Station 13 - Henkerhaus

Als Historiker versagt



Foto: Grüße aus Bernau a.a.O.
Das Henkerhaus vor dem Flächenabriß
Unsere nächste Station ist das Henkerhaus im nordwestlichen Teil der Stadt, direkt an der alten Stadtmauer gelegen. Während es vor 250 Jahren als Fachwerkhaus erbaut wurde, um dem Henker als Domizil zu dienen, wandelte die Stadt es 1850 zu einem Wohnhaus um.
Seit 1976 ist das Henkerhaus Teil des Heimatmuseums der Stadt Bernau. Daß es heute noch steht und nicht dem Flächenabriß zum Opfer fiel, hat es wahrscheinlich Herrn B. zu verdanken.

Ein scheinbar schlechter Zustand
Herr B. arbeitete in den 70er Jahren, zur Zeit des Flächenabrisses, als Direktor des Heimatmuseums und Beauftragter für Denkmalschutz in Bernau. In seiner Position hatte er sowohl ein Interesse als auch die Möglichkeit, für ihn geschichtlich Wertvolles zu erhalten. Als Beauftragter für Denkmalschutz bestimmte er maßgeblich, welche Häuser die Stadt als abrißreif oder erhaltungswürdig einstufte.

Im Grunde befürwortete Herr B. den Flächenabriß, da aus seiner Sicht viele Häuser der Altstadt Bernaus mit ihren Außentoiletten und Kohleheizungen nicht den modernen Ansprüchen der Wohnqualität der 70er Jahre entsprachen.
Wie Herr B. in unseren Interviews gern erwähnte, entstanden von den 1084 Wohneinheiten im Stadtkern 80% vor 1870, 14% zwischen 1870 und 1899, sowie 6% nach der Jahrhundertwende. Auf diesen Fakten basierend, rechtfertigt er noch heute den Stadtabriß mit dem schlechten Bauzustand der Häuser. Nach unseren Recherchen entstand dieser jedoch erst in den 60er Jahren, da die Stadt keine Baumaterialien für die Instandsetzung der alten Häuser zur Verfügung stellte.
Gleichzeitig fehlte den Hausbesitzern Geld, um die Wohnqualität ihrer Häuser erhalten zu können. So konnten die Hauseigentümer aufgrund des schlechten Bauzustandes kaum Miete verlangen und nicht einmal die nötigsten Reparaturarbeiten erledigen.
Der Verfallsprozeß wurde durch das Leerstehen vieler Häuser in der Innenstadt in den 60er und 70er Jahren weiter beschleunigt. Herr B. wertete allgemein die Häuser als "alte Buden", ohne Differenzierungen vorzunehmen, denn nicht alle waren in dem gleich schlechten Zustand. Einige Hauseigentümer hielten ihre Häuser durch Eigeninitiative und mit den richtigen Beziehungen instand, so daß ein Abriß unbegründet erschien. Also hing der Flächenabriß nicht nur mit dem angeblich sehr schlechten Bauzustand der Häuser zusammen, sondern es mußte noch viel mehr dahinterstecken.

Der Staatsdiener
Herr B. fühlte sich in den Bahnen des Sozialismus sehr wohl und stand voll hinter den staatlichen Vorstellungen der DDR. So zum Beispiel hinter der Idee, jedem Arbeiter und seiner Familie eine Wohnung zu bieten nach dem Motto: „Gleiches und gerechtes Wohnen für alle“.
Aus seiner Sicht gab es dies in der Bernauer Innenstadt zuvor nicht. Er betonte in Interviews immer wieder die schlechte Wohnsituation der Stadt. Nur 300 Hausstellen waren 1960 im Stadtkern vorhanden, die erstens nicht ausreichten und sich zweitens in einem sehr schlechten Zustand befanden.
Mit dem Aufbau des Schichtpreßstoffwerkes in den 60er und dessen Modernisierung in den 70er Jahren bedurfte es vieler neuer Wohnungen, da das Werk ungefähr 1.400 Menschen beschäftigte. Gleichzeitig entwickelte sich Bernau zu einer Schlafstadt für Ministeriumsbeamte, begünstigt durch die Lage zwischen der Regierungssiedlung Wandlitz und Berlin. Um Bernau herum entstanden viele Kasernen, auch die dort Beschäftigten benötigten Wohnungen.
Die 300 Hausstellen mit den 1084 Wohneinheiten reichten nicht mehr aus. Ein neues Wohnungskonzept wurde benötigt, das es ermöglichte, viele Menschen in der Stadt unterzubringen.
Aufgrund dieser Problematik beschloß der IX. Parteitag der SED, den Stadtkern von Bernau als Beispiel für Klein- und Mittelstädte umzugestalten.
Die alten Häuser des Stadtkernes wichen der Idee einer Musterstadt. Herr B. stand hinter dieser Idee und befürwortete deren Umsetzung.
Der schlechte Bauzustand der Häuser, den Herr B. immer wieder hervorhob, war anscheinend nicht der einzige Grund für den geplanten Flächenabriß. Nach außen hin wurde er zwar als einziger deklariert, doch in Wirklichkeit stand die Umgestaltung Bernaus zu einer Musterstadt im Vordergrund. In den 70er Jahren hielt die DDR es für nötig, etwas Neues zu schaffen. Es entsprach dem Zeitgeist, neue sozialistische Bauten entstehen zu lassen, wobei das Allgemeinwohl über den Privatinteressen stand.
Die meisten Hauseigentümer sahen keine andere Möglichkeit, als zu verkaufen. Durch das Aufbaugesetz (1) wäre unter bestimmten Umständen sogar die Enteignung legal gewesen. Die Beseitigung des Privateigentums durch den Abriß der Häuser und Läden kann als gewollter Nebeneffekt des Stadtabrisses eingeschätzt werden. Auch Herr B. lehnte Privatbesitz ab, denn jeder Bürger in der DDR sollte unter gleichen Bedingungen leben.
Herr B. meinte, daß es keine Proteste beim Verkauf der Häuser gab. Doch Tatsache ist, daß einige Hausbesitzer es schafften, ihre Häuser zu behalten. Mit den richtigen Beziehungen und ausreichend Geld rekonstruierten einige ihren Besitz. Andere haben den Erhalt ihrer Häuser glücklichen Umständen zu verdanken. So stehen die Häuser in der Hohe-Stein-Straße noch heute, da durch die enge Straßenführung kein Kran platziert werden konnte, und die dazugehörigen Höfe unbebaubar waren.

Der Denkmalschützer
In seiner Funktion als Beauftragter für Denkmalschutz und Direktor des Heimatmuseums lag Herrn B. der Erhalt alter, historisch wertvoller Objekte am Herzen. Seine Stellung ermöglichte ihm, Häuser auf die Denkmalschutzliste zu setzen, so daß deren Erhalt staatlich gefördert wurde.
Herr B. setzte sich während des Abrisses besonders für das Henkerhaus ein, denn seiner Meinung nach gehörte es zu den „erhaltungswürdigen“ und „schönen“ Häusern Bernaus. Es handelte sich ohne Frage um ein sehr interessantes Haus, wenn man die Funktion des Henkers in der Geschichte Bernaus beachtet. Das Henkerhaus gehörte einfach zum Charakter der Stadt. Das Museum, das sich heute darin befindet, vermittelt einen nachvollziehbaren Eindruck von der Stadtgeschichte. Doch auch andere Häuser prägten das Gesicht der Innenstadt, zum Beispiel das katholische Schulhaus und das alte Lazarett. Leider hielten Herr B. und andere Verantwortliche diese Gebäude nicht für „erhaltungswürdig“ und opferten sie den Neubauten.
Behutsamer gingen die Verantwortlichen mit der Straßenführung um. Auch Herr B. setzte sich dafür ein, daß das mittelalterliche Straßennetz erhalten blieb. Zunächst war geplant, viele kleine Gassen, die den Charakter der Stadt mit ausmachen, im Zuge der Umgestaltung verschwinden sollten. Pläne, breite große Magistralen zu schaffen, wurden gemeinsam von Architekten und Denkmalschützern vereitelt.

Die Zwiespältigkeit der Person B.
Herr B. war auf der einen Seite überzeugt von der kommunistischen Ideologie und auf der anderen Seite Beauftragter für Denkmalschutz.
Er stand voll und ganz hinter der Idee, Bernau in eine Musterstadt zu verwandeln und befürwortete den Flächenabriß. Er vertrat die kommunistische Vorstellung vom „gleichen und gerechten Wohnen für alle“, die sich mit Privatbesitz nicht vereinbaren ließ.
Als Beauftragter für Denkmalschutz hingegen setzte er sich für den Erhalt einiger Häuser und der Straßenführung ein. Doch hätte sich Herr B. aus seiner Position heraus nicht noch mehr für die Häuser einsetzen können?
Er setzte sich nur für einige wenige Häuser ein, die er „schön“ fand. Die Beweggründe für die Auswahl der Häuser ist für uns nicht nachvollziehbar.
Es ist schwer, die Rolle Herrn B.s einzuordnen. Auf die Seite des Protestes gehört er nicht, da er den Flächenabriß befürwortete. Er wurde von den Bewohnern der Stadt, besonders von den Hauseigentümern, als Gegner gesehen. Frau Jeitner, eine zeitgenössische Künstlerin stellte die Frage, wie sich ein Historiker für den Flächenabriß einsetzen konnte. Sie bezeichnete ihn als „Totengräber von Bernau“.
Frau Köhler, die in der Arbeitsgruppe Denkmalschutz mitarbeitete, sprach Herrn B. die Rolle als Retter der alten Häuser rigoros ab. Sie bezeichnete ihn vielmehr als „hörigen Diener, dem die Partei über allem stand, ohne eine kritische Meinung zu haben“.
Die Zusammenarbeit mit Herrn B. war für uns schwer, denn er bezog nie konkret Stellung. Wir hatten den Eindruck, daß er einigen von uns gestellten Fragen auswich und immer wieder auf uns schon bekannte Sachverhalte zurückgriff.
Herr B. ist heute Stadtchronist. Er schreibt viele Bücher zur Stadtgeschichte.

In seinen jüngst herausgegebenen Kalenderblättern änderte er erstmalig seine Argumentation zum Abriß der Altstadt, rechtfertigt ihn aber nach wie vor.
Haben wir ihn mit unseren Fragen zum Nachdenken veranlaßt?




(1) Behr, Adalbert: Architektur in der DDR. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1979




Station 12 - Kirche ||| Station 14 - Stadtplaner
Stadtplan ||| Start ||| über uns
Impressum · Datenschutz