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Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel |
"Ernst und Agnes Haeckel - Ein Briefwechsel"
64. Brief
Jena, 15. Juli 1871.
Mein liebes Röschen! Da ich mich jetzt in der noch nicht dagewesenen
Lage befinde, zwei Briefe von Dir auf einmal beantworten zu können -
und noch dazu zwei sehr liebenswürdige -, so muß ich meine Antwort
diesmal mit doppeltem Danke beginnen. Ich habe übrigens auch einen
Lohn verdient. Denn diese ganze Woche habe ich bloß für
Dich gearbeitet, und wie! Erst heute morgen um 10 Uhr bin
fertig geworden und habe eben um 10 1/2 Uhr, meinen Morgen-
Kaffee (!) bei Clärchen getrunken. Hättest Du diese Räumerei gehabt,
diesen Dreck wegräumen und Staub schlucken müssen, Du wärest 250-
300 mal ohnmächtig geworden! Es war wirklich eine Heidenarbeit, und
nur Pohles kräftiger Unterstützung verdanke ich es, noch diese Woche
fertig geworden zu sein. Pohle war wirklich sehr geschickt und
umsichtig! Ich wollte, Du könntest heute auf eine Stunde herfliegen und
sehen, wie wunderbar es bei uns aussieht. Die große Stube ist nun
absolut leer, der Kehricht liegt einige Zoll hoch auf dem Fußboden, die
Tapete sieht so malerisch wie eine Landschaft aus, in dem sehr
zahlreiche Berge (Fettflecken), Seen (Löcher), Ströme (Risse) und Bäume
(Putti-Klekse) auf dem graugefleckten Grunde zerstreut sind! Übrigens
wird Dein Salon ganz famos, und ich sehe schon voraus, wie Du
allwöchentlich Damen-Kaffees von 30-50 Personen darin gibst!
Nun auf die andere Seite, wo ich meine Studierstube
eingerichtet habe! Die Schränke und Bücherregale haben hier alle Wände
dergestalt besetzt, daß nicht einmal für ein einziges Bild Raum geblieben
ist! Da außerdem die Tische, sämtliche Blumen usw. darin stehen, so kann
man sich, wenn man sehr vorsichtig und langsam ist, mit vieler Mühe und
beständiger Gefahr, an einer Ecke hängen zu bleiben, bis zur Straßenseite
hindurcharbeiten. Das ist aber noch gar nichts gegen Deine
große Schlafstube, welche wie eine leibhaftige Krambude, vereinigt mit
einem Möbelmagazin, aussieht. Tische, Betten, Schränke, Stühle, Bilder,
Spielzeug, Hausgerät etc. sind hier dergestalt bis zur Decke aufgetürmt,
daß nur eine schlanke Person männlichen Geschlechts sich durch den in
der Mitte gebliebenen Fußpfad bis zur anderen Tür hindurchwinden
kann! Es ist wirklich der Mühe wert, von Nauhein her eine
Vergnügungsreise nach der Jenaer Neugasse zu unternehmen, bloß um
dieses Chaos zu sehen. Clärchen, die gestern hier war, um den Anblick
dieses Chaos zu genießen, wurde so schwach davon, daß nur das Eau-de-
Cologne-Fläschchen sie vor dem völligen Umsturz behütete. (Hätte ich
mich nicht noch rasch besonnen, daß sie eine geborene Huschke sei, so
hätte ich über diesen Schwächeanfall selbst einen furchtbaren Schrecken
bekommen!) Laura hat die ganze Woche gehörig arbeiten müssen, was sie
auch unter vieler Rührung, viel Seufzen und Tränen endlich getan hat.
Übrigens unterließ sie nicht, durch möglichst schwungvolle Bewegungen
ihrer zierlichen Glieder ihre ganze angeborene Anmut zu entfalten.
Nachdem sie die ersten paar Fensterscheiben zerbrochen hatte, unterließ
sie die Fortsetzung auf die Drohung hin, von nun an alles Zerbrochene
ersetzen zu müssen.
Von unsern beiden süßen Knospen kann ich Dir
fortdauernd nur Gutes melden. Walter ist so wild und ungezogen als
möglich und will immer "mal drauf reiten"! Er tobt gehörig den ganzen
Tag im Garten herum und erfreut sich seiner mütterlichen Freiheit nach
Kräften. An seine Mutter denkt er auch zuweilen, wünscht jedoch, daß sie
ohne Hut und ohne Regenschirm zurückkehrt! Die kleine Lisbeth ist
recht munter, so sanftmütig und still wie ihre Mama, schlägt auch ebenso
entzückend ihre Augen auf . . .
Er wird Dich sehr amüsieren, daß Carlo bei seiner
Expedition mit der kleinen Emma wieder sein gewöhnliches Reise-Peck
gehabt hat. Erst ist der bestellte Wagen zu spät gekommen, dann der Zug
schon fort gewesen! Endlich hatte er per Telegraph in Eisenach
(natürlich im 1. Hotel!) Zimmer für seine Verwandten bestellt. Diese sind
aber erst am folgenden Tage gekommen, so daß wieder ca. 25 Rl. umsonst
weggeworfen sein werden! Was aber das Possierlichste ist: Carle wollte
von Apolda zu Fuß zurückgehen, bekam aber von seinen Verwandten
soviel für seine Frau aufgepackt, daß der (horrible dictu!!) - zum
erstenmal in seinem Lebgen - mit dem Bummler zurückfahren
mußte, und zwar wegen Überfüllung obenauf
sitzend! . . .
Nun, liebstes Röschen, wünsche ich Dir von
Herzen beste Kur und schönes Wetter. Grüße mir Deine liebe Frau Mama
(die Dich gewiß mit Freude verpimpelt!) von Herzen, und ich wünsche ihr
gute Besserung. Grüße mir Deine Nauheimer Freunde etc., vor allem die
reizende kleine Bode! Wie heißt sie denn eigentlich? Gewiß Agnes oder
Therese-Röschen? . . .
Brief 63..........................................................................................Brief 65
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erstellt von Christoph Sommer am 6.10.1999
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