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LYRIK III ... ohne Reim und Metrum, sind das (noch) Gedichte?

Hugo Friedrich: Die Struktur der modernen Lyrik, 1956

"Moderne Lyrik nötigt die Sprache zu der paradoxen Aufgabe, einen Sinn gleichzeitig auszusagen wie zu verbergen. Dunkelheit ist zum vorherrschenden ästhetischen Prinzip geworden. Sie ist es, die das Gedicht übermäßig absondert von der üblichen Mitteilungsfunktion der Sprache, um es in der Schwebe zu halten." (, 1956 S.178)

"Die Deutung eines modernen Gedichtes sieht sich genötigt, sehr viel länger bei seiner Aussagetechnik zu verweilen als bei seinen Inhalten, Motiven, Themen. (...) Die Energien drängen vollständig in den Stil. (...) Mit seinen Unruhen, Brüchen, Befremdungen zieht der abnorme Stil die Aufmerksamkeit auf sich selber." (S.149)

"Mit dem Willen zur Dunkelheit stellt sich das Problem des Verstehens ein (...), das Gedicht gerät durch den Leser in ein neues Bedeutungsspiel, das sein eigenes Recht hat. (...) Der Begriff des Verstehens ist dem Begriff des Weiterdichtens gewichen - Weiterdichten durch den Leser." (a.a.O.)

Merkmale traditioneller Lyrik Moderne Merkmale: Befreiung von Formzwang und poetischer Norm:

Formen des lyrischen Bildes: Vom Vergleich zur Chiffre

1. VERGLEICHE sind durch ein "(so) wie" gekennzeichnet; einem Sinneseindruck, einer Erfahrung wird ein Bild assoziiert zum Zwecke der Veranschaulichung (Du musst dir das so vorstellen, wie wenn..."). Vergleiche dienen traditionellerweise der Verdeutlichung (z.B. im Barock-Gedicht).
In Eichendorffs Gedicht (unten) ist dann allerdings das herangezogene Bild so andersartig, dass die beiden durch das "wie" verbundenen Elemente sich gegenseitig verändern: Die zuerst realen Wolken" erhalten durch die "schweren Träume" etwas Irreales und die "Träume" sind mehr als bloße Verbildlichung der Wolken, sondern assoziieren 'dunkel', 'schwer', 'verdüsternd'.
Zwielicht

Dämmrung will die Flügel spreiten,
Schaurig rühren sich die Bäume,
Wolken ziehn wie schwere Träume -
Was will dieses Graun bedeuten?

 J.v.Eichendorff

2. PERSONIFIKATIONEN (siehe "Zwielicht") weisen nicht-menschlichen Phänomenen (Gegenstände/Natur) menschliche Eigenschaften bzw. Handlungsweisen zu, beleben (animieren) diese also und verwischen den Gegensatz von belebt-unbelebt, Natur-Mensch ... Das Gegenteil ist die Vergegenständlichung von Belebtem, wie in Wolfensteins Sonett, zweite Strophe:

STÄDTER

Nah wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, daß die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte sehn.

Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
Leute, wo die Blicke eng ausladen
Und Begierde ineinander ragt.

Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
Daß ein jeder teilnimmt, wenn ich weine,
Unser Flüstern dringt hinüber wie Gegröhle:

Und wie stumm in abgeschloßner Höhle
unberührt und ungeschaut
Steht doch jeder fern und fühlt: alleine.

Alfred Wolfenstein 1914


3. Eine METAPHER ist im Wesentlichen dasjenige Bild, welches ein Merkmal oder einige Merkmale benutzt, um Verwandtschaft herzustellen zwischen zwei darzustellenden Dingen. Im Gegensatz zum Vergleich wird nicht das eine durch das andere verdeutlicht, sondern die Bedeutung wird vervielfacht.
Es entsteht ein Bedeutungsfeld mit mehr oder weniger scharfen Rändern. Eine eigentliche Bedeutung ist noch denkbar, eine gedankliche Vorstellung zwischen den Bildbereichen. Beispiele: 4. "Absolut" heißen Metaphern, die uns keine über-individuellen Verstehensansätze mehr bieten, sie sind CHIFFREN, Bilder ohne Eigentlichkeitsgrund (im Sinne von "eigentlich meint das Bild dies oder das ..."). Sie erwecken vielfältige Assoziationen, eine bestimmte Aussage kann nicht festgehalten werden. Chiffren sind Verschlüsselungen von Sinn, die einen Gegen-Sinn oder Eigen-Sinn vermuten lassen.

FADENSONNEN
über der grauschwarzen Ödnis.
Ein baum-
hoher Gedanke
greift sich den Lichtton: es sind
noch Lieder zu singen jenseits
der Menschen.

(Paul Celan: Fadensonnen)

„ das Gedicht heute ... zeigt,
das ist unverkennbar,
eine starke Neigung zum Verstummen.
Es behauptet sich ... am Rande
seiner selbst; es ruft und holt sich ...
unausgesetzt aus seinem Schon-nicht-mehr
in sein Immer-noch zurück."
(Paul Celan: Büchner-Preis-Rede 1960)


Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz Themen-gerecht sein sollte.
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