Spießer und Literaten Auch eine Literaturgeschichte

    Die Romantiker und die Spießer

Clemens Brentano

Bei den Romantikern wird die Kritik des bürgerlichen Kleingeistes, des Normalbürgers, der im Alltagsleben aufgeht, zur Säule der Selbstdefinition als frei denkende Intellektuelle. Dabei schaut nicht der Wohlhabende mit aristokratischem Naserümpfen auf den in seiner Kleinwelt verfangenen Kleinbürger herab (siehe: Spießbürger), sondern eher der sich in sozial prekären Lebensverhältnißen befindende Künstler auf den erfolgreicheren und wohlsituierten Bürger.
"Phillister leben nur ein Alltagsleben."

DER PHILISTER von Clemens Brentano (1778)
"Wenn der Philister morgens aus seinem traumlosen Schlafe wie ein ertrunkener Leichnam aus dem Wasser herauftaucht, so probiert er sachte mit seinen Gliedmaßen herum, ob sie auch noch alle zugegen; hierauf bleibt er ruhig liegen, und dem anpochenden Bringer des Morgenblattes ruft er zu, er solle es in der Küche abgeben, denn er liege jetzt im ersten Schweiße und könne, ohne ein Wagehals zu sein, nicht aufstehen; sodann denkt er daran, der Welt nützlich zu sein, und weil er fest überzeugt ist, daß der nüchterne Speichel etwas sehr Heilkräftiges sei, so bestreicht er sich die Augen damit, oder der Frau Philisterin, oder seinen kleinen Philistern, oder seinem wachsamen Hund. Seine weiße, baumwollene Schlafmütze, zu welchen diese Ungeheuer große Liebe tragen, sitzt unverrückt, denn ein Philister rührt sich nicht im Schlaf. Wenn er aufgestanden, geht es an ein gewaltiges Zungenschaben und Ohrenbohren, an ein Räuspern und Spucken, entsetzliches Gurgeln und irgendeine absonderliche Art sich zu waschen, nach einer fixen Idee, kalt oder warm sei gesund; sodann kaut er einige Wacholderbeeren, während er an das gelbe Fieber denkt; oder er hält seinen Kindern eine Abhandlung vom Gebet und sagt, wenn er sie zur Schule geschickt, zu seiner Frau: "Man muß den äußern Schein beobachten, das erhält einem den Kredit." Sodann raucht er Tabak, wozu er die höchste Leidenschaft hat, oder welches er übertrieben affektiert hasst. Zweifelsohne zieht der Philister nun auch alle Uhren des Hauses auf und schreibt das Datum mit Kreide über die Türe; trinkt er Kaffee, so würde es ihn sehr kränken, wenn seine Frau ihm nicht ein halbdutzendmal sagte: "Trinke doch, er ist so schön warm; trink doch, eh er kalt wird" -- usw.; wenn er ihm aber nicht warm gebracht wurde, wehe dann der armen Frau! Seine Kaffeekanne ist von Steingut, und ist er ein langsamer Trinker, so hat sie ein ordentliches Kaffeemäntelchen um, wie ein anderer Philister auch, denen diese braunen Kannen überhaupt sehr ähnlich sehen. [...]
Sie nennen die Natur was in ihren Gesichtskreis oder vielmehr in ihr Gesichtsviereck fällt, denn sie begreifen nur viereckige Sachen, alles andere ist widernatürlich und Schwärmerei."

Quelle: Clemens Brentano: Der Philister, vor, in und nach der Geschichte. Gehalten als Tischrede im März 1811 in der "Christlich-Theutschen Tischgesellschaft" in Berlin. In: C.B.,Werke, Hrsg. v. Wolfgang Frühwald u. Friedhelm Kemp, Bd. 2, München 1980 , S. 1209 - Dazu noch mehr bei Günter de Bruyn: Die Zeit der schweren Not. Schicksale aus dem Kulturleben Berlins 1807 bis 1815, Fischer Verlag 2010 S. 233 ff

 

Diskutiert:

Joseph Freiherr von Eichendorff

Quelle: Wikisource

Arbeitsauftrag:
  1. Klärt zunächst die Wörter: Isegrimm, Tretrad, überwitzen, Federkiel, Pasquill (Wörterbuch)
  2. Recherchiert dann im Internet
    welche Tätigkeit, welchen Beruf J.v.Eichendorff in diesen Jahren ausübte?
    Aus welchem sozialen Stand J.v.Eichendorff kommt?
  3. Formuliert die Aussage des Gedichtes in eigenen Worten.


Aus dem Leben eines Taugenichts (1826)

Der Taugenichts verlässt die väterliche Mühle und wird durch einen glücklichen Zufall ''Gärtnerbursche'' (Erstes Kapitel):

"Darauf kamen mehrere Bedienten die Treppe herauf und herunter gerennt, die sagten gar nichts, sondern sahen mich nur von oben bis unten an. Sodann kam eine Kammerjungfer (wie ich nachher hörte) grade auf mich los und sagte: ich wäre ein scharmanter Junge, und die gnädige Herrschaft ließe mich fragen, ob ich hier als Gärtnerbursche dienen wollte? Ich griff nach der Weste; meine paar Groschen, weiß Gott, sie müßen beim herum tanzen auf dem Wagen aus der Tasche gesprungen seyn, waren weg, ich hatte nichts als mein Geigenspiel, für das mir überdies auch der Herr mit dem Stabe, wie er mir im Vorbeigehn sagte, nicht einen Heller geben wollte. Ich sagte daher in meiner Herzensangst zu der Kammerjungfer: Ja, noch immer die Augen von der Seite auf die unheimliche Gestalt gerichtet, die immerfort wie der Perpendickel einer Thurmuhr in der Halle auf und ab wandelte, und eben wieder majestätisch und schauerlich aus dem Hintergrunde heraufgezogen kam. Zuletzt kam endlich der Gärtner, brummte was von Gesindel und Bauerlümmel unterm Bart, und führte mich nach dem Garten, während er mir unterwegs noch eine lange Predigt hielt: wie ich nur fein nüchtern und arbeitsam seyn, nicht in der Welt herumvagieren, keine brodtlosen Künste und unnützes Zeug treiben solle, da könnt ich es mit der Zeit auch einmal zu was Rechtem bringen. Es waren noch mehr sehr hübsche, gutgesetzte, nützliche Lehren, ich habe nur seitdem fast alles wieder vergessen. Überhaupt weiß ich eigentlich gar nicht recht, wie doch alles so gekommen war, ich sagte nur immerfort zu allem: Ja, denn mir war wie einem Vogel, dem die Flügel begossen worden sind. So war ich denn, Gott sey Dank, im Brodte.

In dem Garten war schön leben, ich hatte täglich mein warmes Essen vollauf, und mehr Geld als ich zu Weine brauchte, nur hatte ich leider ziemlich viel zu thun. Auch die Tempel, Lauben und schönen grünen Gänge, das gefiel mir alles recht gut, wenn ich nur hätte ruhig drinn herumspazieren können und vernünftig diskuriren, wie die Herren und Damen, die alle Tage dahin kamen. So oft der Gärtner fort und ich allein war, zog ich sogleich mein kurzes Tabackspfeifchen heraus, setzte mich hin, und sann auf schöne höfliche Redensarten, wie ich die eine junge schöne Dame, die mich in das Schloß mitbrachte, unterhalten wollte, wenn ich ein Kavalier wäre und mit ihr hier herumginge. Oder ich legte mich an schwülen Nachmittagen auf den Rücken hin, wenn alles so still war, daß man nur die Bienen sumsen hörte, und sah zu wie über mir die Wolken nach meinem Dorfe zuflogen und die Gräser und Blumen sich hin und her bewegten, und gedachte an die Dame, und da geschah es denn oft, daß die schöne Frau mit der Guitarre oder einem Buche in der Ferne wirklich durch den Garten zog, so still, groß und freundlich wie ein Engelsbild, so daß ich nicht recht wußte, ob ich träumte oder wachte."
Quelle: Wikisource

Der Taugenichts wird Zolleinnehmer (2. Kapitel):

"Und so war ich denn wirklich Zolleinnehmer, ehe ich mich's versah.
Ich bezog nun sogleich meine neue Wohnung und war in kurzer Zeit eingerichtet. Ich hatte noch mehrere Geräthschaften gefunden, die der selige Einnehmer seinem Nachfolger hinterlassen, unter andern einen prächtigen rothen Schlafrock mit gelben Punkten, grüne Pantoffeln, eine Schlafmütze und einige Pfeifen mit langen Röhren. Das alles hatte ich mir schon einmal gewünscht als ich noch zu Hause war, wo ich immer unsern Pfarrer so kommode herumgehen sah. Den ganzen Tag, (zu thun hatte ich weiter nichts) saß ich daher auf dem Bänkchen vor meinem Hause in Schlafrock und Schlafmütze, rauchte Taback aus dem längsten Rohre, das ich nach dem seligen Einnehmer gefunden hatte, und sah zu, wie die Leute auf der Landstraße hin- und hergingen, fuhren und ritten. Ich wünschte nur immer, daß auch einmal ein paar Leute aus meinem Dorfe, die immer sagten, aus mir würde mein Lebtage nichts, hier vorüber kommen und mich so sehen möchten. Der Schlafrock stand mir schön zu Gesichte, und überhaupt das alles behagte mir sehr gut. So saß ich denn da und dachte mir mancherlei hin und her, wie aller Anfang schwer ist, wie das vornehmere Leben doch eigentlich recht kommode sei, und faßte heimlich den Entschluß, nunmehr alles Reisen zu lassen, auch Geld zu sparen wie die andern, und es mit der Zeit gewiß zu etwas Großem in der Welt zu bringen. Inzwischen vergaß ich über meinen Entschlüssen, Sorgen und Geschäften die allerschönste Frau keineswegs.

Die Kartoffeln und anderes Gemüse, das ich in meinem kleinen Gärtchen fand, warf ich hinaus und bebaute es ganz mit den auserlesensten Blumen, worüber mich der Portier vom Schloße mit der großen kurfürstlichen Nase, der, seitdem ich hier wohnte, oft zu mir kam und mein intimer Freund geworden war, bedenklich von der Seite ansah, und mich für einen hielt, den sein plötzliches Glück verrückt gemacht hätte. Ich aber ließ mich das nicht anfechten."
Quelle: Wikisource

Arbeitsauftrag:
  1. Unterstreicht diejenigen Stellen, die auf einen geschäftigen Lebensstil hinweisen.
  2. Unterstreicht dann mit einer anderen Farbe, was für den Taugenichts das gute Leben ausmacht.
  3. Vergleicht eure Unterstreichungen und beurteilt die Handlungsweise des Taugenichts aus eurer Sicht.

Heinrich Heine

Die Harzreise
Buch der Lieder
XXXVII
Philister in Sonntagsröcklein
Spazieren durch Wald und Flur;
Sie jauchzen, sie hüpfen wie Böcklein,
Begrüßen die schöne Natur.

Betrachten mit blinzelnden Augen,
Wie alles romantisch blüht;
Mit langen Ohren saugen
Sie ein der Spatzen Lied.

Ich aber verhänge die Fenster
Des Zimmers mit schwarzem Tuch;
Es machen mir meine Gespenster
Sogar einen Tagesbesuch.

Die alte Liebe erscheinet,
Sie stieg aus dem Totenreich,
Sie setzt sich zu mir und weinet,
Und macht das Herz mir weich.

aus: Buch der Lieder. Lyrisches Intermezzo (v. 1824)

 

  ♥  

(cc) Klaus Dautel, 2015

Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.
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