Thomas Mann: Tod in Venedig

Tod in Venedig
Zur Person G.v.A. Die Verführung
Sokrates und Phaidros
Arbeitsaufträge

Zur Person Gustav von Aschenbach

1.
Gustav (von) Aschenbach, seit seinem 50. Lebensjahr geadelt, anerkannter Schriftsteller und Verfasser einer Biografie Friedrich des Großen von Preußen, ein disziplinierter, der Vernunft und Selbstzucht ergebener Mann, wird durch die zufällige Begegnung mit einem - sehr detailliert geschilderten - Reisenden von "Fluchtdrang" und "Begierde nach Befreiung" (S.10) überfallen und beschließt nach Italien zu reisen.

2.
Eine Schilderung von Biografie und Charakter des Mannes: Mischung aus väterlicher Beamtennatur und mütterlichem Frohsinn und Kunstliebe, von Jugend an kränklich, in ständiger Anspannung ("leidend-tätige Tugend"), durch eiserne Selbstzucht der "Größe" geweiht: Sein Lieblingswort war "Durchhalten". Ein Held der Moderne durch seinen "Heroismus der Schwäche"(14) - ringt er sich zu Würde und Strenge, Meisterlichkeit und Klassizität durch. Seine Glätte lässt ihn zum Schulbuchautor werden, man adelt ihn, seine Lebensenergie fließt in die Biografie des "Alten Fritz". Das Kapitel endet mit einer Beschreibung von Aschenbachs Physiognomie.

G.v.Aschenbach und der "Heroismus der Schwäche" (1.Charakteristik)


Herkunft
Vater
höherer Beamter aus traditionsreicher Familie

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Ordnung, Pflichterfüllung
Staatstreue (Loyalität)

Mutter
Tochter eines böhmischen Kapellmeisters

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Emotionalität
"Merkmale fremder Rasse"

Jugend Ehrgeiz und Leistungswille
schon als Gymnasiast
ständige Anpassung ("Durchhalten")
von Jugend an kränklich
einsam und leidend

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"Inbegriff leidend-tätiger Tugend"
Weitere Laufbahn Abkehr von den Stürmen und Zynismen der Jugend
Gegner von Unmoral, Skeptizismus und Laschheit
Durchbruch zu "Meisterlichkeit und Klassizität"
Krönung Durch Glätte, Geschliffenheit, Konvention, Formbewusstsein
schafft er es zum Schulbuchautor und Staatsdichter, dessen
ganze Lebensenergie in die Biografie des preußischen Königs
→ "Friedrich der Große" einfließt
Fazit G.v.Aschenbach ist der Repräsentant des in sich zerrissenen, modernen Künstlers, der durch "Zucht" und Disziplin in unzähligen kleinen Tagewerken der eigenen Schwäche stille Größe abtrotzt. Dieser Größe aber haftet Selbstverleugnung (der eigenen Zweifel), dafür aber eine erzwungene Glätte und Geschliffenheit an. Diese Klassizität ist von brüchiger Natur und die Person ist einer ständigen Gefährdung ausgesetzt.

3.
G.v.A. reist also Mitte Mai nach Italien, zuerst in einen kleinen Ort an der Küste, dann aber nach Venedig, es ist sein zweiter Aufenthalt dort.
Erste Irritationen: Auf dem Schiff nach Venedig beobachtet er mit Abscheu einen jugendlich geckenhaft aufgetakelten Greisen (19).
Dann, angekommen, ereilen ihn Ahnungen von Sonderbarem, die Gondeln rufen den Gedanken an Särge hervor (22).
Ein merkwürdig grimassierender und unfreundlicher Gondoliere rudert ihn auf Umwegen in die Stadt und verschwindet dann, bevor er bezahlen kann: Er hat keine Konzession zu diesem Geschäfte.
Im Hotel findet ist ein internationales Publikum zu Gast, eine polnische Familie gerät ihm in den Blick. Zu deren Kindern gehört ein ausnehmend schöner Knabe, dessen Name sich später als Tadzio (Tadeus) erweisen wird, dem Schriftsteller ist dieser Knabe die Personifikation klassischer Schönheit (26/7). Weitere Begegnungen am Strande folgen, Aschenbach beobachtet T. mit "väterlicher Huld".

Er unternimmt einen Abstecher nach Venedig: Widerliche Schwüle und Fieberdünste verschlagen ihm den Atem (34) und beeinträchtigen seine fragile Gesundheit. Er beschließt abzureisen und meldet sich im Hotel ab. Am andern Morgen, unmittelbar vor der Abfahrt, begegnet ihm noch einmal Tadzio, die Abreise selbst wird zur "Leidensfahrt", er will nicht von Venedig scheiden, weiß er doch dunkel, dass er es dann nie wieder sehen würde.
Da sein vorausgeschicktes Gepäck versehentlich in die falsche Richtung (nach Como) geschickt wurde, beschließt er ins Hotel zurückzukehren. Die erneute Begegnung mit T. verschafft ihm Klarheit über sein eigentliches Wollen: Er ergeht sich in gelassenes Hinnehmen des (kommenden) Schicksals.

4.
Unter gleichbleibender Sonne Gefühle der Entrückung. Die Tage sind angefüllt mit der Beobachtung des holden Jünglings am Strand: Das vollendete Kunstwerk, formvollendete Zucht, zuchtvolle Form (42), aber auch: lebendige Schönheit, nicht nur kalter Marmor, Sinnlichkeit.
Aschenbachs erste Vision, erzeugt von Sonne und Meer: Sokrates und Phaidros, der Alte und der Junge, der Hässliche und der Schöne im Gespräch unter griechischer Sonne: Was ist Schönheit ohne Körper? Und ist nicht der Liebende heiliger als das Geliebte, weil allein in ihm Göttliches geistert? Gedankliche Ausschweifung (44) und rauschhafte Empfindung.
Der Versuch Tadzio anzusprechen wird abgebrochen (Zucht versus Zügellosigkeit). Aber T. versteht es zunehmend, Aschenbachs Aufmerksamkeit und Begierde zu erregen. Und dann: Ein Lächeln (48) des Jungen trifft Aschenbach ganz unvorbereitet, es ist zwar das Lächeln des Narziss, dennoch muss Aschenbach sich endlich eingestehen: Er liebt ihn.

5.
Die vierte Woche: Aschenbach fährt - in Verfolgung seines "Abgottes" - nach Venedig hinein, dort werden die Anzeichen einer Cholera-Epidemie immer eindeutiger, doch sie können A. nicht mehr aus der Nähe des Tadzios vertreiben.
Er folgt ihm überall hin ("Weisungen des Dämons", 51), gleitet und schwankt in schwarzen Barken denen der polnischen Familie hinterher.
Vergeblich ist der Versuch, im Gedenken an die Vorfahren Halt zu finden (Autobiografisches? 52).
Musikanten erscheinen im Hotel (53-58), es gibt viel Gelächter, insbesondere ein Sänger und Gitarrist tut sich hervor und aus dessen Kleidern steigt Aschenbach starker Karbolgeruch entgegen. Das dreist-tolle Abschiedslied des Sängers klingt wie Hohn und Spott, Todes-Ahnungen verfolgen Aschenbach im Schlaf ("Sanduhr", 58).
Von einem Engländer erfährt er die Herkunft und die Ausmaße der Seuche ("indische Cholera ", 59), eine letzte Mahnung zur Abreise. Aschenbach weiß nun Bescheid, aber er warnt die polnischen Gäste nicht.
In diese Nacht hat er einen "furchtbaren Traum" (61/2) voller obszöner Symbolik und rauschhafter Grausamkeit: Dionysos, der "fremde Gott" hält Einzug in Aschenbachs Inneres. (vgl. Kapitel I, Aschenbachs Vision von "Morästen mit Schlamm und ... geilem Farrengewucher")
Aschenbach lässt sich verjüngen (Haar- und Gesichtsfarbe) und umkleiden. Er erleidet einen ersten Schwächeanfall (65).
Noch einmal - im "inneren Gewirr der kranken Stadt" den Geliebten verfolgend - erscheint ihm in „seltsamer Traumlogik“ Sokrates, wie er dem schönen Knaben Phaidros die Verkettung von Schönheit und Ausschweifung auseinanderlegt, der natürliche Hang des Künstlers zur Ausschweifung. (66).
Die Polen reisen ab.
Gustav von Aschenbach verscheidet, den Geliebten in entrückter Ferne vor Augen.

(cc) Klaus Dautel

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