Goethe - E.T.A. Hoffmann - Hesse

Faust - Der goldene Topf - Der Steppenwolf

Vorarbeiten zum Werkvergleich

Anselmus

Alle drei Protagonisten können als literarische Vertreter jener „modernen Obsession“ gelesen werden, wie sie Garcia seit dem 18. Jahrhundert ausmacht. Für Faust und Harry Haller ist dies offensichtlich, für Anselmus wäre das in seiner modifizierten Form herauszuarbeiten. Überhaupt fällt der „Goldene Topf“ und sein Protagonist Anselmus etwas aus dem Rahmen. Aber hier ist es hilfreich, sich mit dem Grundanliegen der Romantik zu beschäftigen, genauer: mit dem Prinzip des Romantisierens, wie es von Friedrich Schlegel und Novalis postuliert und wurde:

„Die Jenaer treiben es weit mit ihren Lockerungsübungen, sie wollen die Scheidewände zwischen Literatur und Leben vollends niederreißen. Friedrich Schlegel und Novalis prägen für dieses Unternehmen den Begriff des Romantisierens. Jede Lebenstätigkeit soll sich mit poetischer Bedeutsamkeit, soll seine eigentümliche Schönheit zur Anschauung bringen und eine Gestaltungskraft offenbaren, die ebenso ihren 'Stil' hat wie das Kunstprodukt im engeren Sinne. Überhaupt gilt ihnen Kunst weniger als Produkt denn als Ereignis, das immer und überall stattfinden kann, wo Menschen ihre Tätigkeit mit gestalterischer Energie und vitalem Schwung verrichten.“ (Rüdiger Safranski: Romantik, 2007, S. 58f)

Die Welt muss verzaubert werden, im Alltäglichen muss der Zauber des ganz Anderen aufgespürt und sichtbar gemacht werden. So lädt sich alles Handeln und Empfinden mit Bedeutung auf und wird 'entgrenzt'. Wer dazu in der Lage ist, gewinnt unermessliche Glückszustände und verliert dabei womöglich seinen Verstand. Für den Normalbürger, den Philister, haben die romantischen Gemüter allerdings schon von Anfang an den Verstand verloren.

Diese ganz anderen Wirklichkeitsbereiche offenbaren sich Anselmus zunächst auf geheimnisvolle Weise, setzen in ihm aber ein Bedürfnis frei, in diesem anderen Reich beheimatet zu werden. Dies geschieht zwar mit Unterstützung des Samalanderfürsten und seiner Tochter, setzt aber Verwandlungsbereitschaft und eine besondere Gemütslage voraus. Dies kennzeichnet Anselmus und macht ihn romantisierbar.

Anselmus ist - ganz im Gegensatz zu Faust und Haller - ein junger Mann, ein Student, der sich und seine Rolle noch finden muss, in jeglicher Hinsicht: beruflich, sozial, sexuell ... Er ist noch zu jung, zu naiv für die bewusste Erfahrung einer Krise, diese Krise muss zu ihm kommen, ihn sozusagen überfallen. Sie sucht ihn heim wie eine Falle, in die er hineintappt. Und damit nimmt ja auch alles seinen Anfang: Er tappt in die Apfelauslage des Äpfelweibes. Das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Apfelweib aus E T A Hofmanns Der goldenen Topf, Fundstelle: Türknauf in Bamberg

Anselmus ist Außenseiter von Anfang an: als Student noch nicht im bürgerlichen Leben und dessen Geschäftigsmäßigkeit angekommen, ein Träumer und ein Tolpatsch. Er lebt in Dresden, dennoch nicht ganz im Hier und Jetzt; er wird zum Spielball von Mächten, die zwar im Hier und Jetzt auftreten und dennoch nicht nur von dieser Welt sind: Das Apfelweib auf der einen und der Archivar Lindhorst auf der entgegengesetzten Seite, die Hexe und der Salamanderfürst.

Seine Bestimmung und sein Weg ist der des Poeten. Poesie ist das Mittel zur Verwandlung der Welt, zur Steigerung der Wirklichkeit über sich selbst hinaus ins Fantastische, zur Veredelung einer ansonsten eindimensionalen, „aufgeklärten“ Wirklichkeit.

„Die Lust am Geheimnisvollen und Wunderbaren, wie sie in der literarischen Kultur am Ende des Jahrhunderts aufkommt, ist das Symptom eines Mentalitätswandels, der den rationalistischen Geist zurückdrängt. Es sind viele, die am gemessenen Schreiten des aufgeklärten Fortschritts zweifeln oder gar verweifeln und einen Ausnahmezustand herbeisehnen, der ihnen erlaubt, einzelne Stufen zu überspringen und ihr individuelles Glück zu machen ...“. (a.a.O. S. 54)

In der Einleitung zur „Vierten Vigilie“ wendet sich der Erzähler direkt an den geneigten Leser. Dieser möge sich der Anstrengung unterziehen, sich dem Nicht-Alltäglichen im „gemeinen Leben“ zu öffnen und sich dessen extremen Stimmungslagen auszusetzen:

Versuche es, geneigter Leser, in dem feenhaften Reiche voll herrlicher Wunder, die die höchste Wonne sowie das tiefste Entsetzen in gewaltigen Schlägen hervorrufen, ja, wo die ernste Göttin ihren Schleier lüftet, daß wir ihr Antlitz zu schauen wähnen – aber ein Lächeln schimmert oft aus dem ernsten Blick, und das ist der neckhafte Scherz, der in allerlei verwirrendem Zauber mit uns spielt, so wie die Mutter oft mit ihren liebsten Kindern tändelt – ja! in diesem Reiche, das uns der Geist so oft, wenigstens im Traume aufschließt, versuche es, geneigter Leser, die bekannten Gestalten, wie sie täglich, wie man zu sagen pflegt im gemeinen Leben, um dich herwandeln, wiederzuerkennen.“

Bei E.T.A. Hoffmann ist das Reich der Poesie keine subjektive Fantasie, sondern eine zweite und gleichwertige Wirklichkeit. Poetische Naturen besitzen einen Zugang zu dieser anderen Welt, wer zu ihr keinen Zugang hat, ist ein Philister. Der Poet und Künstler hingegen ist Bewohner einer unermesslich erweiterten Welt, schwebt jedoch in der Gefahr, sich darin zu verlieren und wahnsinnig zu werden. E.T.A. Hoffmann hat dies am Beispiel des Studenten Nathanael im „Sandmann“ oder des Einsiedlers Serapion in den „Serapionsbrüdern“ vorgeführt.

Anselmus ist umgeben von Philistern und verfolgt von den guten und bösen Geistern der andern Welt. Dazu gehören auch die Frauen, die heiratsbereiten Bürgerstöchter und die schlangenhaften Zauberwesen des Salamanderfürsten.

In diesen Wirklichkeiten muss Anselmus sich bewähren, seinen Weg finden zwischen Wahnsinn und Verklärung, zwischen Dresden und Atlantis. Er entkommt schließlich der bürgerlichen Existenz, der Ehe und der Flasche, und findet zu einer höheren Lebensform als Poet im Märchenland Atlantis.

 

  

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