Kapitel 34: Neurogenetik

34.4.2.5 Genetische Analysen identifizieren Kandidaten für Chemorezeptoren in C. elegans

Eine intensive Suche nach Homologen von Duftstoffrezeptoren in Invertebraten blieb trotz der Erfolge und der wegweisenden Methoden der Säugetier-Molekularbiologie zunächst fruchtlos. Trotz der langen Zeiträume, die zwischen der Aufspaltung der Arthropoden und der Vorläufer der heutigen Wirbeltiere vergangen sind, sind viele andere Rezeptormoleküle im Verlaufe der Evolution sehr gut konserviert. Zum Beispiel beträgt der Grad der Sequenzähnlicheit (Identität) zwischen den Opsinen von Drosophila und Mensch über 30%, was mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine monophyletische Abstammung hinweist. Die Verwandtschaft der Moleküle läßt sich sogar auf der Ebene der Nucleinsäurehybridisierung nachweisen und zur Charakterisierung dieser Genfamilie in anderen Tierstämmen nutzen. Hingegen ließen sich Duftstoffrezeptoren mit Hybridisierungsverfahren und PCR auf der Basis einer hypothetischen Verwandtschaft mit den Rezeptoren von Fischen und Ratten zunächst nicht demonstrieren.

Erst eine systematische Analyse von DNA-Sequenzen, die als Resultat des C.elegans-Genomprojektes (J. Sulston, Cambridge) in den Datenbasen seit Anfang der 90er Jahre akkumulieren, identifizierte verschiedene Vertreter einer neuen Proteinfamilie mit den Charakterzügen von Serpentinen-Proteinen und G-Protein bindenden Polypeptiden, welche den hypothetisch geforderten Eigenschaften von Chemorezeptoren entsprachen. Insgesamt wurden zunächst 41 Gene gefunden, die sich aufgrund der Sequenzähnlichkeiten untereinander in sechs Unterfamilien einteilen ließen. Wie sich weiter herausstellte, kommen diese Gene in eng verbundenen Reihen mit gleicher Orientierung vor (Abb. 34-60). Die Ähnlichkeit ihrer genomischen Organisation mit der von Säugetier-Duftstoffrezeptoren ist oberflächlich; Gene mit ähnlicher oder gekoppelter Funktion finden sich häufig in linearer Anordnung im C.elegans-Genom und weisen mitunter eine den prokaryotischen Operons analoge Kontrolle und Struktur auf. Ursprünglich war die Forschergruppe von Claudia Bargmann an der University of California San Francisco auf diese Gene aufmerksam geworden, weil sie sich in unmittelbarer Nähe des Gens für Guanylcyclase befanden, ein Enzym, welches bei von G-Protein gekoppelten Transduktionsprozessen eine Rolle spielt. Durch Sequenzanalysen erwies sich, daß Gene innerhalb eines linearen Arrays untereinander am ähnlichsten sind, was auf ihre Genese durch Genduplikation schließen läßt. Die Duftstoffrezeptoren der Wirbeltiere sind sich untereinander immerhin so ähnlich, daß sie miteinander auch bei hoher Stringenz hybridisieren, während die translatierten Regionen der einzelnen C.elegans-Genfamilien nur mit sich selbst hybridisieren, selbst bei verminderter Stringenz.

Als wichtigstes Argument für die Funktion dieser Gene als Chemorezeptoren ergab sich schließlich die Spezifität der Expression in den physiologisch als Rezeptorneuronen identifizierten Zellen der Rundwürmer (Abb. 34-61).

Anstelle der traditionell angewandten In-situ-Hybridisierung zum Nachweis der räumlich und zeitlich spezifischen Expression wurden die upstream-Region von mehreren putativen Rezeptorgenen mit dem "green fluorescent protein" (GFP) fusioniert und die transformierten Tiere unter dem Fluoreszenzmikroskop untersucht. Nicht alle, aber die meisten untersuchten Gene fanden sich ausschließlich in sensorischen Neuronen, und es wurde eine Spezifität der Expression in Untergruppen von sensorischen Zellen observiert. Von den nicht sensorischen Nervenzellen, welche hypothetisch Rezeptorgene exprimierten, waren wenigstens zwei an chemosensorischen Schaltkreisen beteiligt. Nur zwei der Gene wurden auch außerhalb des Nervensystems exprimiert. Der Befund von Chemorezeptoren außerhalb des sensorischen Nervensystems ist nicht unbedingt verwunderlich; Säugetier-Duftstoffrezeptoren wurden auf Spermazellen gefunden, wo sie vielleicht die Funktion von artspezifischen Pheromon- oder Befruchtungsfaktoren haben. In diesem Zusammenhang ergab sich ferner, daß einige mögliche Rezeptorkandidaten in geschlechtsspezifischer Weise translatiert werden. In C.elegans besitzen Männchen gegenüber Hermaphroditen 79 zusätzliche Neurone, von denen zwanzig sensorischer Natur sind. Drei der Rezeptorgene erwiesen sich entweder als spezifisch für das männliche Geschlecht oder zeigten ein geschlechtsspezifisches Expressionsmuster, woraus eine mögliche Funktion in der Pheromonerkennung hergeleitet werden kann.

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