Kriemhilds
Rache
Der zweite
Teil des Nibelungenlieds ist schnell erzählt. Kriemhild nimmt
das Angebot des Hunnenkönigs Etzel, des Attila der Geschichte,
an und heiratet ihn, wobei die Burgunder am Wormser Hof genau
wissen, dass sie dessen Machtmittel zur Rache nutzen wird. Nach
einigen Jahren kommt in der Tat aus Ungarn eine Einladung, und
es ist ein Gebot der Ehre für die Burgunder, ihr zu folgen, obwohl
sie - nicht zuletzt durch Zeichen und Wahrsagungen - wissen, dass
das ihren sicheren Tod bedeutet.
Im Hunnenland
angekommen werden die Burgunder ohne Umschweife mit Kriemhilds
fortwährender tiefer Trauer konfrontiert, was aber Hagen, den
Mörder, zunächst nur fast höhnisch abtut: Sigfried sei tot, sie
hätte jetzt den Hunnenkönig und Sigfried stehe so bald nicht auf.
Kriemhilds
erste Worte beim Empfang der Burgunder sind die Frage, was sie
ihr brächten. Den Schatz will sie, Vergeltung, Rache. Verrat um
Verrat.
Sigfried verrät
Brünhilde, Hagen verrät Sigfried, Kriemhild verrät ihre Brüder.
Schuld kann nur durch Tod gesühnt werden, und in diesen Tod geht
der dunkle Held in namenlosem Trotz.
Unglaubliche
Provokation ist es auch, was Hagen sich in der Etzelburg leistet:
Er setzt sich gegenüber von Kriemhilds Wohnung mit seinem Kampfgefährten
auf eine Bank, Sigfrieds Schwert vor sich auf den Knien. Als die
Königin kommt, bleibt er sitzen und antwortet auf den neuerlichen
Vorwurf Kriemhilds, er sei der Mörder ihres Mannes:
Was soll die
Geschichte ? Der Rede ist genug!
Ich bin es,
Hagen, der Sigfried erschlug!
Der unerbittliche
Lauf der Welt, dem man sich bewusst und trotzig stellen muss -
das ist weniger die höfische ritterliche Art, da spürt man den
kalten Geist alter Heldensagen.
Ab der 32.
Âventiure überschlagen sich die Ereignisse: Wie Dankwart Blödelin,
den Bruder Etzels, erschlug, wie die Burgunder mit den Hunnen
kämpften, wie sie die Toten aus dem Saal warfen, wie Irinc erschlagen
wurde, wie Kriemhild den Saal anzünden ließ, wie Rüdiger erschlagen
wurde, wie Herrn Dietrichs Recken alle erschlagen wurden, und
schließlich in der letzten Âventiure das Ende Gunthers und Hagens.
Das Blut muss
in der Etzelburg ähnlich kniehoch gestanden sein wie 1099 bei
der Erstürmung von Jerusalem im Ersten Kreuzzug. Das Mittelalter
ist eine blutige Zeit, und hier lächelt es uns hinter der höfischen
Maske an.
Auch dieses
Ende entbehrt nicht einer grausamen Note: Als der gefangene und
gefesselte Hagen Kriemhild sagt, solange König Gunther lebe, werde
er ihr nicht sagen, wo der Schatz liege, lässt diese ihren Bruder
kurzerhand töten und bringt Hagen seinen Kopf. Darauf lacht dieser
auf und verhöhnt Kriemhild: Jetzt wisse außer ihm nur noch Gott,
wo der Schatz liege. Kriemhild zieht Hagens Schwert, das dieser
Sigfried abgenommen hatte, das letzte und einzige, was von Sigfrieds
Schatz übrig ist, und schlägt ihm mit eigener Hand den Kopf ab.
Das Ende kommt
unvermittelt. Etzel beklagt Hagen, den Mörder, den Verräter, den
Dieb, den, der seine Frau verhöhnte,. als "der aller beste degen";
jetzt erst, zum ersten Mal im ganzen Lied, nimmt eine Gerechtigkeit
ihren Lauf, die vorher nie zum Zug kommen durfte. Sigfried durfte
Brünhilde hintergehen, Hagen durfte ungestraft Sigfried töten
und seinen Schatz rauben, sich auch offen als Mörder bekennen,
Kriemhild durfte ungestraft den Tod aller Burgunder veranlassen,
die Etzelburg verwüsten und in eine Hölle verwandeln - erst der
Rachetod Hagens ruft eine Art von Gerechtigkeit auf den Plan.
Hiltebrant, der greise Lehrer des Helden Dietrich, rächt seinerseits
"des kühnen Tronjers Tod" und schlägt mit seinem Schwert Kriemhild
in Stücke.
Die Orgie
von Gewalt und Blut, von Hohn und Rache musste bis zum letzten
Tropfen ausgekostet werden. Das ist Nibelungentreue.
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