Max Frisch: Homo Faber (1957)
Faber-Mann und Hanna-Frau - Was ein Literaturwissenschaftler dazu schreibt:
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„Wir haben Hanna bisher nur als Anklägerin des Homo faber gesehen. In Wirklichkeit ist sie mehr und zugleich weniger. Hanna erkennt zwar scharfsinnig in Faber das Urbild des technischen, naturentfremdeten Menschen; ihre eigene Lebenshaltung ist jedoch nicht weniger problematisch. Wie Faber das männliche Lebensprinzip denaturiert, indem er es zur Ideologie des Ingenieurs verengt, denaturiert Hanna das weibliche Prinzip, indem sie es zur bloßen Gegenideologie, zum Irrationalismus, macht. Das zeigt sich schon in ihrem Protest gegen die Technik schlechthin, der sich in der Negation erschöpft und nicht die Kraft hat, die Möglichkeiten des technischen Verhaltens in eine höhere Konzeption des Menschen aufzunehmen. In der Erlebnisschicht bezeugt sich ihr Versagen ebenso wie bei Faber im Verhältnis zu ihrem Kind. Faber sucht – wenn auch unbewußt – die Begegnung mit der Frau als Episode; er will nicht Vater werden. Hannas Verhalten ist genau entgegengesetzt: sie will Mutter werden, aber sie möchte mit dem Kind für sich bleiben. So wenig wie Faber ist sie fähig zur Hingabe und zum Wagnis einer Gemeinschaft, die jeden der Partner wesentlich verändern muß. […]. Indem sie ihr Kind nur für sich haben wollte, hat auch sie zur Vernichtung Sabeths und Fabers beigetragen. Kurz vor seiner Operation küßt sie Faber die Hand und bittet ihn um Verzeihung. Beide sind sie Schuldige: mit Recht wirft Faber ihr die "Backfischphilosophie" der Emanzipierten vor. Hanna verachtet an der Oberfläche des Bewußtseins die technische Lebenshaltung, weil sie sie für die Lebensform des Mannes par excellence hält; ihre geheimste, unbewußte Sehnsucht aber besteht darin, es den Männern gleichzutun. Denn da sie den Mann ablehnt und aus den Tiefenschichten ihres Daseins ausschließen will, kann sie auch nicht wirklich Frau, sondern nur ressentimentgeladener Anti-Mann sein. Ihre scheinbar überlegene Haltung gegenüber Faber beruht in Wirklichkeit, sowohl was ihre betonte Lebenstüchtigkeit wie ihren Mutteregoismus und ihre technikfeindliche Anschauung betrifft, auf einem überdeckten Minderwertigkeitskomplex, auf einem Mangel.“
(Kaiser, Gerhard: Max Frischs Homo faber. In: Schmitz, W. (Hg.): Max Frisch. Frankfurt/M. 1987, S 218 f)
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Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.