Natur & Lyrik: Von Bäumen und Wäldern
- Warum mag das so sein?
- Welche Bedeutungsgehalte (Konnotationen) fallen euch ein?
- Wie könnten sich diese in verschiedenen Kulturen unterscheiden?
Friedrich Hölderlin (1770-1843)
Die Eichbäume: Noch nicht der enge deutsche Wald, sondern das Zusammenstehen souveräner Individuen außerhalb der von liebebedürftigen Menschen bewohnten Kulturlandschaft:
Die Eichbäume Aus den Gärten komm ich zu euch, ihr Söhne des Berges! Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich, Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen. Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel, Der euch nährt` und erzog, und der Erde, die euch geboren. Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen, Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel, Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute, Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken Ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet. Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen. Könnt ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer Diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben. Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich, Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd ich unter euch wohnen. (1796/8)
Biografische Notiz: Friedrich Hölderlin war nach seinem Theologie-Studium in Tübingen ab Januar 1796 als Hofmeister im Hause des wohlhabenden Bankiers Gontard in Frankfurt angestellt. Er war für die Erziehung des Sohnes zuständig. Hölderlin war gut bezahlt und musste auf Gesellschaften anwesend sein, zählte als Hauslehrer jedoch zum "Küchenpersonal". Er verliebte sich in die Hausherrin Susette Gontard, die Liebe war gegenseitig, nahm aber kein glückliches Ende. Hölderlin wurde Ende 1798 entlassen, musste Frankfurt dann verlassen und sich anderweitig verdingen. Z.B. versuchte er - vergeblich - eine literarische Zeitschrift herauszugeben. Seine Hoffnung auf die Mitarbeit von Goethe und Schiller wurde jedoch nicht erfüllt.
Und wieder: Wilhelm Müller (1794 - 1827): Der Lindenbaum Am Brunnen vor dem Tore Da steht ein Lindenbaum: Ich träumt in seinem Schatten So manchen süßen Traum. Ich schnitt in seine Rinde So manches liebe Wort; Es zog in Freud und Leide Zu ihm mich immer fort. Ich mußt' auch heute wandern Vorbei in tiefer Nacht, Da hab ich noch im Dunkel Die Augen zugemacht. |
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Aufgabe: Der Baum als Ursymbol des Lebens -
suche dazu in der Wikipedia die folgenden Artikel und gebe sie gekürzt wieder:
- Baum - Mythologie und Religion
- Yggdrasil - die Weltesche
- Weltenbaum
- Baum der Erkenntnis
Mit Bertolt Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen" (1938) und den ersten Zeilen darin bekommt das Symbol „Baum" eine ganz andere Bedeutung. Nicht eigentlich der Baum selbst, sondern das Sprechen über Bäume gerät in den Verdacht des Ausweichens vor der politischen Realität. Im Gespräch über Bäume verschweigen die Sprechenden ihre wirkliche Meinung, der Sinn des Miteinander-Sprechens geht verloren und damit das vertrauensvolle Verhältnis der Sprecher zueinander. Die Kommunikation ist in ihr Gegenteil verkehrt, in leeres Gerede und ein affirmativer Akt gegenüber der Macht. Doch Brecht hat sich (bzw. uns) - man nennt das Dialektik! - ein Türchen offen gelassen, nämlich mit dem Wörtchen "fast". Zum Glück.
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende Hat die furchtbare Nachricht Nur noch nicht empfangen. Was sind das für Zeiten, wo Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt! Der dort ruhig über die Straße geht Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde Die in Not sind! (...)
Aus der Fülle von „Antwortgedichten" (Erich Fried, Wolf Biermann) greife ich das von Paul Celan, „Ein Blatt, baumlos", entstanden 1968 (Erstdruck 1970) heraus. Es ist kurz und bündig:
Ein Blatt, baumlos für Bertolt Brecht: Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch beinah ein Verbrechen ist, weil es soviel Gesagtes mit einschließt?
Interessantes dazu in Fremdheit und Exil im lyrischen Sprechen Zhang Zao, Celan und Brecht von Susanne Göße.
Jürgen Peter Wallmann (Hrsg.): Von den Nachgeborenen. Dichtungen auf Bertolt Brecht. Die Arche, Zürich 1970
- Welche persönlichen Wald-Erfahrungen habt ihr?
- Welche Wald-Geschichten sind euch begegnet?
- Welche Bedeutungsgehalte (Konnotationen) fallen euch ein?
- Warum kann es sinnvoll sein, zwischen "Bäumen" und "Wald" zu unterscheiden?
Friedrich Schlegel (1772-1829)
Der deutsche Wald der Nationalromantik: Ort der Erinnerung und dunkler Ahnungen urdeutscher Kraft und Freiheit
IM SPESSART Gegrüßt sei du, viellieber Wald! es rührt mit wilder Lust, Wenn abends fern das Alphorn schallt, Erinnrung mir die Brust. Jahrtausende standst du schon, O Wald, so dunkel kühn, Sprachst allen Menschenkünsten Hohn Und webtest fort dein Grün. Wie mächtig dieser äste Bug Und das Gebüsch wie dicht, Was golden spielend kaum durchschlug Der Sonne funkelnd Licht. Nach oben strecken sie den Lauf, Die Stämme grad und stark; Es strebt zur blauen Luft hinauf Der Erde Trieb und Mark. |
Durch des Gebildes Adern quillt Geheimes Lebensblut, Der Blätterschmuck der Krone schwillt In grüner Frühlingsglut. Natur, hier fühl ich deine Hand Und atme deinen Hauch, Beklemmend dringt und doch bekannt Dein Herz in meines auch. Dann denk ich wie vor alter Zeit, Du dunkle Waldesnacht! Der Freiheit Sohn sich dein gefreut Und was er hier gedacht. Du warst der Alten Haus und Burg; Zu diesem grünen Zelt Drang keines Feindes Ruf hindurch, Frei war noch da die Welt. (1806) |
J. F. v. Eichendorff (1788-1857)
Der Wald der Eichendorff-Romantik, geheimnisvoller Ort wohlig-grausigen Schauderns - oder Heimat und Gegenwelt zur Geschäftigkeit der "Draußen"-Welt
Im Walde Es zog eine Hochzeit den Berg entlang, ich hörte die Vögel schlagen, da blitzten viel Reiter, das Waldhorn klang, das war ein lustiges Jagen! Und eh ichs gedacht, war alles verhallt, die Nacht bedecket die Runde, nur von den Bergen noch rauschet der Wald und mich schauert im Herzensgrunde. (1836) |
Abschied O Täler weit, o Höhen, O schöner, grüner Wald, Du meiner Lust und Wehen Andächt'ger Aufenthalt. Da draußen, stets betrogen, Saust die geschäft'ge Welt, Schlag noch einmal die Bogen Um mich, du grünes Zelt. Quelle: Projekt Gutenberg |
Ludwig Ganghofer (1855-1920)
Der Wald als Metapher für mannhafte Stärke:
- "Wie still dieser Wald! Wie schön in seinem Schweigen!"
Zwischen den Wurzeln einer mächtigen Fichte ließ sich der Einsame zur Ruhe nieder. So saß er, den Kopf an den Stamm gelehnt, die Hände um das Knie geschlungen. Lächelnd, als wäre die Ruhe und das Nimmerdenken über ihn gekommen, staunte er träumend hinein in die wundersame Stille. Kein Halm zu seinen Füßen und kein Zweig zu seinen Häupten bewegte sich. Auch nicht der leiseste Lufthauch atmete durch den Wald. Stark und ruhig stiegen die hundertjährigen Bäume zum Himmel auf, jeder ein König in seiner sturmerprobten Kraft. Alle kleinen, niederen Gewächse waren verkümmert und gestorben im Schatten dieser Großen; sie allein bestanden, und bescheidenes Moos nur webte zwischen ihren weitgespannten Wurzeln seinen grünen Samt über Grund und Steine. Sogar vom eigenen Leibe hatten die Riesen alle niedrigstehenden Äste abgestoßen und gesundes, saftiges Leben nur den strebenden Zweigen bewahrt, die sich aufwärts streckten bis zur Höhe des Lichtes. Das flutete goldleuchtend um die Wipfel her, ließ selten einen verlorenen Schimmer niedergleiten in den Schatten, der zwischen den braunen Stämmen lag, und dort nur, wo der Grund zu steigen anfing, brach es, einer Lichtung folgend, mit breiter brennender Welle quer durch den Wald.
"Wer das so könnte wie der Wald: alles Schwächliche und Niedrige von sich abstoßen, nur bestehen lassen, was stark ist und gesund! So stolz und aufrecht hinaussteigen über den Schatten der Tiefe und die Helle suchen, die hohen, reinen Lüfte! Wer das so könnte!"
Aus: Das Schweigen im Walde (1899), 1. Kapitel, Quelle: Projekt Gutenberg
Aufgabe: Vergleiche die Darstellung und Bedeutung der Bäume in diesem Text mit den "Eichbäumen" in Friedrich Höderlins Gedicht.
Elias Canetti (1905-94)
Der Wald, gedeutet und entzaubert als "Massensymbol": Verkörperung deutscher Sekundärtugenden
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„Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der marschierende Wald. In keinem modernen Land der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. Er sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben, noch heute gern auf und fühlt sich eins mit Bäumen.
Ihre Sauberkeit und Abgegrenztheit gegeneinander, die Betonung der Vertikalen, unterscheidet diesen Wald von dem tropischen, wo Schlinggewächse in jeder Richtung durcheinanderwachsen. Im tropischen Wald verliert sich das Auge in der Nähe, es ist eine chaotische, ungegliederte Masse, auf eine bunteste Weise belebt, die jedes Gefühl von Regel und gleichmäßiger Wiederholung ausschließt. Der Wald der gemäßigten Zone hat seinen anschaulichen Rhythmus. Das Auge verliert sich, an sichtbaren Stämmen entlang, in eine immer gleiche Ferne. Der einzelne Baum aber ist größer als der einzelne Mensch und wächst immer weiter ins Reckenhafte. Seine Standhaftigkeit hat viel von derselben Tugend des Kriegers. [...]
Der Knabe, den es aus der Enge zu Hause in den Wald hinaustrieb, um, wie er glaubte, zu träumen und allein zu sein, erlebte dort die Aufnahme ins Heer voraus. Im Wald standen schon die anderen bereit, die treu und wahr und aufrecht waren, wie er sein wollte, einer wie der andere, weil jeder gerade wächst, und doch ganz verschieden an Höhe und Stärke. Man soll die Wirkung dieser frühen Waldromantik auf den Deutschen nicht unterschätzen, in hundert Liedern und Gedichten nahm er sie auf, und der Wald, der in ihnen vorkam, hieß oft deutsch."
Aus dem Kapitel: Massensymbole der Nationen, in Elias Canetti: Masse und Macht, Fischer 1980 (1960) S. 190f
- Fallen euch für andere Länder und Völker "Massensymbole" ein?
- Was ist aus eurer Sicht dran an Canettis These zum deutschen Wald: Berechtigt, übertrieben oder abwegig?
Ohne etwas Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.