1. Bild: Lob der neuen Zeit
Galileo Galilei, Lehrer der Mathematik zu Padua, will das neue Kopernikanische Weltsystem beweisen (1609)
In seiner ärmlichen Studierstube erteilt Galilei, 46 Jahre alt, während er geräuschvoll seine Morgentoilette vollführt, dem jungen, wissbegierigen Andrea Sarti eine Lehrstunde in Astronomie. Zunächst erklärt er ihm das Ptolemäische Modell mit der Erde im Zentrum und den acht Kristallschalen. Der Zuschauer erhält auf diese Weise sowohl eine Lehrstunde in Astronomie-Geschichte als auch einen Einblick in die wissenschaftliche Arbeitsweise Galileis: Erst die "Beschreibung", dann folgt - wenn auch aus kindlichem Munde - die Bewertung:
"Das ist schön. Aber wir sind so eingekapselt."
Diese scheinbar einfache Beobachtung trifft ins Zentrum des alten Weltbildes: Dieses folgt ästhetischen Gesichtspunkten, nämlich denen der vollendeten Form. Daraus werden dann in Bild 4 die aristotelischen Philosophen die Rechtfertigung für das alte Weltbild ableiten.
Galilei stimmt Andreas Urteil zu und nimmt diese zum Anlass den Anbruch der neuen Zeit zu verkünden, auf welche die Menschen "seit hundert Jahren" warten. Sie wird die Menschen aus der Enge dieses Weltbildes befreien, dann wird bezweifelt werden, "was nie bezweifelt wurde", die Gestirne werden losgebunden von ihren Kristallschalen "im Freien schweben" und jeder Mensch wird sich selbst "als Mittelpunkt" in einem geräumigen Universum sehen können.
Die Lehrstunde wird fortgesetzt und Galilei bringt Andrea sehr anschaulich - gleichsam am eigenen Leibe - bei, dass die Erde sich um die stillstehende Sonne dreht. Andrea begreift Galileis Demonstration spontan und intuitiv, weil er keiner Denk-Tradition verpflichtet ist, sondern nur seinem Lehrer Galilei und seinem eigenen gesunden Menschenverstand.
Jedoch, Galileis Finanzen sind schlecht, seine geistigen und leiblichen Bedürfnisse übersteigen seine Einkünfte, der Milchmann kann nicht bezahlt werden. Zur Verbesserung seiner materiellen Lage sieht Galilei sich daher gezwungen, reiche, aber unbegabte Schüler anzunehmen, wie z.B. den jetzt erscheinenden jungen Adligen Ludivico, der sich - auf Geheiß seiner Mutter - etwas mit Mathematik beschäftigen will, schließlich gehört dies neuerdings zum guten Ton in den besseren Kreisen. Ludovico - ein schon in jungen Jahren weitgereister Mann - berichtet Galilei von einer neuen Erfindung aus Holland: Einem "komischen Rohr" in einer Hülse mit zwei Linsen, welches alles größer erscheinen lasse. Galilei, sofort sehr aufmerksam, lässt sich die Konstruktion beschreiben.
Da erscheint Kurator Priuli, der Vermögensverwalter der Universität Padua. Galilei pumpt ihn sofort und ungeniert um Geld an, womit er dann Andrea zum Brillenmacher schickt um Linsen zu besorgen. Der Kurator teilt Galilei mit, dass die Universität ihm die gewünschte Gehaltserhöhung von 500 Skudi (jährlich) nicht genehmigt habe: "Mathematik ist eine brotlose Kunst ... nicht so nötig wie die Philosophie, noch so nützlich wie die Theologie" (16), Galilei hingegen will seine ganze Zeit nicht nur mit unterrichten verbringen, er braucht Muße zum Forschen, denn: "Ich bin dumm. Ich verstehe rein gar nichts." (17) Dem setzt der Kurator entgegen, dass die Universität Padua zwar schlecht bezahle, dafür aber unter keiner kirchlichen Aufsicht stehe, so wie an manchen anderen Universitäten Italiens, wo "jeder beliebige, ungebildete Mönch der Inquisition Ihre Gedanken einfach verbieten kann." (18) Die Universität Padua hingegen schätzt ihren Mathematiker und lässt ihn frei arbeiten. Und wenn dabei auch noch eine Erfindung herauskommt, die nützliche ist und sich gut verkaufen lässt, so wird sich das auch für ihn auszahlen. Galilei: "Ich verstehe: freier Handel, freie Forschung. Freier Handel mit der Forschung, wie?"(18) Er stellt eine solche Erfindung in Aussicht, was den Kurator zufrieden von dannen eilen lässt.
Andrea kehrt mit den geforderten Linsen zurück und während Galilei an der Konstruktion eines Fernrohres arbeitet, mahnt er seinen jungen Schüler zu Vorsicht und Verschwiegenheit, denn bislang sei alles nur eine unbewiesene "Hypothese", die "Fakten" fehlten noch.
- Themen:
- Die neue Zeit
- Die Freiheit der Forschung und das liebe Geld
- Der Mensch Galilei: Forscher und Genießer
- Motive:
- Wer bezahlt den Milchmann? Genuss und Lebenslust des Galilei
- Aufbruch zu "neuen Küsten": Die Seefahrt als Leitmotiv
- Das Sehen und der Augenschein: "Glotzen ist nicht sehen ... Schau genau hin." (S.11)
- Die Bedeutung des Zweifels (-> Gedicht: "Lob des Zweifels")
- Arbeitsaufträge nach Beendigung der gemeinsamen Lektüre von Bild 1:
- Unterrichtsgespräch: Die erste Szene als Exposition:
Was ist die Aufgabe einer Exposition?
Was alles erfährt (=lernt) der Zuschauer bereits in dieser Szene?Bild 1 als Exposition - ORT:
- Republik Padua, an deren Universität Galileo Galilei Mathematik lehrt.
- PERSONEN:
- Galilei, 46, Frau Sarti, Galileis Haushälterin und deren junger Sohn, Andrea;
- Ludovico, ein junge Adliger; Priuli, der Kurator der Universität Padua
- THEMATIK:
- Das alte Weltbild des Ptolemäus und das neue des Kopernikus
- Euphorie einer anbrechenden neuen Zeit
- Die Lage der Wissenschaft in Venedig und in Florenz
- KONFLIKTPOTENZIALE für die weitere Handlung:
- Warum ist die Wahrheit gefährlich?
- Freie Forschung oder gute Bezahlung?
- FRAGEN, die sich dem Zuschauer stellen:
- Was geschieht mit dem Fernrohr?
- Wo kommt in Zukunft das Geld her?
- Wird Andrea Physiker?
- Was wird aus Ludovicos Unterricht?
- Woher kommen die "Fakten" zur Stützung der "Hypothesen"?
- Lesen Sie das Gespräch Galileis mit dem Kurator noch einmal durch und unterstreichen Sie (am besten mit zwei Farben), was darin über die Lage der Wissenschaftler in der Republik Venedig und am Hof von Florenz verhandelt wird.
Zusammenfassender Tafelanschrieb Zur Lage der Wissenschaft: Bewusstsein der Zeitenwende! VENEDIG FLORENZ freie Handelsstadt Feudalstaat (Bürgerschaft) (Aristokratie und Kirche) || || freie Wissenschaft Abhängigkeit von der Kirche || || Wisenschaft muss der Wissenschaft zum Ruhme der Beförderung von Handel höfischen Macht und Handwerk dienen || || \/ \/ Wissenschaft als Geschäft als Prestige-Objekt (Verwertbarkeit) Fazit: Wissenschaft frei, Wissenschaft der herrschenden aber materielle Ab- Ideologie unterworfen, aber hängigkeit des Forschers materielle Großzügigkeit
- Galileis Erscheinungsbild (in der Gruppe zu erarbeiten):
Wie haben wir uns Galilei nach der Lektüre des ersten Bildes vorzustellen? Greifen Sie eine Textstelle heraus, stellen Sie sich darin Galilei vor und liefern Sie eine Beschreibung seiner Person: Kopf, Körperbau und -haltung, Kleidung, Sprechweise.
Probieren Sie Körperhaltungen aus und stellen diese dar.(siehe unten.: Brechts eigene Vorstellungen im Jahre 1946)
- Sprachanalyse:
Lesen Sie die Rede Galileis über die "neue Zeit" noch einmal durch:
Achten Sie auf Besonderheiten in Galileis Sprache und Sprechweise?
Arbeiten Sie das Leitmotiv dieser Rede und seine Variationen heraus (-> Die Seefahrt)
Zusatzmaterial aus Brechts Notizen und Anmerkungen:
- Wie er den Galilei physisch gesehen haben möchte:
"... Wichtig, daß Du den Galilei nicht idealisierst. (Du weißt, Sterngucker, bleicher, vergeistigter Idealistentyp!) ... Bei mir ist es ein kräftiger Physiker mit Embonpoint, Sokratesgesicht, ein lärmender, vollsaftiger Mann mit Humor, der neue Physikertyp, irdisch, ein großer Lehrer. Lieblingshaltung: Bauch vorgestreckt, beide Hände auf beiden Arschbacken, Kopf zurück, mit der einen, fleischigen Hand dann immer gestikulierend, aber knapp, Kostüm nicht das Paradekostüm (außer bei Repräsentation), bequeme Hose bei der Arbeit, Hemdsärmel, oder (besonders am Schluss) lange, weißgelbe Kutte mit weiten Ärmeln, über dem Bauch mit einem Strick gegürtelt."
(Brief an Hans Thombrock 1940/41 aus: Hecht S.43/44)
* Embonpoint (fr. das oder der) - Wohlbeleibtheit, Körperfülle, (scherzhaft) dicker Bauch - Brecht über die Bühnengestaltung:
"Für den 'Galilei' dachte ich ebenfalls an eine Ausstattungsbühne. (Sagen wir, vorne rechts und links hohe schlanke Messing-Messgeräte, im Hintergrund die Prospekte mit der Wiedergabe alter Stiche, die Vorgänge ganz plastisch und gestisch, in zeichenbaren Szenen ... )"
(Brief an den Bühnenbildner Caspar Neher, Dezember 1946, zit. nach Hecht S. 45) - Brecht über seine Arbeit am 'Galilei' in Beverly Hills 1947:
"Wir einigten uns über folgendes:
1. Die Bühnendekorationen sollen nicht so sein, daß das Publikum glaubt, sich in einer Stube des mittelalterlichen Italiens oder im Vatikan zu befinden. Das Publikum soll zur Überzeugung gebracht werden, es befinde sich in einem Theater.
2. Der Hintergrund soll mehr zeigen als die unmittelbare Umgebung Galileis; er soll in phantasievoller und artistisch reizvoller Art die historische Umgebung zeigen. Er soll dabei Hintergrund bleiben (...).
3. Möbel und Requisiten sollen realistisch sein (Türen gehören dazu) und vor allem sozial-historische Reize enthalten. Die Kostüme müssen individualisiert sein und die Merkmale des Getragenseins aufweisen. Die sozialen Unterschiede sind zu unterstreichen (...)
4. Die Gruppierungen der Personen müssen die Qualität historischer Gemälde haben."
(Aus dem Vorwort zu "Aufbau einer Rolle/Laughtons Galilei", zit. nach Hecht S.83/84)
Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.