Das Hüttendorf

5.1 Verzeichniss der Hütten
5.2 Die BI-Hütte
5.3 Verpflegung des Hüttendorfes
5.4 Räumung des Hüttendorfes
5.5 Nacktensamstag
5.6 Volksbegehren/Volksentscheid

Räumung des Hüttendorfes

 
 

Am Montag den 2. November 1981 kamen mehrere Hundertschaften der Polizei und räumten das Hüttendorf bis zum Mittag, wobei "wegfegen" oder "wegschlagen" vielleicht bessere Wörter für die damalige Situation wären.

Auch das neu entstandene Hüttendorf wurde von der Polizei geräumt, und die Besetzer wurden immer weiter in den Wald gedrängt. Viele sagen, dass die Räumung des Hüttendorfes ein Racheakt der Regierung für den eine Woche zuvor ermordeten hessischen Wirtschaftsminister gewesen sei. Heinz Herbert Karry, einer der entschiedensten und entscheidenden Befürworter einer ungehemmten Flughafenerweiterung, war an dem Montag zuvor in seinem Bett erschossen worden. Im Radio war von einer sofort eingeleiteten Großfahndung die Rede, nach Gerüchten hatte der Karlsruher Gerichtshof angeordnet alle Dorfbewohner sofort zu verhaften, aber der entscheidende Befehl wurde nicht gegeben. Und das Dorf war genauso friedlich wie jeden Montag. Es gab zu dieser Zeit zwar den Witz, dass es in Mörfelden mehr Anhänger der RAF, als der SPD gäbe, glauben tat ihn aber eigentlich keiner. Und trotzdem hiess es, dass die Startbahngegner Anhänger dieser Terrorgruppe seien.

In der Zeit vor der Räumung des Hüttendorfes wurde gegen die Dauerbesetzer eine psychologische Kriegsführung gestartet. Den ersten Schuss ins Blaue feuerte die Presse ab. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete in ihrer Dienstagsausgabe von einer Freudenfeier im Dorf über die Ermordung von Karry. Diese Falschmeldung wurde von anderen Zeitungen und von Funk und Fernsehen aufgegriffen. Doch später wurde von zwei LKA-Beamten, die von ihrer Dienststelle am Montag ausgeschickt worden waren, erklärt, dass sie das Dorf nicht freudig erregt sondern eher verschlafen vorgefunden hätten.

Während in der folgenden Woche im Dorf stündlich mit einer Razzia gerechnet wurde, kam es auf dem Damm der geplanten B 8 zu tagelangen Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Zuschauer, die dabei fotografierten, wurden mit an die Brust gedrückter Pistole gezwungen, ihre Filme herauszugeben. Die Leute kamen betroffen, verbittert und erregt vom Schauplatz einer brutalen Zerstörungslust in das Hüttendorf zurück.

Am Wochenende verdichteten sich die Anzeichen, dass mit einem Polizeiüberfall zu rechnen sei. Man wusste nur nicht genau, ob Montag oder Dienstag. Doch Alarm auslösen wollte die "KO" (Koordinierungsgruppe der Bewegung) noch nicht. Es wurde nur beschlossen, dass die Dauerbesetzer auf jeden Fall gewappnet sein sollten, während die BI`ler drei Nächte lang an sämtlichen Verkehrsknotenpunkten und vor den Kasernen der Bereitschaftspolizei Ausschau nach "Truppenbewegungen" hielten. Auch ein gemeinsames Treffen von Dauerbesetzern und BI-Alarmbeauftragten im Dorf fand statt.

Dann ging es los mit den Vorbereitungen gegen die Räumung. Die Funkgruppe wurde neu gebildet und ein Zeitplan erstellt, damit der Funkturm immer besetzt sein könne. Ein Sender wurde eingerichtet. Radio "Luftikus", wie diese Station genannt wurde, sollte mit dem Beginn der Räumung oder der Untertunnelung ein Programm ausstrahlen. Auf UKW 101-104 MHz soll die Bevölkerung der weiteren Umgebung mindestens jede volle Stunde informiert und agitiert werden. Bei einer Probesendung konnte "Radio Luftikus" sogar bis in den Taunus empfangen werden.

Es wurden auch zwei Sägegruppen gebildet, die den in den Wald einfallenden Die Polizei vor ihrem EinsatzPolizeihundertschaften und ihren Fahrzeugen Baumstämme über den Weg vor die Füße und Räder legen, während eine andere Gruppe dazu geeignete Bäume im Wald aussuchte. Sie sollten in dem Augenblick in Aktion treten, wenn die Außenposten das Herannahen eines großen Polizeiaufgebotes melden würden. Dann sollten einige der großen Bäume links und rechts der Schneise mit Hilfe von Motorsägen als Barrikaden über den Weg gelegt werden. Sie sollten die Polizei mit den Räumungsfahrzeugen so lange aufhalten, bis Verstärkung gekommen war.

In der folgenden Nacht konnte keiner der Einwohner des Hüttendorfes ruhig schlafen. Am nächsten Morgen war es dann soweit. Die Alarmkette wurde ausgelöst und 20.000 Startbahngegner Die Polizei bei ihrem brutalen Einsatzwurden mobilisiert. Auch Radio Luftikus fing an zu senden. Durch das Läuten der Kirchenglocken in den Nachbardörfern wurde das Hüttendorf in Alarmbereitschaft versetzt. Die Polizei räumte erst die Barrikaden, die die Dorfbewohner in den letzten Wochen errichtet hatten, mit Räumfahrzeugen weg, um dann mit einigen Hundertschaften das Dorf, das zu diesem Zeitpunkt schon verloren war, "wegzublasen", wie der damalige Innenminister von Hessen nach der ersten Räumung schon angekündigt hatte. Mit Cn-Gas (Tränengas), Blend-Schock-Wurfkörpern, Wasserwerfern, Gewehren Nach der Schlacht: Lazarett im Freienund Schlagstöcken gingen sie gegen die Demonstrierer vor, die bis zum letzten Augenblick Gewaltfreiheit zu praktizieren versuchten. Die Helfer vom Deutschen Roten Kreuz, die durch die Radiomeldungen animiert angerückt waren, wurden wie alle anderen einfach niedergeknüppelt, so dass die Verletzten erst recht nicht ausreichend versorgt werden konnten. Es wurde auch kein Unterschied zwischen Alter und Geschlecht gemacht.

Von der Polizei wurde ihr brutales Vorgehen an diesem Montag im Wald teilweise einfach geleugnet. Es wurde zum Beispiel behauptet, dass die letzten, die sich noch im Hüttendorf befanden, angefangen hätten mit Steinen auf die Polizisten zu werfen, dabei war es laut Augenzeugenberichten genau umgekehrt: Die, die an diesem Tag im Hüttendorf waren und mit eigenen Augen gesehen haben, was wirklich dort los war, wissen es besser.

Die Bilanz dieses Tages: 76 Schwerverletzte mit inneren Verletzungen, mehrere Hundert Verletzte mit Knochenbrüchen und Unzählige mit Blutergüssen und leichten Gehirnerschütterungen.

So endete eines der wesentlichen Kapitel in der Startbahn-18-West Protestbewegung.

 

   

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