Berlin Alexanderplatz

LK-Klausur: Lösungs- und Strukturierungsbeispiel

Textstelle: "Erhebe dich, du schwacher Geist, ... Das Weib ist trunken vom Blut der Heiligen", S. 210/11

I. Einleitung ins Werk ...
Ganz nach Schema oder nach Einfallsreichtum: Siehe Einleitung

... und Hinführung zur Textstelle
Franz Biberkopf, der Ex-Sträfling, hat wider seine guten Absichten, anständig zu bleiben, sich mit einer Einbrecher- und Hehlerbande, der Pums-Kolonne, eingelassen und wird bei einem Einbruch zum Schmierestehen eingesetzt. Da er aber nicht bereit ist zu kooperieren, wirft ihn sein bisheriger Freund Reinhold aus dem fahrenden Fluchtauto. Franz verliert dabei seinen rechten Arm, der amputiert werden muss. Als die Pums-Kolonne von Franzens unerwarteter Genesung erfährt, wollen sie ihn mit einem Geldbetrag ungefährlich machen, die Geldübergabe misslingt allerdings, denn die dabei anwesende Eva, Franzens Freundin und Beschützerin vermutet einen Überfall, schlägt Alarm und in dem entstehenden Durcheinander erleidet der noch geschwächte Franz eine Ohnmacht, aus der er in der zu analysierenden Stelle erwacht.

II. Textanalyse
Kurzübersicht:

Der Textausschnitt handelt von Biberkopfs Wiedereintauchen in die Stadt Berlin, der großen Verführerin. Er findet seinen Lebenswillen wieder, erkennt auf noch unklare Weise seine Lage und stellt sich dem Leben, über das er nun zu wissen glaubt, dass es nämlich sehr unordentlich und gefährlich ist, ganz anders als im Gefängnis.
Die Erzählperspektiven wechseln dabei in rascher Folge zwischen Gedankenwiedergabe mittels innerer Monologe und Außenansichten aus der Perspektive des wohlwollenden Erzählers. Im letzten Abschnitt schaltet sich der Erzähler sogar in das Geschehen ein und verrät dem Protagonisten ein Geheimnis, er warnt ihn vor der Stadt Berlin. Dies wird „aber” von Franz Biberkopf nicht wahrgenommen, wie sein nachfolgendes Handeln zeigt.

Detailbetrachtung:
Der Text beginnt mit einer Überschrift, die nach einem Kirchenlied klingt, erkennbar moralisch-erbaulich ist und sich direkt auf Franzens Lage bezieht: Ein Appell an Franz Biberkopf, der in einer Ohnmacht liegt, die als tod-ähnlich vorgestellt wird. Er ist dem Tode nahe, nicht jedoch aus physischer, sondern aus geistiger Schwäche: Ihm fehlt der Lebenssinn, die Lebens-Perspektive. Aus diesem Vakuum reißt ihn aber nicht die Erkenntnis eines neuen Lebenszieles, sondern allein sein Überlebenswille. Sprachlich wird dies durch dreimaligen Wiederholungen („wenn du ...” und „will nicht ...”) zum Ausdruck gebracht, Biberkopf feuert sich an, treibt sich voran, zurück ins Leben.

Der folgende Sinnabschnitt (ab Zeile 18) zeigt ihn dann auf den Straßen Berlins, das ist sein Lebensraum. Diejenigen, die ihm bisher geholfen haben, Eva und Herbert, auch Reinhold, stehen nicht mehr zur Verfügung, Franz, die „Kobraschlange” muss sich alleine durchschlagen. Sein Lebenswille wird in das Bild der Kobraschlange gekleidet, eine „alte” und „magere” zwar, aber immer noch gefährliche und um Lebenserfahrung reichere Schlange.
Der Erzähler schildert diesen neuen, alten Biberkopf weiter: Er hat wohl dazugelernt, die Schicksalschläge, die ihm zugestoßen sind, haben „doch etwas genützt” (Z.34). Aber von Lernen kann nicht wirklich gesprochen werden. Das Tier in Franz B. hat eine Witterung vom Leben aufgenommen, es „schnüffelt” und „beschnüffelt” und „begafft” (Z. 35/6) die Welt. Franz hat eine Ahnung bekommen und seine Instinkte geschärft für das Überleben im Dschungel der Großstadt. Der Erzähler variiert hier noch einmal das Motiv des Animalischen (ankrallen, festklammern) und verweist gleichzeitig mit dem Wort „abgeschmissen” (Z. 40) zurück auf den letzten Schicksalschlag, als Franz aus dem Auto geworfen wurde.

Auch der nächste Abschnitt macht deutlich, dass Franzens Lernen weniger ein Begreifen und mehr ein Ahnen und ein Fühlen ist: Die Welt da draußen, die richtige Welt, ist nicht Anstaltsordnung, sondern Unordnung und Chaos. Wer darin nicht auf der Strecke bleiben will, muss auf der Hut sein. Für einen „Moment” (Z.48) hat sich Franz diese Wahrheit schon eimal aufgetan, damals als er sich dem Kampf in der Kneipe stellen musste, und eigentlich doch nur für Ruhe und Ordnung gewesen war.
Aber eine klare Erkenntnis ist das eben nicht. Darum greift der Erzähler nun direkter als sonst ein und zeigt die Gefahr auf: Die große Hure, das biblische Motiv der Zügellosigkeit und Unordnung, die Hure Babylon, die vom „Blut der Heiligen” ( Z. 58/9) trinkt, das ist die Stadt Berlin. Sie kann Franz verderben und vernichten, Franz, der immer nur ordentloich und ehrlich sein wollte, ein Heiliger also, und der bald den Entschluss fassen wird, dass sich das nicht lohnt.

Zusammenfassung:
In dieser Textstelle erlebt der Leser die zweite Wiederauferstehung des vom Schicksal und seiner eigenen Ahnungslosigkeit gebeutelten Franz Biberkopf. Er hat dazugelernt, jedoch nichts Genaues, denn der nachfolgende Satz enthält das bedeutungsvolle Wörtchen „aber”: „Franz Biberkopf aber zieht durch die Straßen ...”. Die in biblische Sprache und Bildhaftigkeit verkleidete Warnung verhallt ungehört oder unverstanden und Franz stürzt sich direkt in die Verlockungen der Stadt und betrinkt sich zuerst einmal.

Weiterführung:
Im weiteren Verlauf der Romanhandlung wird Franz ein Hehler und ein Zuhälter, der von seinem Mädchen, Mieze, lebt. Diese wiederum die ihn bedingungslos liebt, ist seine schwache Stelle, welche vom Todfeind Reinhold, dem personifizierten Bösen, gnadenlos ausgenutzt wird: Er tötet sie, um Franz, der sich zu sehr in seine persönlichen Angelegenheiten eingemischt hat, zu vernichten. Franz liegt daraufhin noch einmal im Sterben, er ringt mit dem Tode, jetzt aber auch körperlich, und er kann nur durch Zwangsernährung ins Leben zurückgebracht werden, wie im Neunten Buch berichtet wird. Seine Wiedergeburt geht einher mit der symbolischen Vertreibung der großen Hure, der Tod reinigt sein Leben von dieser Versuchung und der genesene Franz geht nun als ein Anderer in die Stadt zurück. Die „dritte Eroberung Berlins” hat zum Untergang des Franz B. geführt, nun zieht der neue Mensch, Franz Karl B. in die Stadt ein, einer der jetzt über das Leben gelernt hat, dass nicht alles Schicksal ist, was einem zustößt, dass man sich gegen vieles wehren kann, weil es von einem selbst abhängt. Diese Lehre lässt der Erzähler am Ende Romans seinen Protagonisten aussprechen (S. 401), sie klang auch schon im Prolog an (S.7): Anständig sein wollen ist schwer und erfordert Kampf. Wer darin scheitert, soll aber nicht das Schicksal beschuldigen, sondern seine Schwächen und Fehler suchen und weiter kämpfen.

III. Schluss:
Die Absicht des Autors Alfred Döblin wird hier deutlich erkennbar. Er wollte - trotz aller technischen Modernität - einen moralischen, einen nützlichen Roman verfassen, in dem die Lebens-Gefahren und Risiken der neuen Welt dargestellt und erkennbar werden. Sein exemplarischer Held Biberkopf ist ein Demonstrationsobjekt für das Überleben im nur äußerlich so geordnet erscheinenden Dschungel der Großstadt. Alfred Döblin schuf zu diesem Zweck nicht nur einen naiven Helden, sondern auch einen moralisierenden Erzähler, der die Geschicke seiner Hauptfigur mit deutlich didaktischen Absichten leitet und kommentiert.
Ob die „Geschichte vom Franz Biberkopf” allerdings genau deshalb zum Erfolgsroman der 30er Jahre wurde, sei dahingestellt.


Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.
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