Romantik & Lyrik Überlegungen und Arbeitsvorschläge

Joseph von Eichendorff

Zwielicht



Bausteine der Interpretation:

  • Assoziationen zum Titel des Gedichtes: Zwielicht!
    Erste Hypothesen über den Stimmungsgehalt, die Thematik des Gedichtes.

  • Hinweis zu Form und Aufbau: siehe Volkslied und Volksliedstrophe

  • Und jetzt Strophe für Strophe:

    1. Strophe: Die Situation wird in drei stimmungsgeladenen Bildern vorgestellt: Es ist Abend, es wird dunkel, ein seltsames Gefühl überkommt den lyrischen Sprecher, die Naturvorgänge laden sich symbolisch auf und beunruhigen den Beobachter: “Was will dieses Graun bedeuten?”(Z.4) Wortfeld: Zwielicht, Dämmerung, schaurig, schwere Träume -> Grauen! Die Natur wird nicht objektv dargestellt, sondern in der Gefühlslage des Beobachters, die Dämmerung belebt sich, sie wird zum Riesenvogel.

    2. Strophe: Gedankensprung! Die unheimliche Stimmung veranlasst das lyrische Ich zu einem Bilde der Bedrohung und zur daraus abgeleiteten Warnung. Das, was dir lieb ist, behüte es! Die zentrale Motivik dieser Strophe ist der WALD (Wortfeld: Reh, Jäger, Wald, blasen, Stimmen): Ein typisches Element in Eichendorffs Naturbild. In dieser Zwischenzeit wird der Wald, sonst geschützter Ort, der Idylle und Friedens assoziiert ("grasen"), zur Gefahrenzone für das Schutzbedürftige, das Reh. Der Tod geht um in Gestalt der Jäger und Treiber ("Stimmen"). - Ist das Reh ein Bild für die geliebte Frau oder ein generelles Symbol der Schutzbedürftigkeit und Gefährdung?

    3. Strophe: Wieder ein Sprung in eine andere Situation, die Botschaft aber ist dieselbe wie in der Strophe zuvor: Trau deinem Freund nicht in diesem Zwielicht, er könnte dich täuschen. Die Antithesen “Freund”(9) und “Krieg”(12) machen auch sprachlich deutlich, wie sehr “in dieser Stunde” die Welt aus den Fugen geraten kann oder sogar schon ist. Und wie in der zweiten ist der Gestus dieser dritten Strophe dialogisch, erneut wendet das lyrische Ich sich an ein Gegenüber - oder an sich selbst - und rät zur Vorsicht.
    Beide Strophen entwerfen Situationen der Bedrohung und Verunsicherung, hervorgerufen durch die beunruhigende Erfahrung der Dämmerung, wie sie in Strophe 1 geschildert wird.

    4. Strophe: Der Zeithorizont erweitert sich nun und das Zwielicht wird zwischen “heute” und “morgen” eingespannt, zwischen “müde” und “neu”. Es erhält dadurch die Qualität eines Naturvorganges: Die Natur regeneriert sich ständig, aus der Nacht wird der Tag, auf den Untergang folgt der Wiederanfang. Das ist natürlich und sogar in gewisser Hinsicht versöhnlich, aber was für die Natur gilt, gilt nicht für das Individuum: Es kann diese Nacht unter Umständen nicht mehr überstehen, es könnte “verloren” gehen (15), ohne vielleicht Spuren zu hinterlassen. Der Mensch ist diesem Naturvorgang ausgesetzt und erfährt darin seine Machtlosigkeit. Was bleibt angesichts dieser existentiellen Gefährdungen zu tun übrig? Das lyrische Ich schließt die vierte Strophe und damit das Gedicht mit der Wiederholung seiner zuvor schon angedeuteten Warnungen: “Hüte dich, bleib wach und munter!" Dies ist jetzt Klartext, keine Andeutung und kein Bild mehr: Die Welt in der wir leben, ist trügerisch und bedrohlich, sei wachsam und vertraue allein dir selbst!

    Abschließend: Historische Bezüge dieses Lebensgefühls:

  • Einmal naturphilosophisch: Der Mensch ist in Naturvorgänge eingefügt, die ihm rätselhaft und undurchschaubar bleiben, die ihn in seiner Existenz gefährden und die durch kein Wissen und keine Wissenschaft gebändigt werden können. Dieses Wissen, das bei hellem Tage verdrängt wird, kehrt wieder, meldet sich gleichsam, am Tagesende, bei Einbruch der Nacht: Im Zwielicht.

  • Zeitgeschichtliches: Die Zeit der Romantiker, die Jahrhundertwende und das beginnende 19. Jhdt ist eine unruhige, beunruhigende Zeit des Übergangs von der alten, feudal geprägten Welt in eine neue ungewissen Zukunft, die sich ankündigt in gesamteuropäischen militärischen Auseinandersetzungen, Zusammenbruch der alten Herrschaftsstrukturen, Zurückdrängung der Religion und Entstehung neuer nicht-landwirtschaftlicher Arbietsverhältnisse. Die Zukunft ist ungewiß und die Vergangen-heit ist unwiederbringlich, dazwischen tut sich ein weltanschaulicher Leerraum auf, ein Zwielicht, in welchem die Gestalten schemenhaft werden und ihre Vertrautheit verlieren. Dies ist verunsichernd und bedrohlich, der Einzelne fühlt sich alleingelassen, verlassen und auf sich gestellt.


    (cc) Klaus Dautel