FAUST

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Anmerkungen zu Fausts Wette: Was will Faust?

Was Faust antreibt, ist nicht der Wissensdrang des Gelehrten! Von dem ist er geheilt. Faust macht dies in der Wette - d.h. in seiner Version des Paktes mit Mephistopheles - mehrfach klar.

Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst genießen. (V. 1768 ff)

Dazu hat eine doppelte Enttäuschung beigetragen: Die Magie des Nostradamus erscheint ihm als fauler Zauber („Aber ach! ein Schauspiel nur!“ V.454), die Konfrontation mit den Erdgeist, dem er sich ebenbürtig wähnte, zeigt ihm die Grenzen seiner Fähigkeiten auf.

Faust und Erdgeist, Illustration von Goethe

An die Stelle von „Denken“ und „Wissen“ tritt nun „Sinnlichkeit“ und „Leidenschaft“:

Der große Geist hat mich verschmäht,
Vor mir verschließt sich die Natur
Des Denkens Faden ist zerrissen
Mir ekelt lange vor allem Wissen.
Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
Uns glühende Leidenschaften stillen! (V. 1746 ff)

Dass Faust die akademische Buch-Gelehrtheit fremd geworden ist, machen schon seine ersten Sätze deutlich („Habe nun, ach! ...“ V. 353 ff); die Beflissenheit seines Famulus Wagner („im Schlafrock und der Nachtmütze“) mit seinem blut- und erfahrungsleeren Studierwissen („in sein Museum gebannt“, V. 530 ff) ödet ihn an und zu guter Letzt werden stellvertretend durch Mephistopheles - verkleidet als Faust - im Gespräch mit dem Schüler die akademischen Fakultäten der Reihe nach als inhaltsleere und weltferne Geschäftigkeit bloß-gestellt („Grau, teurer Freund, ist alle Theorie“, V. 2038).

Faust will mehr, er will Lebensintensität!

„Doch hast du Speise, die nicht sättigt, hast
Du rotes Gold, das ohne Rast,
Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,
Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt,
Ein Mädchen, das an meiner Brust
Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet“ (V. 1678 ff)

Faust strebt einen alternativen, einen exstatischen Lebensentwurf an:

„Du hörest ja, von Freud' ist nicht die Rede.
Dem Taumel weih ich mich, dem schmerzlichsten Genuß,
Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.“ (V. 1765 ff)

Die Triade der Paradoxien lässt das Reich der Logik und mäßigenden Vernunft hinter sich, beides gehört der Vergangenheit und Fausts vorigem Leben an. Die Philosophie seit der Antike predigte das Ideal der Mäßigung und Mitte, das hat sich jetzt überlebt. Für das neue Lebensideal gibt es noch keine festen Begriffe, nur eine heftige Bewegung zum Noch-nie-Dagewesenen, zur Überschreitung von Grenzen.

Faust entwirft sich als Libertin! Der Begriff leitet sich von 'libertinus' herleitet, dem freigelassenen, aus seinen Banden befreiten Sklaven. Im weiteren Sinne bezeichnet dies die Befreiung aus gesellschaftlicher Norm und Moral. Der Libertin der Sitten ist laut Wikipedia eine in der Regel männliche Person, die sich nicht an traditionelle moralische und insbesondere sexuelle Normen gebunden fühlt und einen ausschweifenden Lebenswandel führt “ (https://de.wikipedia.org/wiki/Libertin).

Fausts Fluch-Kaskade endet so:

„Fluch sei dem Balsamsaft der Trauben!
Fluch jener höchsten Liebeshuld!
Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
Und Fluch vor allen der Geduld!“ (V. 1603)

Teufelspakt Faust-Mephisto, Julius Nisle

Glaube, Liebe, Hoffnung und Duldsamkeit ... die Säulen der christlichen Moral, frontaler kann am bestehenden sittlichen Gebäude nicht gerüttelt werden. Faust ist reif für den Teufel, Mephistos Angebot zu einem „ neuen Lebenslauf“ folgt prompt und ist bekannt: Ein Pakt . Dieser lautet: Ich verschaffe Dir Lebensgenuss und danach gehörst Du mir, als Belohnung. Dem stellt Faust seine Wette gegenüber: Wenn mein Drang nach gesteigerter Lebensintensität nachlässt, dann hast Du gewonnen!

Ein Pakt ist ein Vertrag mit Regeln, eine Wette ist ein Vereinbarung über die Umstände von Sieg oder Niederlage. Faust geht es nicht um vertragliche Vereinbarungen, sondern um das Austesten der Empfindungsfähigkeit des Individuums, bis hin zum notwendigen Scheitern an diesem überdehnten Selbstgefühl.

„Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
Und, wie sie selbst, am End auch ich zerscheitern.“ (V. 1770 ff)

Faust, dem Libertin, muss das Leben der Anderen darum umso spießiger erscheinen: Wagners Buchgelehrtheit, die Saufgelage der Nachwuchs-Akademiker in Auerbachs Keller, die Bewohner von Gretchens 'kleiner Welt', die Nachbarin Marte, Gretchens Freundinnen am Brunnen, die braven Bürger auf Osterspaziergang - diese ganze kleine Welt ist spießig und eng, zu eng für Fausts neuen Lebensentwurf. Die Welt des Libertin ist bevölkert von Kleinbürgern und Spießern oder - wie es im 19. Jahrhundert hieß - von Philistern .

Dieser Lebensentwurf entwertet die Welt und die Menschen um ihn herum, macht sie zum Objekt eines verantwortungslosen Selbstbefriedigungsspiels, zum Instrument und zum Opfer: Gretchen, Valentin, die Mutter. Das geht nicht ohne Selbsttäuschung und Selbstbeschädigung, denn man instrumentalisiert einen Teufel nicht ohne Folgen und man schwängert auch ein tugendhaftes Bürgermädchen nicht ohne Konsequenzen. Der Preis des gesteigerten Lebensgefühls ist Selbstüberschätzung und eine moralische Schuldenlast.

Gretchen, Margarete, hingegen geht zwar unter, dies aber mit einer Größe und Konsequenz, die dem Verführer seine Ohnmacht offenbart. Gretchen, nicht Mephisto, ist die wahre Gegenfigur, ihre Situation, ihr Konflikt, ihr Schicksal ist wahrhaft tragisch, Fausts irrlichternde Selbstbezogenheit dagegen eher komisch. Er verdient kein Mitleid am Ende des Dramas, Gretchen aber Mitgefühl und Respekt. Margaretes letzten Worten ist zuzustimmen und könnte auch für den zweiten Teil der Tragödie gelten: „Heinrich! Mir graut’s vor dir.“ (V. 4610)

 

  

(cc) Klaus Dautel


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