Badisches Volksleben


Die Fragebogenaktion 1894/95 im Großherzogtum Baden

 

Die erste flächendeckend angelegte schriftliche Befragung zur Erfassung historischer und zeitgenössischer Volkskultur im deutschen Kaiserreich wurde 1893-1896 durch die Freiburger Hochschullehrer Fridrich Pfaff (1855-1917), Elard Hugo Meyer (1837-1908) und Friedrich Kluge (1856-1926) im Großherzogtum Baden durchgeführt. Die Altertums- und Sprachforschung hatte schon seit dem Wirken der Brüder Jakob (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) die verborgenen Reste deutscher Volkskultur ins Visier genommen und die Freilegung alt überlieferter Schätze und Quellen postuliert. Maler, Poeten, Mythologen und Theologen erkannten den Wandel der zeitgenössischen Kultur und beklagten die Gefährdung des vertrauten ländlichen Raums durch neue unüberschaubare Lebensformen.

Von dem Freiburger universitären Triumvirat pflegte Fridrich Pfaff, der später zum Gründer und ersten Vorsitzenden des Landesvereins Badische Heimat wurde, den unmittelbaren Zu- und Umgang mit der sogen. Volkskultur, während Kluge und Meyer eher die akademische Studierstube bevorzugten. Für ihr gemeinsames Fragebogenprojekt in Baden griffen sie auf Vorgaben des Germanisten und Volkskundlers Karl Weinhold (1823-1901) zurück, der in der ersten Ausgabe der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1891 den neuen volkskundlichen Kanon definiert hatte. Mit Ausnahme der damals aktuellen phänotypischen Kategorien (Schädelmorphologie, Knochen- und Körperbau, Physiognomie) übernahm die Forschergruppe weitgehend das vorgegebene Erhebungsmuster.

Nach einem ersten, privat getragenen und wenig erfolgreichen Feldversuch bediente man sich bestehender staatlicher Verwaltungsstrukturen. 1500 Schulorte in Baden wurden mit einem allgemeinen Fragebogen bedacht, für die Erfassung des religiös-kirchlichen Kulturraumes richtete sich ein besonderer Bogen an die örtlichen Pfarrer. Insgesamt wurden 3000 Bögen ausgegeben und über die Kreisschulämter an die Gewährsleute verteilt. Zur Gewinnung der von den Organisatoren erwünschten Erhebungsdaten wurden die beteiligten Pädagogen und Theologen in besonderen Kursen in Freiburg auf ihre Feldbeobachtung vorbereitet. Viele Lehrer waren ohnehin schon eifrig auf dem Gebiet der Heimatpflege tätig. Unverkennbar jedenfalls spiegeln sich in vielen Antworten der handschriftlich ausgefüllten Fragebögen die gedanklichen Konstrukte ihrer Autoren Kluge, Meyer und Pfaff wider. So diente das gewonnene Datenmaterial auch der Untermauerung bereits bestehender wissenschaftstheoretischer Fachpositionen.

Dank zahlreicher Kontakte und persönlicher Beziehungen der drei Feldforscher erzielte die Umfrage einen beachtlichen Rücklauf von annähernd 600 mehr oder weniger umfangreich beantworteten Fragebögen – diese Quote von ca. 20 Prozent gilt auch nach heutigen Maßstäben als erfolgreiche Datenbasis. Elard Hugo Meyer hat als einziger der beteiligten Wissenschaftler schon bald die neu gewonnenen Quellen aus seinen Schwerpunktthemen Sitte und Brauch ausgewertet und publiziert (E.H. Meyer: Badisches Volksleben im 19. Jahrhundert. Straßburg 1900).

Die anderen Themenbereiche des Fragebogens (Namenkunde, Hausbau, Handwerk, Gewerbe und Alltagsleben (Fridrich Pfaff), insbesondere aber der umfangreiche Abschnitt zur sprachlichen Überlieferung (Friedrich Kluge) blieben – mit Ausnahme einzelner lokaler Quellenauswertungen – bis heute unbearbeitet. In der Wissenschaft wurde die badische Fragebogenerhebung von 1894 jedoch rasch bekannt und diente weiteren Projekten zur Erfassung regionaler Volkskultur als erprobte Vorgabe (Württemberg, Bayern).

Die "Badische Volkskunde" des Heidelberger Professors Eugen Fehrle von 1924, Nachgedruckt 1979.Das umfangreiche badische Fragebogenmaterial verblieb in den folgenden Jahrzehnten im Besitz des Freiburger Badischen Vereins für Volkskunde und dessen Rechtsnachfolger Landesverein Badische Heimat. Später muss das Archivgut von Freiburg an den Lehrstuhl für Volkskunde (Eugen Fehrle) der Universität Heidelberg gelangt sein. Nach der Zerstörung dieses Instituts hat in den ersten Nachkriegsjahren der Freiburger Volkskundler Johannes Künzig (1897-1982) wesentliche Teile der Fragebogensammlung „mit eigenen Händen aus dem Bombenschutt“ geborgen und in seine 1960 in Freiburg gegründete staatliche Badische Landesstelle für Volkskunde verbracht. Ein kleineres Konvolut von 68 originalen Fragebögen befindet sich im Bestand der Forschungsstelle Badisches Wörterbuch des Deutschen Seminars der Universität Freiburg.

Rechts: Die "Badische Volkskunde" des Heidelberger Professors Eugen Fehrle von 1924, Nachgedruckt 1979.

     

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