Naturlyrik Überlegungen und Arbeitsvorschläge

Natur & Lyrik: Jahreszeiten

FRÜHLING

Dietmar von Eist (1139 - 1171)

J.W.Goethe: Faust I, V.903-928

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer kornigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurückzusehen.
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.

Kurzkommentar: Es ist Ostersonntag. Faust, in seiner tiefen Verzweiflung über die Begrenztheit seiner Welt ("dumpfes Mauerloch") wollte sich in der Osternacht vergiften, wurde aber durch den Gesang der Engel davon abgehalten. Diese gehören zu den mittelalterlichen Aufführungen der Oster-Passion. Der durch dieses Ereignis wieder ins Leben zurückgeführte Faust unternimmt nun einen Spaziergang aus der Stadt heraus. (Vgl. Spazierengehen). Begleitet wird er von seinem Famulus (wissenschaftlichen Assistenten) Wagner. Die Symbolik der Auferstehung ist hier von besonderer Bedeutung.

Joseph von Eichendorff
Frische Fahrt
    Laue Luft kommt blau geflossen,
    Frühling, Frühling soll es sein!
    Waldwärts Hörnerklang geschossen,
    Mut‘ger Augen lichter Schein.
    Und das Wirren bunt und bunter
    Wird ein magisch wilder Fluss,
    In die schöne Welt hinunter
    Lockt dich dieses Stromes Gruß.

Und ich mag mich nicht bewahren!
Weit von euch treibt mich der Wind
Auf dem Strome will ich fahren
Von dem Glanze selig blind!
Tausend Stimmen lockend schlagen
Hoch Aurora flammend weht,
Fahre zu! Ich mag nicht fragen,
Wo die Fahrt zu Ende geht!

1815

Aurora - römische Göttin der Morgenröte

Ludwig Uhland (1787-1862)
FRÜHLINGSGLAUBE

Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal;
Nun, armes Herz, vergiß die Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Heinrich Heine (1797 - 1856)

 WAHRHAFTIG 

  Wenn der Frühling kommt mit dem Sonnenschein,  
  Dann knospen und blühen die Blümlein auf;  
  Wenn der Mond beginnt seinen Strahlenlauf,  
  Dann schwimmen die Sternlein hintendrein;  
  Wenn der Sänger zwei süße Äuglein sieht,  
  Dann quellen ihm Lieder aus tiefem Gemüt; - 
  Doch Lieder und Sterne und Blümelein, 
  Und Äuglein und Mondglanz und Sonnenschein, 
  Wie sehr das Zeug auch gefällt, 
  So macht`s doch noch lang keine Welt.
 

Erich Kästner
Besagter Lenz ist da

Es ist schon so. Der Frühling kommt in Gang.
Die Bäume räkeln sich. Die Fenster staunen.
Die Luft ist weich, als wäre sie aus Daunen.
Und alles andre ist nicht von Belang.

Nun brauchen alle Hunde eine Braut.
Und Pony Hütchen sagte mir, sie fände:
Die Sonne habe kleine, warme Hände
Und krabble ihr mit diesen auf der Haut.

Die Hausmannsleute stehen stolz vorm Haus.
Man sitzt schon wieder auf Caféterassen
Und friert nicht mehr und kann sich sehen lassen.
Wer kleine Kinder hat, der fährt sie aus.

Sehr viele Fräuleins haben schwache Knie.
Und in den Adern rollt’s wie süße Sahne.
Am Himmel tanzen blanke Aeroplane.
Man ist vergnügt dabei. Und weiß nicht wie.
Man sollte wieder mal spazieren gehen.
Das Blau und Grün und Rot war ganz verblichen
Der Lenz ist da! Die Welt wird frisch gestrichen!
Die Menschen lächeln, bis sie sich verstehen.

Die Seelen laufen Stelzen durch die Stadt.
Auf dem Balkon stehn Männer ohne Westen
Und säen Kresse in die Blumenkästen.
Wohl dem, der solche Blumenkästen hat!

Die Gärten sind nur noch zum Scheine kahl.
Die Sonne heizt und nimmt am Winter Rache.
Es ist zwar jedes Jahr die gleiche Sache,
doch immer wieder wie beim ersten Mal.

1 Pony Hütchen - eine Figur aus einem Buch von Erich Kästner.
2 Aeroplane - Veraltetes Wort für Flugzeuge.

SOMMER

Wenn man einmal von den drei Standard-Assoziationen "Sommer, Sonne, Strand" absieht, dann könnte es sein, dass einem gar nicht mehr so viel Positives zu dieser Jahreszeit einfällt. Das könnte erklären, dass sich auch nicht allzu viele beachtenswerte Sommer-Gedichte finden lassen, die den Sommer preisen. Stattdessen eher Lähmung, Stillstand, trügerische Behaglichkeit, Leerzeit zwischen Aufbruch und Erfüllung, zwischen Anspannung und Entladung. Im Sommer herrscht Langeweile oder es braut sich etwas Dramatisches zusammen:

Alfred Lichtenstein

Sommerfrische

Der Himmel ist wie eine blaue Qualle.
Und rings sind Felder, grüne Wiesenhügel -
Friedliche Welt, du große Mausefalle,
Entkäm ich endlich dir ... O hätt ich Flügel -

Man würfelt. Säuft. Man schwatzt von Zukunftsstaaten.
Ein jeder übt behaglich seine Schnauze.
Die Erde ist ein fetter Sonntagsbraten,
Hübsch eingetunkt in süße Sauce.

Wär doch ein Wind ... zerriß mit Eisenklauen
Die sanfte Welt. Das würde mich ergetzen.
Wär doch ein Sturm ... der müßt den schönen blauen
Ewigen Himmel tausendfach zerfetzen.

Georg Trakl (1887-1914)

  Gewitterabend

O die roten Abendstunden!
Flimmernd schwankt am offnen Fenster
Weinlaub wirr ins Blau gebunden,
Drinnen nisten Angstgespenster.

Staub tanzt im Gestank der Gossen.
Klirrend stößt der Wind in Scheiben.
Einen Zug von wilden Rossen
Blitze grelle Wolken treiben.

Laut zerspringt der Weiherspiegel.
Möven schrein am Fensterrahmen.
Feuerreiter sprengt vom Hügel
Und zerschellt im Tann zu Flammen.

Kranke kreischen im Spitale.
Bläulich schwirrt der Nacht Gefieder.
Glitzernd braust mit einem Male
Regen auf die Dächer nieder.

                        1912

Einen geradezu elegischen Blick auf eine noch heile (DDR-)Land(wirt)schaft wirft das lyrische Ich in Sarah Kirschs Gedicht „Sommer“ aus dem Band „Rückenwind“ (1976). Darin heißt es

HERBST

Im Vergleich zum Frühling, dessen Motiv-Bereiche im Großen und Ganzen positiv und ziemlich einheitlich sich darstellen - so dass sie sich auch schon wieder ironisch aufbrechen lassen wie bei Heine und Kästner -, ist der Herbst eine Jahreszeit, die eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Bedeutungen in sich aufnimmt: Die Spanne reicht von der Reife bis zum Tod der Natur - und des Menschen. Die Naturwahrnehmung scheint angesichts des Jahres-Ausklangs und im Bewusstsein der Unumkehrbarkeit der Ereignisse von besonderer Intensität zu sein. Das Wörtchen „noch" ist stimmungsprägend. Die nachfolgenden Gedichte spannen diesen Bogen von der sanften bis zur tödlichen Herbstnatur:

Eduard Mörike
SEPTEMBERMORGEN

Im Nebel ruhet noch die Welt
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.
(1827)


Friedrich Hebbel
HERBSTBILD

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum.
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

Rainer Maria Rilke
HERBSTTAG

HERR: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage.
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
(1902)

Stefan George 1897

Komm in den totgesagten park und schau:
Der schimmer ferner lächelnder gestade
Der reinen wolken unverhofftes blau
Erhellt die weiher und die bunten pfade.

Dort nimm das tiefe gelb das weiche grau
Von birken und von buchs der wind ist lau
Die späten rosen welkten noch nicht ganz
Erlese küsse sie und flicht den kranz.

Vergiß auch diese letzten astern nicht
Den purpur um die ranken wilder reben
Und auch was übrig blieb von grünem leben
Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.


Georg Heym
Trostloser Herbst. Verlorne weite Öde...

Trostloser Herbst. Verlorne weite Öde
Der kahlen, braunen Felder, die der Wald
Schwarz grenzt, wo an den niedern Himmeln kalt
Die tiefen Wolken jagen Winde schnöde.

Es dunkelt schon, das rote Heidekraut
Verschwimmt im Grau des Bodens, den ein Volk
Von Krähn verläßt, das zu dem schwarzen Kolk
und krummen Weiden fliegt mit scharfem Laut.

Noch zeigt den Huf des Stiers das Ackerland,
Der durch die Schollen zog den harten Pflug,
Wo flattert vor der grauen Wolken Zug
Einsamer Birken grünes Trauerband.

(1910)

(cc) Klaus Dautel

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