Kapitel 34: Neurogenetik

34.3.1.11 Der E(spl)-Genkomplex codiert für verschiedene Elemente einer intranucleären Signalkette

Der E(spl)-Bereich auf dem dritten Chromosom von Drosophila melanogaster ist ein sogenannter komplexer Genlocus, der 7 Transkripte produziert (HLHmd, HLHmb, HLHmg, HLHm3, HLHm5, HLHm7, E(spl), s. Abb.34-15). Von komplexen Genloci spricht man, wenn mehrere Transkripte gleichzeitig an der Ausprägung des wildtypischen Phänotyps beteiligt sind, das heißt, Mutationen in jeder einzelnen Transkriptionseinheit führen zu ähnlichen Phänotypen, wobei kein einzelnes Transkript alle Aspekte der Nachbareinheiten ersetzen kann. Entsprechend waren bis 1996 nicht weniger als 69 Allele des E(spl)-Komplexes bekannt. Mutationen in einzelnen Transkriptionseinheiten verursachen einen relativ milden, nicht-letalen Phänotyp. Die Funktion der Transkriptionseinheiten ist dabei überlappend oder teilweise redundant. Erst Deletion des gesamten Locus führt zu schweren Defekten mit dem typischen neurogenen Phänotyp (Abb. 34-11). Die zeitlichen und räumlichen Expressionsmuster, die Auswirkungen von Punktmutationen, sowie Keimbahn-Transformationsexperimente legen nahe, daß mindestens 10 Transkripte (md, mg, mb, m3, m4, m5, m7, m8, m9 und m10) an neurogenen Funktionen beteiligt sind (Abb. 34-15). Das Transkript m5 zum Beispiel wird nur in Epidermoblasten, nicht aber in Neuroblasten exprimiert. Dieser Befund legt nahe, daß die E(spl)-Genprodukte die Expression epidermisspezifischer Gene veranlassen, bzw. die Expression neural-spezifischer Gene unterdrücken. Alle sieben Transkripte des E(spl)-Komplexes codieren für Proteine mit einer konservierten basischen Helix-Loop-Helix-Struktur (bHLH, schattiert in Abb. 34-15), deren Funktion und Regulation durch Heterodimerisierung bereits angesprochen wurde.

Der E(spl)-Genkomplex wird 3’ flankiert von groucho (gro), dem einzigen Gen dieser Region, das letale Phänotypen besitzt. groucho (Transkripte m9/10) codiert für ein Protein mit Homologie zur b-Untereinheit von Transducin, einem an der Phototransduktion beteiligten G-Protein, und besitzt außerdem eine für Protein-Protein-Interaktionen typische Domäne, die wahrscheinlich für die Interaktion mit E(spl) verantwortlich ist. Das Molekül ist im Kern lokalisiert und besitzt eine kurze carboxyterminale Tetrapeptidsequenz, die es auch mit anderen bHLH-Proteinen des E(spl)-Komplexes teilt. Definitionsgemäß wird groucho nicht als Gen des E(spl)-Komplexes angesehen, da es keine Sequenzhomologie mit den übrigen Vertretern des Komplexes aufweist und daher einen anderen Ursprung hat als die untereinander ähnlichen Produkte des distalen Bereiches. Die Transkriptionseinheiten des E(spl)-Komplexes und groucho bilden jedoch einen funktionellen Komplex.

Sowohl die Transkripte des Enhancer-of-split-Komplexes, als auch das benachbarte groucho-Genprodukt werden vermutlich erst unter Bindung des NotchICD- Su(H)-Komplexes an Enhancerelemente produziert (Abb. 34-16). Die bHLH-Proteine des Komplexes inhibieren im Verbund mit groucho als Korepressor sowohl die Transkription der proneuralen Gene des AS-Komplexes, als auch anderer neuralspezifischer Gene und produzieren dadurch einen antineurogenen Phänotyp.

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