Ö.v.Horváth

Volksstück, Kleinbürgertum und Bildungsjargon

Erkenne dich selbst!

Volksstück - alt
"Das Volksstück ist für gewöhnlich krudes und anspruchsloses Theater (...) Da gibt es derbe Späße, gemischt mit Rührseligkeiten, da ist hanebüchene Moral und billige Sexualität. Die Bösen werden bestraft, und die Guten werden geheiratet, die Fleißigen machen eine Erbschaft, und die Faulen haben das Nachsehen. Die Technik der Stückeschreiber ist ziemlich international (...) Um in den Stücken zu spielen, muß man nur unnatürlich sprechen können und sich auf der Bühne in schlichter Eitelkeit benehmen." (B.Brecht: Anmerkungen zum Volksstück, in Schriften zum Theater 4, Suhrkamp 1963 S. 140)

Volksstück - neu
"Unterdessen sind dem Volksstück neue Kräfte zugewachsen (...) Das Volksstück schlägt um ins Antivolksstück.(...) Die alten Volksstückfiguren, der saftige Prachtkerl, die mannstolle Tochter, die heuchlerischen Honorationen lassen wie im Angsttraum sich wiedererkennen. (...) Die neue Geborgenheit, die da vorgestellt wird, explodiert und offenbart sich als Kleinhölle. Die heile Welt, von der die Ideologie faselt, mit dem schmiedeeisernen Aushängeschild vom Weißen Lamm und dem Giebeldach aus Märchenillustrationen, ist die des vollendeten Unheils, die Volksgemeinschaft der Kampf aller gegen alle." (T.W.Adorno: Reflexion über das Volksstück, Gesammelte Schriften 11, Suhrkamp 1974 S. 693)

Ö.v.HORVATH : Gebrauchsanweisung (1932)

„Nun besteht aber Deutschland wie alle übrigen europäischen Staaten zu neunzig Prozent aus vollendeten oder verhinderten Kleinbürger (...) Will ich also das Volk schildern, darf ich natürlich nicht nur die zehn Prozent schildern, sondern als treuer Chronist meiner Zeit, die große Masse. Das ganze Deutschland muß es sein!

Es hat sich nun durch das Kleinbürgertum eine Zersetzung der eigentlichen Dialekte gebildet, nämlich durch den Bildungsjargon. Um einen heutigen Menschen realistisch schildern zu können, muß ich also den Bildungsjargon sprechen lassen. Der Bildungsjargon (und seine Ursachen) fordert aber natürlich zur Kritik heraus -- und so entsteht der Dialog des neuen Volksstücks, und damit der Mensch und damit erst die dramatische Handlung -- eine Synthese aus Ernst und Ironie.
Mit vollem Bewußtsein zerstöre ich nun das alte Volksstück, formal und ethisch -- und versuche die neue Form des Volksstücks zu finden. Dabei lehne ich mich mehr an die Tradition der Volkssänger und Volkskomiker an, denn an die Autoren der klassischen Volksstücke. Und nun kommen wir bereits zu dem Kapitel Regie. (...)

Dialekt. Es darf kein Wort Dialekt gesprochen werden! Jedes Wort muß hochdeutsch gesprochen werden, allerdings so, wie jemand, der sonst nur Dialekt spricht und sich nun zwingt, hochdeutsch zu reden (...)
Bitte achten Sie genau auf die Pausen im Dialog, die ich mit 'Stille' bezeichne -- hier kämpft das Bewußtsein oder Unterbewußtsein miteinander, und das muß sichtbar werden. (...)
Alle meine Stücke sind Tragödien -- sie werden nur komisch, weil sie unheimlich sind. Das Unheimliche muß da sein.”
(Ö.v.Horvath, Sportmärchen, Gesammelte Werke 11, Suhrkamp 1988, S. 219 f)

Ö.v.Horvath: Randbemerkungen zu 'Glaube, Liebe, Hoffnung' 1932

„Wie in allen meinen Stücken versuchte ich auch diesmal, möglichst rücksichtslos gegen Dummheit und Lüge zu sein, denn diese Rücksichtslosigkeit dürfte wohl die vornehmste Aufgabe eines schöngeistigen Schriftstellers darstellen, der es sich manchmal einbildet, nur deshalb zu schreiben, damit die Leut sich selbst erkennen. Erkenne dich bitte selbst! Auf daß du dir jene Heiterkeit erwirbst, die dir deinen Lebens- und Todeskampf erleichtert, indem dich nämlich die liebe Ehrlichkeit gewiß nicht über dich (denn das wäre Einbildung), doch neben und unter dich stellt, so daß du dich immerhin nicht von droben, aber von vorne, hinten, seitwärts und von drunten betrachten kannst! --”

Artur Schopenhauer

Der Philister ist „... ein Mensch ohne geistige Bedürfnisse (...) Kein Drang nach Erkenntnis und Einsicht, um ihrer selbst willen, belebt sein Dasein, auch keiner nach eigentlich asthetischen Genüssen ... Wirkliche Genusse sind für ihn allein die sinnlichen: durch diese hält er sich schadlos. Demnach sind Austern und Champagner der Höhepunkt seines Daseins, und sich alles, was zum leiblichen Wohlsein beiträgt, zu verschaffen, ist der Zweck seines Lebens ... Und doch reicht dies alles gegen die Langeweile nicht aus ... Daher ist dem Philister ein dumpfer, trockener Ernst ... charakteristisch. Nichts freut ihn, nichts erregt ihn, nichts gewinnt ihm Anteil ab ...
Zweitens folgt, in Hinsicht auf andere, dass, da er keine geistige, sondern nur physische Bedürfnisse hat, er den suchen wird, der diese ... zu befriedigen imstande ist. (Geistige Anforderungen werden) wenn sie ihm aufstoßen, seinen Widerwillen, ja, seinen Hass erregen; weil er dabei nur ein lästiges Gefühl von Inferiorität und dazu einen dumpfen, heimlichen Neid verspürt ...”
(Arthur Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit, Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1974, S.43 ff)

 

Ohne etwas Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.
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