Arthur Schnitzler: Traumnovelle (1926)

Traumnovelle  
AlbertineImpulse  
S. Freud und A. Schnitzler  
Vier Novellen  


Aus dem Bildarchiv der österreichischen Nationalbibliothek

Arthur Schnitzler

Geboren 1862 in Wien als Sohn eines Professors der Medizin. Er studierte ebenfalls Medizin, wurde Assistenzarzt im Allgemeinen Krankenhaus und der Polyklinik in Wien, eröffnete schließlich eine Privatpraxis.
Er gehörte zum "Jung-Wiener" Dichterkreis und schrieb zahlreiche Dramen und Prosa-Stücke (Novellen).
Einige davon erregten die Gemüter der Behörden und des Publikums, brachten Schnitzler ein "ehrenrätliches Verfahren" ("Leutnant Gustl" 1901) ein und führten zu Tumulten sowie einem vorübergehenden Aufführungsverbot ("Der Reigen" 1921).
Andere Werke wurden verfilmt, als Stummfilm ("Fräulein Else" 1929) und auch als Tonfilm ("Spiel im Morgengrauen" 1931).
Arthur Schnitzler starb 1931 in Wien.

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Arbeitsauftrag für Gruppen:
- Sammeln Sie in den zur Verfügung stehenden Nachschlagewerken Informationen zu folgenden Stichworten,
- tragen Sie die Ergebnisse in maximal drei Minuten vor
- und verfassen sie maximal drei zusammenfassende Sätze zum Diktieren oder fürs Protokoll:

  • Arthur Schnitzler: Lebensdaten
  • Die "Moderne": Begriffsbestimmung
  • Impressionismus: Merkmale einer Kunstrichtung (mit Bild-Beispielen)
  • Sigmund Freud: Lebensdaten
  • Psychoanalyse: Grundgedanken
  • Die Novelle: Form-Merkmale

Literatur und Kultur der Jahrhundertwende - ein Überblick:

  1. Die literarischen und kulturellen Strömungen in der Zeit um die Jahrhundertwende haben viele Namen: Naturalismus, Impressionismus, Symbolismus, Expressionismus, Ästhetizismus (die "Ismen"), fin de siecle, l'art pour l'art, Jugendstil; es ist die Zeit der "Ismen", der sich schnell ablösenden, nebeneinander existierenden oder gegenseitig Überwindenden Denk- und Stilrichtungen ...
    Gemeinsam ist wohl eines: Impressionismus, Symbolismus, Jugendstil, Expressionismus verstanden sich als Gegenströmung zum Naturalismus, dessen wissenschaftlich orientiertes Wirklichkeitsverständnis (->Positivismus) und die daraus abgeleitete Ästhetik abgelehnt wurde.
  2. Ein Begriff, der noch im ausgehenden Jahrhundert (Eugen Wolff 1888) hierfür geprägt wurde, ist "Die MODERNE", er bezeichnet den Wandel und die ständige Überwindung des Vergehenden durch Neues. Damit ist der Statik des Antiken und Klassischen die Dynamik der Veränderung und Ablösung programmatisch entgegensetzt.
  3. Die deutschsprachige Literatur und Kultur zur Zeit der Jahrhundertwende könnte folgendermaßen systematisiert und veranschaulicht werden:

Drei STÄDTE - drei ZENTREN

BERLIN                          WIEN                           PRAG
----------------------|-------------------------------|----------------
Epochenbegriffe
NATURALISMUS      <=====>    IMPRESSIONISMUS
 G.Hauptmann                 H.v.Hoffmannsthal            F.Kafka (1883-19):
   Vor Sonnenaufgang (1889)  Arthur Schnitzler:          Der Prozeß (1911/12)
   Die Weber(1892)           Novellen (und Dramen)       Die Verwandlung (1915)
   Die Ratten (1911)         Leutnant Gustl (1900)       Das Schloß (1922)
   - Berliner Tragikomödie    Fräulein Else (1924)
                             Traumnovelle (1926)

Thematik:                                                 "Entfremdung":
Darstellung von sozialer Not     Verunsicherung            Fremdheit des
Determiniertheit des Menschen    des Menschen              Menschen in
durch Vererbung und Milieu       durch den Verlust         seiner eigenen
  /\                             gesicherter Wahrheiten    Lebenswelt  
  ||                             (Ernst Mach: 
  \/                              Dinge=Empfindungen)

Gegenströmungen:  
EXPRESSIONISMUS (1910-20)        Das Unbewusste:
Literatur als Bürgerschreck      Entdeckung der
                                 Triebe als 
DADA                             handlungsbestimmende
Radikale Abkehr von allem,         Kräfte
was bisher als schön, wahr
und sinnvoll galt: 
Anti-Kunst und Un-Sinn

Sigmund Freud an Arthur Schnitzler (14. Mai 1922)

    Verehrter Herr Doktor

    Nun sind auch Sie beim 60sten Jahrestag angekommen, während ich, um 6 Jahre älter, der Lebensgrenze nahegerückt bin und erwarten darf, bald das Ende vom fünften Akt dieser ziemlich unverständlichen und nicht immer amüsanten Komödie zu sehen....

    Ich will Ihnen ... ein Geständnis ablegen, welches Sie gütigst aus Rücksicht für mich für sich behalten und mit keinem Freunde oder Fremden teilen wollen. Ich habe mich mit der Frage gequält, warum ich eigentlich in all diesen Jahren nie den Versuch gemacht habe, Ihren Verkehr aufzusuchen und ein Gespräch mit Ihnen zu führen (wobei natürlich nicht in Betracht gezogen wird, ob Sie selbst eine solche Annäherung von mir gerne gesehen hätten).

    Die Antwort auf diese Frage enthält das mir zu intim erscheinende Geständnis. Ich meine, ich habe Sie gemieden aus einer Art von Doppelgängerscheu. Nicht etwa, daß ich sonst leicht geneigt wäre, mich mit einem anderen zu identifizieren oder daß ich mich über die Differenz der Begabung hinwegsetzen wollte, die mich von Ihnen trennt, sondern ich habe immer wieder, wenn ich mich in Ihre schönen Schöpfungen vertiefe, hinter deren poetischem Schein die nämlichen Voraussetzungen, Interessen und Ergebnisse zu finden geglaubt, die mir als die eigenen bekannt waren. Ihr Determinismus wie Ihre Skepsis - was die Leute Pessimismus heißen -, Ihr Ergriffensein von den Wahrheiten des Unbewußten, von der Triebnatur des Menschen, Ihre Zersetzung der kulturell-konventionellen Sicherheiten, das Haften Ihrer Gedanken an der Polarität von Lieben und Sterben, das alles berührte mich mit einer unheimlichen Vertrautheit. (In einer kleinen Schrift vom J. 1920, "Jenseits des Lustprinzips", habe ich versucht, den Eros und den Todestrieb als die Urkräfte aufzuzeigen, deren Gegenspiel alle Rätsel des Lebens beherrscht.) So habe ich den Eindruck gewonnen, daß Sie durch Intuition - eigentlich aber in Folge feiner Selbstwahrnehmung - alles das wissen, was ich in mühseliger Arbeit an anderen Menschen aufgedeckt habe. Ja ich glaube, im Grunde Ihres Wesens sind sie ein psychologischer Tiefenforscher, so ehrlich unparteiisch und unerschrocken wie nur je einer war, und wenn Sie das nicht wären, hätten Ihre künstlerischen Fähigkeiten, Ihre Sprachkunst und Gestaltungskraft, freies Spiel gehabt und Sie zu einem Dichter weit mehr nach dem Wunsch der Menge gemacht...

    In herzlicher Ergebenheit
    Ihr Freud"

    (Sigmund Freud, "Briefe" 1873-1939, ed. Ernst L.Freud, Frankfurt 1960, S. 249f)

Sigmund Freud (1856-1939): Über den Traum (1901)

Ausgangspunkt: Im Gegensatz zu den antiken und religiösen Traumdeutungen, die im Traum die Erscheinung oder Stimme einer höheren Macht sahen (z.B. in der Bibel), geht die moderne Psychologie davon aus, dass der Traum "die eigene psychische Leistung des Träumers ist". (Kapitel I)

Am Beispiel eines eigenen aktuellen Traumes demonstriert Freud die Arbeit des Assoziierens und dadurch Zurückführens von Traumgeschichten auf die dahinter liegenden Anstöße und Erfahrungen.
Hierbei wird deutlich, dass ein Unterschied zu machen ist, zwischen dem erinnerten Traum und dem zugrundliegenden Traummaterial. Freud unterscheidet zwischen

"manifest"
(erinnerte Trauminhalte)
und"latent"
(durch die Analyse zu Tage geförderte Trauminhalte)
    Zwei Fragen ergeben sich daraus:
  • Welche psychischen Vorgänge finden statt, damit der latente Traumgedanke zum manifesten Trauminhalt wird (WIE?)
  • Aus welchen Motiven findet diese Veränderung statt? (WARUM?)

Drei Arten von Träumen werden zunächst unterschieden:

  • die eindeutigen (meist infantilen),
  • die befremdlichen und
  • die verworrenen (inkohärenten), welche eigentlich der Deutung bedürfen, den Menschen am ehesten irritieren und für die Psychoanalyse am bedeutendsten sind.

Dann werden die psychischen Vorgänge der Veränderung von latent zu manifest ("Traumarbeit") beschrieben :

  • VERDICHTUNG: Ein einzelnes Element des manifesten Traumes bildet oft mehrere Elemente von latgenten Traumgedanken ab (z.B. in Mischpersonen)
  • VERSCHIEBUNG: ein Element eines Sachverhaltes wird durch ein anderes, meist "neutrales", ersetzt (d.h. Umwertung der psychischen Wertigkeit vom brisanten Traumgedanken zum Belanglosen)
  • ANSCHAULICHKEIT (Reorganisation des Traummaterials zu anschaulichen Geschichten)
  • und schließlich die KOMPOSITION der Geschichten nach den Prinzipien der Kausalität

Warum nun diese Traumarbeit?

  • Zur Verdrängung unangenehmerGedanken (VIII)
  • Zur Wunscherfüllung: Der Traum als verhüllte Erfüllung eines verdrängten Wunsches (IX), Angst entsteht dann, wenn der Wunsch nur ungenügend verhüllt, also die Traumarbeit unvollendet geblieben ist.
  • Der Traum als Hüter des Schlafes (XI): Das ICH setzt Bedürfnissen und Ansprüchen aus dem Unbewussten, die sonst zum Erwachen führen würden, eine harmlose Wunscherfüllung entgegen.

In einem 1911 hinzugefügten Kapitel XII erläutert Freud seine Ansicht, dass die meisten Erwachsenen-Träume latent erotischen Inhaltes seien und dass es im Traummaterial wiederkehrende Symbole gebe, die quasi katalogisiert werden und als Deutungshilfen eingesetzt werden könnten.

"Wer an dem Gesichtspunkte der Zensur als dem Hauptmotiv der Traumentstellung festhält, der wird nicht befremdet sein, aus den Ergebnissen der Traumdeutung zu erfahren, daß die meisten Träume der Erwachsenen durch die Analyse auf erotische Wünsche zurückgeführt werden. Diese Behauptung zielt nicht auf die Träume von unverhüllt sexuellem Inhalt, die wohl allen Träumern aus eigenem Erleben bekannt sind und gewöhnlich allein als "sexuelle Träume" beschrieben werden. Solche Träume bieten noch immer des Befremdenden genug durch die Auswahl der Personen, die sie zu Sexualobjekten machen, durch die Wegräumung aller Schranken, an denen der Träumer im wachen Leben seine geschlechtlichten Bedürfnisse haltmachen läßt, durch viele sonderbare an das sogenannte Perverse mahnende Einzelheiten. Die Analyse zeigt aber, daß sehr viele andere Träume , die in ihrem manifesten Inhalt nichts Erotisches erkennen lassen, durch die Deutungsarbeit als sexuelle Wunscherfüllungen entlarvt werden und daß andererseits sehr viele von der Denkarbeit des Wachens als "Tagesreste" erübrigte Gedanken zu ihrer Darstellung im Traum nur durch die Zuhilfenahme verdrängter erotischer Wünsche gelangen.

Zur Aufklärung dieses theoretisch nicht postulierten Sachverhaltes sei darauf hingewiesen, daß keine andere Gruppe von Trieben eine so weitgehende Unterdrückung durch die Anforderung der Erziehung zur Kultur erfahren hat wie gerade die sexuellen, daß aber auch die sexuellen Triebe sich bei den meisten Menschen der Beherrschung durch die höchsten Seeleninstanzen am ehesten zu entziehen verstehen. Seitdem wir die in ihren Äußerungen oft so unscheinbare, regelmäßig übersehene und mißverstandene infantilen Sexualität kennengelernt haben, sind wir berechtigt zu sagen, daß fast jeder Kulturmensch die infantile Gestaltung des Sexuallebens in irgendeinem Punkte festgehalten hat, und begreifen so, daß die verdrängten infantilen Sexualwünsche die häufigsten und stärksten Triebkräfte für die Bildung der Träume ergeben.

Wenn es dem Traume, welcher erotische Wünsche zum Ausdrucke bringt, gelingen kann, in seinem manifesten Inhalt harmlos asexuell zu erscheinen, so kann dies nur auf eine Weise möglich sein. Das Material von sexuellen Vorstellungen darf nicht als solches dargestellt werden, sondern muß im Trauminhalt durch Andeutungen, Anspielungen und ähnliche Arten der indirekten Darstellung ersetzt werden, aber zum Unterschied von anderen Fällen indirekter Darstellung muß die im Traum verwendete der unmittelbaren Verständlichkeit entzogen sein. Man hat sich gewöhnt, die Darstellungsmittel, welche diesen Bedingungen entsprechen, als Symbol des durch sie Dargestellten zu bezeichnen. Ein besonderes Interesse hat sich ihnen zugewendet, seitdem man bemerkt hat, daß die Träumer derselben Sprache sich der nämlichen Symbole bedienen, ja, daß in einzelnen Fällen die Symbolgemeinschaft über die Sprachgemeinschaft hinausreicht. (...) Mit Hilfe einer Kenntnis der Traumsymbolik ist es möglich, den Sinn einzelner Elemente des Trauminhaltes, oder einzelner Stücke des Traumes, oder mitunter selbst ganzer Träume zu verstehen, ohne den Träumer nach seinen Einfällen befragen zu müssen. Wir nähern uns so dem populären Ideal einer Traumübersetzung und greifen andererseits auf die Deutungstechnik der alten Völker zurück, denen Traumdeutung mit Deutung durch Symbolik identisch war."

(cc) Klaus Dautel

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