Franz Kafka „Der Prozess“ (1914/15)
In den Lektürehilfen (bzw. in der Fachliteratur) wird die Romanhandlung gerne in drei Phasen eingeteilt.
Denkbar und vielleicht auch ergiebiger könnte es sein, dem Roman eine dramatische Struktur nach dem Muster des klassischen Fünf-Akte-Schemas zuzuordnen. Lassen sich dadurch weitere Einsichten in den „Prozess“ gewinnen?
Diskussionswürdig wäre die Frage, in welchem Sinne bei Kapitel 10 von einer Katastrophe gesprochen werden kann. Dazu müsste man sich überlegen, ob K. überhaupt eine 'tragische' Figur ist.
Mein Vorschlag: Die dramatische Struktur des Prozessverlaufes - ein Versuch in fünf Akten
I. Exposition: Kapitel 1
- Das Gericht in Gestalt der Wächter Willem und Franz tritt in Josef K.s Leben am frühen Morgen seines 30. Geburtstages,
Es erfolgt die erste Anrufung durch den Aufseher (Reclam S. 14).
II. Die Handlung nimmt Fahrt auf: Kapitel 2-5
- Zweite Anrufung: Das Untersuchungsgericht am Telefon
Das Gericht zeigt eine merkwürdig schemenhafte, groteske Gestalt (ärmlicher Vorort, Gerichtssaal, alte bärtige Männer, bucklige Studenten, dumpfer Dachboden)
K. leistet Widerstand, klagt an, überhebt sich, sucht Verbündete (Helferinnen): Frau Grubach, Fräulein Bürstner, die Frau des Gerichtsdieners.
Endlich beschließt K., sich nicht mehr um dieses Gericht zu kümmern (S. 74); da ruft es sich ihm selbst ins Gedächtnis: Es sucht ihn heim, abends, in der Rumpelkammer (Der Prügler).
III. Die Ereignisse verlangen eine Entscheidung von K. (Krise): Kapitel 6-8
- Josef K. unternimmt halbherzige Versuche, mit der Situation aktiv umzugehen (der Onkel)
und mehr über das Gericht herauszufinden (die Richter, die hohen Beamten)
stößt aber immer nur auf zweifelhafte Helfer, die ihn ablenken, hinhalten, abstoßen (Huld, Leni, Fabrikant, Kaufmann Block, Titorelli).
Er erwägt, seinen Prozess selbst in die Hand zu nehmen (Eingabe) aber:
• Die "Sache" laugt ihn aus, zermürbt ihn körperlich, überfordert seine Arbeitskraft
• wirft ihn im Kampf mit dem Direktor-Stellvertreter zurück,
• er wird zwischen den Anforderungen des Berufes und des Prozesses aufgerieben.
IV. Die Legende und deren Exegese als retardierendes Moment: Kapitel 9
- Das Gericht meldet sich wieder, im sakralen Raum des Domes und in Gestalt des Kaplans, die dritte Anrufung, diesmal eine mächtig „geübte Stimme“ (S. 193).
K. öffnet sich dem Kaplan und zeigt sich hilfsbedürftig (S. 194), die Kraft ist weg, das Thema Schuld taucht in neuem Gewand auf: Wie kann denn ein Mensch überhaupt schuldig sein. „Wir sind hier doch alle Menschen ...“
Im Gespräch mit dem Geistlichen und in der Exegese der „Legende“ wird der Prozess endgültig als ein innerer Prozess erkennbar, K.s mögliche Versäumnisse deuten sich an, ein zentraler Gedanke wird geäußert: „Vor allem ist der Freie dem Gebundenen übergeordnet.“ (S. 201)
K. hat keine Entscheidung getroffen! Wer sich nicht entscheidet, wer nicht frei handelt, wird ein Getäuschter sein, wie der Mann vom Lande (→ Kafka-Biografie). Er kann nicht mehr aus dem „Prozess“ des Sich-Schuldigfühlens ausbrechen und außerhalb des Prozesses leben. (S. 196, Z.7 ff)
V. Josef K.s Ende: Kapitel 10
- Das Gericht holt ihn, der schon darauf gewartet zu haben scheint, am Vorabend seines 31. Geburtstages ab. Er führt die Henker zum Richtplatz, nimmt seine Hinrichtung hin und stirbt „wie ein Hund“!
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Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz Themen-gerecht sein sollte.