Deutsche Codices der Pfälzischen Bibliothek

 

Cod. Pal. germ. 304
Historische Notizen aus Augsburg

Beschreibstoff: Papier
Urnfang: 155 Blätter Hs. an Drucken
Maße: 20 X 14,4 cm
Entstanden 1538-1545
Entstehungsort: Augsburg

Diese Handschrift ist ein Glücksfall für die Augsburger Geschichte. Man stelle sich vor, man finde ein Exemplar des 'Goldenen Blattes' aus dem Jahr 1540 und hätte die Möglichkeit, Klatsch und Tratsch aus einer der blühendsten Handelsstädte Deutschlands im 16. Jahrhundert zu erfahren. Cod. Pal. germ. 304 überliefert diesen Klatsch, dazu Todesanzeigen, Ungewöhnliches und Verwunderliches. In der Stadt muss es deftig zugegangen sein, Mord und Totschlag standen an der Tagesordnung und ein Menschenleben zählte nicht viel. Der Pranger und die Vertreibung aus der Stadt waren noch milde Strafen für Diebstahl, Vergewaltigung und Trunkenheit. Doch auch Berichte über ungewöhnliche Wetterereignisse, Brände und Baumaßnahmen in der Stadt sind Thema in der Handschrift.

Augsburg hat eine lange Tradition der Chronistik. Insbesondere das 16. Jahrhundert hat zahlreiche Stadtchroniken hervorgebracht, darunter solche aus der Feder einfacher Weber oder Handwerker. Auch Cod. Pal. germ. 304 geht im Kern auf Notizen eines Webers zurück. Der Bericht Simprecht Krölls über seine Verlobungsfeier und die Angaben über seine Tätigkeit als Weber in verschiedenen Augsburger Häusern sind die einzigen der Handschrift, die in der Ich-Form gehalten sind. So liegt es nahe, ihn als den ursprünglichen Sammler der Notizen anzunehmen, wenngleich die Handschrift selbst nicht aus seiner eigenen Feder stammt.

Cod. Pal. germ. 304 ist eine Fundgrube für die Alltagsgeschichte. Berichte über Veranstaltungen wie Fechtschulen, Singschulen oder Ritterturniere, über Baumaßnahmen an Kirchen, der Stadtbefestigung oder der Trinkwasserversorgung, Nachrichten über fahrende Künstler, Gaukler, Hochseilartisten oder Verbiegeakrobaten, über die Rückkehr von Söldnern aus den Türkenkriegen oder über die Aufstellung einer Bürgerwehr und deren Organisation bieten einen tiefen Einblick in das Leben der Kaufmannsstadt Augsburg im 16. Jahrhundert. Die Ereignisse, über die berichtet wird, sind bisher zum größten Teil völlig unbekannt und kommen auch sonst in keiner der bislang bekannten Augsburger Chroniken vor. Die Handschrift bietet neben dem Klatsch und Tratsch auch die Abschriften von Grabsteinen sowohl aus Augsburg, wie auch aus München, wohin Simprecht Kroll offenbar im Auftrag seines Brotherrn reiste. Dort schrieb er unter anderem den lateinischen Grabstein des Münchener Hofkapellmeisters Ludwig Senfl ab. Nur aufgrund dieser Überlieferung sind nun die Lebensdaten Senfls (1490-1543) zweifelsfrei bekannt.

Bild: Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. pal. germ. 304 f.084r

Text: Matthias Miller / Karin Zimmermann

   

im Detail:

Schriftprobe

weiter:

Hugo von Montfort: Reden, Briefe. Lieder
"Die Heidin"
Martin Luther: Die Schmalkaldischen Artikel
Historische Notizen aus Augsburg

siehe auch:

zurück:

Übersicht
Startseite | Kultur | Service | Aktuelles | zur ZUM | © Badische Heimat/Landeskunde online 2007

 

Impressum · Datenschutz