Die Farben scheinen nach außen hin zu "verlaufen",
werden zunehmend blasser. Die zarte, fast monochrom anmutende
Darstellung präsentiert sich in einer für den Künstler typischen
Farbwahl. Lutz' Aquarelle sind zumeist in gedämpften blaugrünen
oder rotbraunen Tönen gehalten, selten in leuchtenden, kräftigen
Farben. So kommt die Jahreszeit seinem Farbempfinden entgegen
- der winterliche Platz ist in Blautönen gehalten, von einem hellem
Blau bis hin zu dunklem Blaugrau changieren die Töne. Lediglich
das fahle Gelb-orange des winterlichen Morgen- oder Abendhimmels,
das sich wie ein schmaler Lichtstreif in der Ferne unter den dunklen,
düsteren Schneewolken entlang zieht, setzt ganz leichte rötliche
Akzente auf dem Platz. Lutz fängt den ruhigen, gedämpften Ton
des Winters, des Schnees ein, der den Lärm und das Getriebe der
Großstadt zum Erliegen bringt. Unter dem wolkenverhangenen Winterhimmel
erstreckt sich der menschenleere Platz atmosphärisch verklärt,
ganz anders, als man ihn zumeist erlebt. Die verwischten Konturen
und die Andeutung einer Spiegelung unterstreichen den Eindruck
der Unwirklichkeit, das fast schon meditative Moment dieser Betrachtung.
Wie an einem Wasserlauf spiegeln sich der Obelisk, die Brunnen
und eine Straßenlaterne auf der Oberfläche des dem Anschein nach
vereisten Platzes. Dadurch sowie durch das zarte Verblassen der
Farben zu den Bildrändern hin scheinen sie und auch die Gebäudesilhouetten
im Hintergrund letztlich nicht fest mit dem Boden "verankert"
zu sein, sondern mehr oder weniger zu schweben.
Text:
Anja Maria Roth
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