Kunstwerk des Monats
Dezember 2006

Joachim Lutz (Höchst a. M. 1906 - 1954 Heidelberg)
Paris, Place de la Concorde im Winter, 1941

 

Der Place de la Concorde - Paris' größter Platz - liegt am Beginn einer bedeutenden innerstädtischen Achse, die über die Avenue des Champs-Élysées zum Arc de Triomphe führt und heute bis in das Viertel La Défense mit dem "neuen Triumphbogen", dem Grand Arche de la Défense reicht. Bei Joachim Lutz' Aquarell dieses innerstädtischen "Knotenpunktes" handelt es sich um ein Blatt aus dem Bestand einer umfangreichen Schenkung an das Kurpfälzische Museum, die er selbst noch kurz vor seinem Tod verfügte. In diesem Jahr wäre der am 12. Januar 1906 in Höchst a. M. geborene und im Februar 1954 im Alter von erst 48 Jahren in Ziegelhausen verstorbene Künstler 100 Jahre alt geworden.

Lutz arbeitete in unterschiedlichen Techniken - Bleistiftzeichnungen, Aquarelle, Holzschnitte, Lithographien etc. gehören zu seinem breitgefächerten graphischen Oeuvre. Auch im Bereich der Motivwahl ist die Spannweite bei ihm sehr groß. Einen Schwerpunkt kann man gleichwohl bei den Sujets Porträt und Landschaft sehen. Den herrschenden Kunstrichtungen sind seine Arbeiten nicht klar zuzuordnen, wobei man bisweilen Anklänge an verschiedene Strömungen und Tendenzen zu erahnen meint, wie beispielsweise bei dem ein oder anderen Blatt eine ganz entfernt kubistisch anmutende Auffassung oder in der Fixierung des Moments eine "nachimpressionistische" formauflösende Behandlung des Motivs, manchmal ist auch eine gewisse Nähe zu Arbeiten Lyonel Feiningers zu spüren. Lutz' Arbeiten bleiben stets dem Gegenständlichen verhaftet, wenngleich die Darstellungen kleinteilig und detailliert sein, aber auch durchaus unterschiedliche Grade und Ansätze der Abstraktion zeigen können.

Lutz, der in Mannheim aufwuchs, sollte eigentlich beruflich seinem Vater nachfolgen und wie dieser Ingenieur werden, doch seiner Begabung und Neigung entsprechend schlug er einen ganz anderen Ausbildungs- und Berufsweg ein. Mit 18 Jahren ging er nach Weimar, wo er an der Kunstakademie als Schüler des Graphikers und Illustrators Walter Klemm Aufnahme fand. Im darauf folgenden Jahr, 1925, besuchte Lutz für ein halbes Jahr die Kunstgewerbeschule in Stuttgart. Bis 1939 war Lutz überwiegend in Mannheim tätig. Er arbeitete in diesem Zeitraum als Pressezeichner für verschiedene Zeitungen. Zudem wurde ihm 1936/37 die Leitung der Freien Akademie in Mannheim übertragen und auch seine spätere Freundschaft mit Will Sohl nahm in den Vorkriegsjahren ihren Anfang. Überdies unternahm er Studienreisen durch Holland, Dalmatien, Frankreich und Polen. Ferner nahm er an einer zweijährigen Afrikaexpedition (1928-1930) teil, die ihn in besonderer Weise beeindruckte. Mit dem Auftrag, neu entdeckte Fels- und Höhlenmalereien zu kopieren, begleitete er den späteren Direktor des Frankfurter Völkerkunde-Museums Leo Frobenius auf dessen Forschungsreise nach Rhodesien. Auch für seine eigene künstlerische Entwicklung bedeutete der Aufenthalt in Afrika einen Einschnitt; hatte er sich bis dahin ganz auf Zeichnung und Druckgraphik konzentriert, so beschäftigte er sich nun erstmals mit der Aquarellmalerei.

Drei Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ließ sich Joachim Lutz erstmals in Ziegelhausen nieder, wohin er nach dem Krieg 1945/46 zurückkehren sollte. Während des Krieges kam er als Soldat und Kriegsberichterstatter nach Russland, Frankreich und Italien. Auch in dieser Situation hielt er, wie bei den vorangegangenen Studienreisen, seine Eindrücke in zahlreichen Zeichnungen und Studien fest.

Ein Blatt aus dieser Zeit ist das 1941 entstandene Aquarell des Place de la Concorde in Paris, den Lutz im Winter des Jahres im Schneetreiben festhielt.

Der Place de la Concorde ist eines der Wahrzeichen der Seine-Metropole. Der Name des Platzes täuscht ein wenig über seine Geschichte hinweg. Aus dem Place Louis XV. wurde während der Französischen Revolution der Place de la Révolution, Aufstellungsort der Guillotine und Schauplatz unzähliger Hinrichtungen. Nach dem Ende der Schreckensherrschaft erhielt der Platz 1795 erstmals seinen gegenwärtigen Namen, den er, nach einigen den Machtverhältnissen entsprechenden Namenswechseln, schließlich endgültig seit 1830 trägt. Sein charakteristisches "Gesicht" erhielt er im 19. Jahrhundert. Besonders markant ist der 1836 aufgestellte Obelisk von Luxor, ein Geschenk des ägyptischen Vizekönigs, der mit mehr als 20 Metern Höhe das gesamte Ensemble überragt. Den Sockel schuf der gebürtige Kölner Architekt und Stadtplaner Jakob Ignaz Hittorff, der auch mit der weiteren Gestaltung und Ausschmückung des Platzes beauftragt wurde. So entwarf er zwei Brunnen und gab acht Skulpturen in Auftrag, Allegorien französischer Städte.

Obschon Lutz stets dem Gegenständlichen verhaftet blieb, zeigen, wie eingangs erwähnt, viele seiner Arbeiten abstrahierende Tendenzen. So auch sein Aquarell des Place de la Concorde mit seiner formelhaften Zusammenfassung der architektonischen Baukörper im Hintergrund, der auf das Wesentliche reduzierten Darstellung. Aller Verdichtung und Verkürzung "zum Trotz" definiert er die örtliche Situation jedoch präzise, indem er die beiden Brunnen und den Obelisken prominent und farblich etwas kräftiger gefasst im Vordergrundsbereich ansiedelt.

Die Winter in den Kriegsjahren waren überwiegend streng. Insbesondere die drei aufeinanderfolgenden Kriegswinter (1939/40, 1940/41 und 1941/42) zeichneten sich durch extreme Kälte und Schneefülle aus. In Schnee und Eis quasi "erstarrt" hielt Lutz den Platz in einer fast entrückt wirkenden Stimmung fest. Allgemein wirkt die Ansicht wie die spontane Fixierung eines flüchtigen Moments, ein Eindruck, der durch das Fehlen klar definierter und abgegrenzter Bildränder unterstützt wird. Die Farben scheinen nach außen hin zu "verlaufen", werden zunehmend blasser. Die zarte, fast monochrom anmutende Darstellung präsentiert sich in einer für den Künstler typischen Farbwahl. Lutz' Aquarelle sind zumeist in gedämpften blaugrünen oder rotbraunen Tönen gehalten, selten in leuchtenden, kräftigen Farben. So kommt die Jahreszeit seinem Farbempfinden entgegen - der winterliche Platz ist in Blautönen gehalten, von einem hellem Blau bis hin zu dunklem Blaugrau changieren die Töne. Lediglich das fahle Gelb-orange des winterlichen Morgen- oder Abendhimmels, das sich wie ein schmaler Lichtstreif in der Ferne unter den dunklen, düsteren Schneewolken entlang zieht, setzt ganz leichte rötliche Akzente auf dem Platz. Lutz fängt den ruhigen, gedämpften Ton des Winters, des Schnees ein, der den Lärm und das Getriebe der Großstadt zum Erliegen bringt. Unter dem wolkenverhangenen Winterhimmel erstreckt sich der menschenleere Platz atmosphärisch verklärt, ganz anders, als man ihn zumeist erlebt. Die verwischten Konturen und die Andeutung einer Spiegelung unterstreichen den Eindruck der Unwirklichkeit, das fast schon meditative Moment dieser Betrachtung. Wie an einem Wasserlauf spiegeln sich der Obelisk, die Brunnen und eine Straßenlaterne auf der Oberfläche des dem Anschein nach vereisten Platzes. Dadurch sowie durch das zarte Verblassen der Farben zu den Bildrändern hin scheinen sie und auch die Gebäudesilhouetten im Hintergrund letztlich nicht fest mit dem Boden "verankert" zu sein, sondern mehr oder weniger zu schweben.

Text: Anja Maria Roth

Literatur
Kurt Schauer: Der Zeichner Joachim Lutz. In: Philobiblon, 11. Jahr, Heft 3. Brünn, Leipzig, Wien 1939.
L. Staackmann Verlag Leipzig (Hrsg.): Joachim Lutz – Zeichnungen. Mit einem Nachwort von W. Passarge. Frankfurt a. M. 1942.
Jürgen Rausch: Joachim Lutz. Ansprache zur Ausstellungseröffnung in der Mannheimer Kunsthalle. Heidelberg 1953.
Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg (Hrsg.): Joachim Lutz – Zeichner der Stille. Ausstellung im Alten Rathaus, Ziegelhausen 27.11.1988 bis 28.2.1989. Heidelberg 1988.

 

Joachim Lutz (Höchst a. M. 1906 - 1954 Heidelberg)
Paris, Place de la Concorde im Winter, 1941
Feder/Tinte, Aquarell .

Foto: Museum (K. Gattner)

 
 
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