Klausuren zu LPE 12.4: Gottesglaube / Atheismus
Gibt es einen Gott?
Ein Christ und ein Atheist im Streitgespräch
(Aus einem Gesprächsprotokoll zwischen dem Theologen H.-G. Pöhlmann
und dem tschechischen Philosophieprofessor M. Machovec)
Machovec: Was würdest du einem Menschen antworten,
der zu dir kommt und sagt: "Es gibt keinen Gott. Ich habe
keine Beweise für seine Existenz. Können Sie mir Beweise nennen,
daß es ihn gibt?"
Pöhlmann: Ich würde antworten: Es gibt keine zwingenden Beweise für
Gott nach Art von naturwissenschaftlichen Beweisen, die es mit der
Gegenstandswelt zu tun haben. Gott ist das Unfaßliche, kein faßbarer
Gegenstand, er ist Geheimnis, kein geheimnisloses Ding. Zwingende
Beweise würden ihn zu einer Sache dieser Welt machen, der er doch
der ganz Andere ist. Die Liebe zwischen Menschen ist doch auch
nichts Beweisbares, der Liebende kann auch nicht beweisen, daß er
liebt. Er liebt jemanden, weil er liebt, und er liebt sogar
Gegenbeweisen zum Trotz. Ähnlich ist es mit Gott, dem ich ebenso
nur auf der Erlebnis- und Erfahrungsebene begegne, nicht auf der
Ebene der Gegenstandswelt, wo es zwingende Beweise gibt. Auch hier
gibt es keine Beweise, sondern nur Hinweise, also Argumente auf der
intuitiven Erfahrungsebene, die nie zwingend sein können.
Machovec: Also geht's in der Religion um eine subjektivistische (=höchstpersönliche)Gefühlssache,
wo der Verstand außen vor bleibt. Sie ist nichts für vernünftige
Menschen, sondern nur für emotionale Menschen. Nietzsche redete spöttisch
von den "kleinen Geistern" mit "umfänglichen
Seelen".
Pöhlmann: Das ist ein Mißverständnis von Religion. Das Denken
wird hier nicht durchgestrichen, sondern über sich hinausgeführt.
Zu begreifen, daß es Unbegreifliches gibt, ist doch das Höchste,
was der Verstand leisten kann, nicht aber seine Ausschaltung.
Machovec: Ich verstehe. "Ich weiß, daß ich nichts weiß",
meinte Sokrates. Das ist Prämisse (=Voraussetzung) auch jeder
Philosophie, die auf sich hält. Aber ich frage nochmals, welche
Argumente auf der Erfahrungsebene gibt es für Gott?
Pöhlmann: Ich habe in unseren Gesprächen schon einige genannt,
vor allem das Wichtigste: Gott ist das wahre Du meines Lebens. Es wäre
in der Tat alles sinnlos, wenn es keinen Gott gäbe, wenn es nur
die Menschen gäbe, wenn es nur die Welt gäbe, wenn es nicht
dieses wahre Du meines Lebens gäbe, das mich im Unterschied zum
menschlichen Du unbedingt annimmt, das im Unterschied zum
menschlichen Du immer bei mir bleibt, im Leben und im Tod, auch
dann bleibt, wenn sonst nichts bleibt. Im Grunde sehnt sich jeder
Mensch nach diesem absolut verläßlichen Du, Gott genannt, zumal
in unserer Zeit, die von Einsamkeit, Antwortlosigkeit,
Sprachlosigkeit, Gleichgültigkeit, funktionaler Sachlichkeit und Kälte
geprägt ist. In diesem Du habe ich aber nicht nur einen Freund,
mit dem ich immer sprechen kann. Es bleibt bei diesem Gott nicht
nur bei Worten. Er geht für mich in den Tod am Kreuz von Golgatha,
so sehr liebt er mich. Wenn es ein Argument gibt für diesen Gott,
dann dieses.
Machovec: Ich habe bereits meine Bedenken gegen dieses Argument
angemeldet, das höchstens für Insider evident ist und nur einen
esoterischen (=für den inneren Kreis der Eingeweihten der ohnehin
Glaubenden) Wert hat.
Pöhlmann: Ich habe da andere Erfahrungen gemacht. Doch ich möchte
noch andere Gotteshinweise nennen, um das Geheimnis Gottes zu
umschreiben. Man kann dieses Geheimnis ja nicht beschreiben, nur
umschreiben, und man muß es immer neu und mit immer neuen
Begriffen umschreiben, nicht nur mit einem einzigen sonst würde
man, so Luther, Gott "in den Kasten schließen". Wichtig
ist mir als weiteres Argument für Gott in Weiterführung
Rahnerscher (Anm.: Karl Rahner, katholischer Theologieprofessor)
Gedanken: Gott ist der Horizont meines Lebens, ohne den es keine
Perspektive mehr hat. Wie jeder Horizont ist dieser Horizont
grenzenlos; d. h. ich bin ständig unterwegs zu ihm in der Hoffnung
auf das volle Glück, das ich diesseits des Todes erfahrungsgemäß
nie erreiche; und so bleibt mein Leben gespannt nach vorn und es
sackt nicht zusammen. Obschon der Horizont grenzenlos ist, umgrenzt
er mich zugleich wie eine bergende und schützende Kuppel. Gott ist
der letzte Sinn, aber auch der umschließende Sinn meines Lebens
inmitten des Sinnlosen, "das Umgreifende" wie der
Philosoph Karl Jaspers sagt.
Machovec: Du weißt, daß ich hier (Anm.: dem
Gedanken des "Umgreifenden Sinnes") weithin zustimmen
kann.
Pöhlmann: Ich könnte auch mit Goethe argumentieren: Gott ist das,
"was die Welt im Innersten zusammenhält" und ohne das
sie auseinanderfällt. Gott ist der Sinnzusammenhang der Welt, ohne
den sie in lauter sinnlose Teile zerfällt. Er ist der universale
Bezugspunkt des Kosmos, durch den die sinnlosen Punkte Linien
bekommen. Gott ist Evolutor der Evolution oder der planende Geist
der Welt, ohne den die wunderbare Ordnung der Sternenwelt oder die
Zielgerichtetheit des übrigen Kosmos nicht erklärt werden kann.
Vom Menschen können die Gesetze, nach denen die Evolution verläuft,
nicht stammen, da er das Endprodukt der Evolution ist und da sie
der Evolution vorausgehen. Von irgendwoher müssen sie aber kommen.
Aus nichts wird nichts. Es gibt keine anfangslose Bewegung. Albert
Einstein und Werner Heisenberg haben diese Ordnungsstrukturen der
Welt auf eine ordnende Macht zurückgeführt. Einstein bekennt sich
zu einer "kosmischen Religiosität", wenn er auch einen
"persönlichen Gott" ablehnt. Diese kosmische Religiosität
besteht "im Staunen über die Harmonie der
Naturgesetzlichkeit", die er auf eine über menschliche
"Vernunft" zurückführt. Ähnlich Heisenberg, demzufolge
die Ordnung des Kosmos nur zu erklären ist, weil hinter ihr ein
"Bewußtsein" und eine "Absicht" zu denken ist.
Ebenso äußern sich die Physiker Schrödinger, Pauli, Bohr und
Eddington. Ein Mensch, der eine Sternwarte besucht und die
wunderbare Ordnung der Sternenwelt dort erklärt bekommt, kann
eigentlich nicht anders, als an so einen planenden Geist zu
glauben.
Aber nicht nur die Ordnung des Kosmos läßt zurückfragen
nach einem Ordnungsprinzip, auch die Unordnung in der Welt. Unzählige
leiden unter Folter, Gefängnis, Ausbeutung und Unterdrückung und
sind stumm geworden in ihrer dumpfen Verzweiflung. Für sie wäre
alles sinnlos, wenn sie nicht den Glauben hätten, daß es einen
Gott gibt, der ihr Recht verficht und der schlußendlich eingreift.
Was hätten wir anderes hoffen können im Zweiten Weltkrieg und in
der Nazizeit, als daß Gott siegt, nicht Hitler? Gott ist ein
anderes Wort für diese Macht, die stärker ist als das Böse und
die stärker ist als alles, was Angst macht.
Machovec: Ich bezweifle, ob deine - zugegeben klugen Argumente für
Gott - den durchschnittlichen Menschen des 20. Jahrhunderts - etwa
einen Geschäftsmann - überzeugen können.
Pöhlmann: Ich will nicht mehr, als daß er nachdenkt über Grund
und Ziel des Lebens. Daß diese Argumente nicht für jedermann
zwingend sind, habe ich ja anfangs betont.
Machovec: Der große Philosoph Immanuel Kant hat doch schon
aufgewiesen, daß es keine Gottesbeweise gibt und daß man aus den
ewigen Gesetzen des Kosmos nicht unbedingt auf die Existenz eines
Gesetzgebers schließen kann.
Pöhlmann: Es geht mir nur um Hinweise, nicht Beweise, Gott kann
nicht bewiesen werden, er beweist sich selbst. Ich kann nur auf die
Chiffren hinweisen, in denen er sich erweist. Der eine entziffert
sie, der andere nicht.
Machovec: Sehr überzeugend finde ich die auch mir bekannten Thesen
von Einstein und anderen Physikern. Nur weiß ich nicht, ob sie für
dich und nicht eigentlich für mich sprechen. Ich denke , daß
diese Sätze der großen Physiker vorwärtsweisen wollen zu etwas
Anderem, Neuen, nicht aber zurück zu den Gottesmodellen des
Altertums oder Mittelalters, die sie ablehnen. Ich kann diese
Religiosität von Einstein bejahen. Das Wort "Weltfrömmigkeit",
das ich bei Goethe fand, drückt etwas Ähnliches aus. Ich sagte ja
schon in einem früheren Gespräch, daß ich einen Weltengrund
bejahe. Ich stimme hier mit dir weithin überein und will dasselbe
wie du beweisen. Es genügt nicht, in den alten abgenützten
Formeln von Gott zu reden. Ich möchte den wahren Kern des
Gottesglaubens retten, den die Schüler von Marx und Feuerbach auch
gar nicht vernichten wollten; vernichten wollten wir die
gesellschaftsökonomische Schale und Gestalt dieses Glaubens. Wir
wollen alles Suchende, alles Ideale, die Welt Transzendierende
retten, aber es mit einer Weltanschauung und einer Lebensauffassung
verbinden, die mit der Normalerfahrung des modernen Menschen zu
vereinbaren ist. Wir sind überzeugt, daß diese Thesen von Goethe
bis zu Einstein zeigen: Vergeßt nicht die Erfahrung der Religion,
aber macht es anders als die bisherige christliche Tradition mit
ihren hohlen Formeln, wie ich sie in den religiösen Morgenfeiern
des deutschen und österreichischen Rundfunks oder vom Papst höre,
dessen Predigten vorgoethischen und voreinsteinschen Modellen
verpflichtet sind, mit denen man nur die Menschen im Mittelalter
ansprechen konnte. Zu deinem Argument: Es muß eine Macht geben,
die stärker ist als das Böse, wenn nicht alles sinnlos werden
soll, die Gefolterten und Gequälten müßten verzweifeln ohne
diesen Glauben an einen, der eingreift, ohne Eingriff von außen.
Hier wird Religion wieder zur billigen Vertröstung. Nicht ein Gott
kann Menschen von Folter und Gefängnis befreien. Wir müssen
selber eine Welt ohne Folter und Gefängnisse schaffen.
Pöhlmann: Sicher müssen wir das versuchen. Aber erfahrungsgemäß
gelingt das nicht, wie die Menschheitsgeschichte zeigt. Oder meinst
du im Ernst, daß die Menschen besser geworden sind seit der Aufklärung
oder seit den Revolutionen? Es geht immer wieder um die Kernfrage:
Kann sich der Mensch selber befreien vom Bösen? Das ist die
entscheidende Frage zwischen Atheismus und Christentum. Meines
Erachtens kann der Mensch nur das Maß an Unfreiheit einschränken,
er kann sich aber nicht selber befreien. Er kann sich nicht vom Bösen
befreien. Das Böse ist ein Gefängnis, aus dem man nur von außen
befreit werden kann. Alles wird sinnlos, wenn es nicht eine Macht gäbe,
die uns befreit von allem, was uns gefangennimmt, und die das Gute
schlußendlich siegen läßt. Diese Macht ist Gott. Ist nicht der
Marxismus eine Illusion, wenn er meint, der Mensch könne sich
selber befreien von allem Bösen? Hat der real existierende
Marxismus nicht das Gegenteil bewiesen?
Machovec: Kein vernünftiger Marxist und Atheist hat je behauptet,
daß der Mensch sich selber völlig vom Bösen befreien kann. Wir
wollen uns demütig damit bescheiden, den Menschen in der Zukunft
etwas freier zu machen, indem wir den Hunger und das schlimmste
Elend beseitigen und so das Reich der Freiheit aufbauen. Wir können
nur das Reich des Bösen etwas kleiner machen. Niemand hat bei uns
je gesagt, daß wir fähig sind, überhaupt das Böse zu
beseitigen. Ich meine umgekehrt, es ist eine Illusion, wenn das
Christentum auf so eine allmächtige Macht baut. Die Erfahrungen
von Millionen von Menschen sprechen gegen so eine Macht. Du
sagtest, wir brauchen eine Macht, die uns befreit vom Bösen, also
existiert sie. Das ist ein Wunschdenken. Der Durst ist kein Beweis
für die Quelle. Die meisten Menschen der letzten Jahrhunderte sind
betrogen worden in ihrer Hoffnung auf so eine Macht, und es ist
sehr unwahrscheinlich, daß so eine Macht existiert. Die Menschen
haben begriffen, daß sie selbst gegen das Böse kämpfen müssen,
statt sich auf so eine Fiktion zu verlassen. Diese Macht war für
Unzählige eine Vertröstung, kein Trost.
Pöhlmann: Anderen und auch mir war sie Trost in schlimmen Zeiten.
Das lasse ich mir nicht abmarkten.
Machovec: Gut. Jedenfalls haben viele, die ich kenne, die Erfahrung
gemacht, daß es keine solche tröstende Macht gibt, daß es keine
solche Instanz, die von außen her mirakulös ein greift, gibt und
daß man das selbst besorgen muß, etwa durch den Freund, die
Partnerin, die Mutter, den Vater. Aber daß eine außerweltliche
Instanz oder außermenschliche Person, ein Übervater, der
wahrscheinlich nicht existiert, mich trösten sol1, auf so etwas
will sich niemand und kann sich niemand stützen. Wie ich sehe,
sind die Theologen nicht fähig, den Menschen Sicheres zu beweisen
und sichere Garantien zu geben. Die Menschen wollen etwas sehen von
dieser Macht, sie lassen sich keinen blauen Dunst vormachen. In
unserem Wissenschaftszeitalter zählen nur gesicherte Tatsachen.
Pöhlmann: Das erinnert mich an den Satz Bertolt Brechts aus der
"Heiligen Johanna der Schlachthöfe": "Darum, wer
unten sagt, daß es einen Gott gibt und ist keiner sichtbar und
kann sein unsichtbar und hülfe ihnen doch, den soll man mit dem
Kopf auf das Pflaster schlagen, bis er verreckt ist."
Machovec: Ich würde es nicht so brutal ausdrücken, obschon man
Brecht verstehen muß, der sich gegen Vertröstung und
Priesterbetrug wendet...
(Quelle: M. Machovec, H.-G. Pöhlmann, Gibt es
einen Gott?, GTB Siebenstern, Gütersloh 1990, S.61-67)
Aufgaben:
1.) Fasse die Argumentationsgänge und Begründungen der Positionen
Pöhlmanns bzw. Machovecs zusammen!
2.) Welchen der beiden Positionen überzeugt Dich mehr? Nenne die
Gründe!
3.) Könnten neue, andere Argumente etwas zu dieser Diskussion
beitragen? Welche fallen Dir ein?
Bearbeitet von Frank
Willenberg
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