Seit 1990 arbeite ich am Bischöflichen Clara-Fey-Gymnasium in Schleiden (NRW) und unterrichte SchülerInnen in den Fächern Deutsch, Katholische Religion und Sport. Ich bin somit ein „erfahrener“ Kollege, habe zahlreiche Klassen und Kurse geleitet. In den letzten 10 Jahren erkannte ich die zunehmenden Disparitäten zwischen den Rahmenbedingungen des Lernens außerhalb und innerhalb von Schule sowie u.a. zwischen den Arbeitsweisen, wie sie seit Jahrzehnten, teilweise noch länger, in Schulen verankert sind sowie den veränderten, der „Kultur der Digitalität“ (F. Stalder) entsprechenden, Arbeitsweisen außerhalb von Schule.

In den Tabletklassen unserer Schule (ab Jahrgangsstufe 7) arbeiten die SchülerInnen täglich in (fast) allen Fächern mit eigenen 2-in-1-Geräten. Dabei geht es nicht um die bloße Ersetzung von Stift und Papier durch Tastatur und Bildschirm – digitale Medien ermöglichen neuartige Arbeitsweisen und -methoden, die sich an der Arbeit auf einem Wiki als gemeinsamer Internetplattform veranschaulichen lassen.

Wir nutzen das Projektwiki der ZUM, das speziell für die schulische Arbeit konzipiert wurde. Schon vor 20 Jahren haben ehrenamtlich tätige LehrerInnen die Möglichkeitdieses Arbeitens im Netz realisiert. Das zeigt, welche Visionäre im Hintergrund des Wikis stehen und mit wie viel Herzblut sie weiter daran arbeiten! Jede/r SchülerIn ist über ein Benutzerkonto in der Lage, Dateien auf das Wiki hochzuladen und dort, ggf. gemeinsam und zeitgleich mit anderen, zu arbeiten. An ausgewählten Merkmalen möchte ich einige der damit verbundenen, neuartigen Arbeitsmethoden erläutern:

Kooperation

Arbeiten auf einem Wiki bedeutet kooperatives Arbeiten und stellt die Lerngruppe auf neue, gemeinschaftsfördernde Grundlagen. Kooperation als Teil des 4K-Modells ist eine der Kompetenzen, die für Lernende im 21. Jahrhundert von herausragender Bedeutung sind.

Zunächst steht sie kontrastiv zum, gerade im Gymnasium noch immer geförderten Einzelkämpfertum, das mit der Team- und Projektarbeit im späteren Beruf bzw. Studium, mit der möglichen und gewohnten „Referentialität“ als Teil der Kultur der Digitalität (F. Stalder) nichts gemeinsam hat. In einem ersten Stadium müssen SchülerInnen oftmals ermutigt werden, die Produktionen der anderen als Hintergrund eigener Arbeit zu verstehen. Hier eröffnet sich die Chance, dass ein Großteil der Klasse, insbesondere die in diesem Fach eher schwächeren SchülerInnen, durch den Zugriff auf die gesammelten Arbeiten der MitschülerInnen vielfache Inspirationen erhalten, die ohne die digitale Lernumgebung nicht möglich wären. Arbeiten anderer (Vorgänger-)Klassen, Schulen, Universitäten usw. können aufgerufen und verarbeitet werden.

Andererseits können (ggf. durch zeitlich wechselnde Experten-Teams) orthografische bzw. grammatische Überarbeitungen stattfinden, oder es kann Peer-Feedback (außerhalb der Präsenzstunden) notiert und als Grundlage der Weiterarbeit verwendet werden.

Gerade im ländlichen Raum ergibt sich ein weiterer Vorteil daraus, dass SchülerInnen unabhängig von Raum und Zeit gemeinsam an Dokumenten arbeiten können.

Transparenz

Sie ist ein zentrales Kennzeichen des Internets, ebenso der Arbeit auf einem Wiki. Aufgabenstellungen, Dokumentationen, Reflexionen, Hausaufgaben, Verlinkungen, usw.: Alles ist von jedem und jederzeit einsehbar. Unklarheiten etwa bezgl. Aufgabenstellungen bestehen nicht mehr, Stundenverläufe, Protokolle können problemlos eingesehen werden.

Das Wiki erlaubt der/dem LehrerIn darüber hinaus einen detaillierten Blick auf die Arbeiten aller SchülerInnen und führt somit zu präzisen und sachgerechten Bewertungen.

Eigenverantwortung

Der Freiraum des Einzelnen in der „digitalen Schule“, der sich u.a. in Möglichkeiten der Binnendifferenzierung, individuellen Lernwegen und kreativen Lösungen zeigt, erfordert auf der anderen Seite ein deutliches Plus an Selbständigkeit und Eigenverantwortung. Die Transparenz des Wikis und seine Versionsgeschichte dokumentieren alle Beiträge und ermöglichen (auch) der Lehrkraft neue Einsichten in das Arbeitsverhalten der SchülerInnen, die sich wiederum motivierend auf die Lernenden auswirken können.

Effiziente Techniken zur Organisation der eigenen Arbeit zu entwickeln, ist für viele SchülerInnen eine wichtige Herausforderung. Strukturieren und Organisieren sind fundamental wichtige Kompetenzen „digitaler Schule“. Das Wiki leitet zum strukturierten Arbeiten an: Übersichtliche Listen, eine überschaubare Anzahl an Werkzeugen, Textfokussierung, geringe Ablenkungsmöglichkeiten tragen dazu bei, relativ leicht den Überblick zu gewinnen und durch konsequentes Arbeiten zu behalten. Permanente Pflege und Strukturierung der eigenen Seiten erleichtern das rasche Auffinden bestimmter Dateien, wenn sie etwa auf die Vorbereitung von Klausuren benötigt werden. Ständige Auswertung der Lehrkraft, ihre Pflege des Wikis, bleiben ebenso notwendig und ermöglichen direkte Eingriffe bzw. individuelle Hinweise und Tipps, auch außerhalb der schulischen Präsenzzeiten.

Instrument der Einübung demokratischer Strukturen

Vielen SchülerInnen wird erst nach einer Eingewöhnungs- und Übungsphase klar, welche Möglichkeiten ihnen das Wiki bietet. Je nach Einrichtung von Benutzerrechten können sie die Plattform genauso verwalten und gestalten wie die/der LehrerIn, sind also i.d.S. gleichberechtigt. Im Normalfall führt das zu mehr Eigenverantwortung (für die ganze Klasse) und die/der LehrerIn wird bestrebt sein, mehr und mehr von seiner Kontroll- und Leitungsfunktion an SchülerInnen abzugeben.

Die Erfahrung, das Netz selbst gestalten zu können, vom reinen Konsumenten zum Produzenten zu werden, bereitet den Weg zum kritischen, mündigen Bürger, der sich im Netz selbstbestimmt bewegen kann.

Kontakt:

Mail: drewes.kall@t-online.de

Twitter: https://twitter.com/JuergenDrewes

Facebook: https://www.facebook.com/juergen.drewes.16

Blog: http://drewesbloggt.com

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