Natur & Lyrik: Jahreszeiten
FRÜHLING
Dietmar von Eist (1139 - 1171)
Ahî nu kumet uns diu zît, der kleinen vogellîne sanc. ez gruonet wol diu linde breit, zergangen ist der winter lanc. nu siht man bluomen wolgetân: an der heide uebent sie ir schîn. des wirt vil manic herze frô : des selben troestet sich daz mîn.
J.W.Goethe: Faust I, V.903-928
|
Kehre dich um, von diesen Höhen |
Kurzkommentar: Es ist Ostersonntag. Faust, in seiner tiefen Verzweiflung über die Begrenztheit seiner Welt ("dumpfes Mauerloch") wollte sich in der Osternacht vergiften, wurde aber durch den Gesang der Engel davon abgehalten. Diese gehören zu den mittelalterlichen Aufführungen der Oster-Passion. Der durch dieses Ereignis wieder ins Leben zurückgeführte Faust unternimmt nun einen Spaziergang aus der Stadt heraus. (Vgl. Spazierengehen). Begleitet wird er von seinem Famulus (wissenschaftlichen Assistenten) Wagner. Die Symbolik der Auferstehung ist hier von besonderer Bedeutung. |
Joseph von Eichendorff Frische Fahrt
Frühling, Frühling soll es sein! Waldwärts Hörnerklang geschossen, Mut‘ger Augen lichter Schein. Und das Wirren bunt und bunter Wird ein magisch wilder Fluss, In die schöne Welt hinunter Lockt dich dieses Stromes Gruß. |
Und ich mag mich nicht bewahren!
1815 |
Ludwig Uhland (1787-1862)
Die linden Lüfte sind erwacht,
Die Welt wird schöner mit jedem Tag, |
Heinrich Heine (1797 - 1856) WAHRHAFTIG Wenn der Frühling kommt mit dem Sonnenschein, Dann knospen und blühen die Blümlein auf; Wenn der Mond beginnt seinen Strahlenlauf, Dann schwimmen die Sternlein hintendrein; Wenn der Sänger zwei süße Äuglein sieht, Dann quellen ihm Lieder aus tiefem Gemüt; - Doch Lieder und Sterne und Blümelein, Und Äuglein und Mondglanz und Sonnenschein, Wie sehr das Zeug auch gefällt, So macht`s doch noch lang keine Welt. |
Erich Kästner Besagter Lenz ist da Es ist schon so. Der Frühling kommt in Gang. Die Bäume räkeln sich. Die Fenster staunen. Die Luft ist weich, als wäre sie aus Daunen. Und alles andre ist nicht von Belang. Nun brauchen alle Hunde eine Braut. Und Pony Hütchen sagte mir, sie fände: Die Sonne habe kleine, warme Hände Und krabble ihr mit diesen auf der Haut. Die Hausmannsleute stehen stolz vorm Haus. Man sitzt schon wieder auf Caféterassen Und friert nicht mehr und kann sich sehen lassen. Wer kleine Kinder hat, der fährt sie aus. Sehr viele Fräuleins haben schwache Knie. Und in den Adern rollt’s wie süße Sahne. Am Himmel tanzen blanke Aeroplane. Man ist vergnügt dabei. Und weiß nicht wie. |
Man sollte wieder mal spazieren gehen. Das Blau und Grün und Rot war ganz verblichen Der Lenz ist da! Die Welt wird frisch gestrichen! Die Menschen lächeln, bis sie sich verstehen. Die Seelen laufen Stelzen durch die Stadt. Auf dem Balkon stehn Männer ohne Westen Und säen Kresse in die Blumenkästen. Wohl dem, der solche Blumenkästen hat! Die Gärten sind nur noch zum Scheine kahl. Die Sonne heizt und nimmt am Winter Rache. Es ist zwar jedes Jahr die gleiche Sache, doch immer wieder wie beim ersten Mal.
1 Pony Hütchen - eine Figur aus einem Buch von Erich Kästner. |
SOMMER
Wenn man einmal von den drei Standard-Assoziationen "Sommer, Sonne, Strand" absieht, dann könnte es sein, dass einem gar nicht mehr so viel Positives zu dieser Jahreszeit einfällt. Das könnte erklären, dass sich auch nicht allzu viele beachtenswerte Sommer-Gedichte finden lassen, die den Sommer preisen. Stattdessen eher Lähmung, Stillstand, trügerische Behaglichkeit, Leerzeit zwischen Aufbruch und Erfüllung, zwischen Anspannung und Entladung. Im Sommer herrscht Langeweile oder es braut sich etwas Dramatisches zusammen:
Alfred Lichtenstein
Sommerfrische
Man würfelt. Säuft. Man schwatzt von Zukunftsstaaten.
Wär doch ein Wind ... zerriß mit Eisenklauen |
Georg Trakl (1887-1914) Gewitterabend O die roten Abendstunden! Flimmernd schwankt am offnen Fenster Weinlaub wirr ins Blau gebunden, Drinnen nisten Angstgespenster. Staub tanzt im Gestank der Gossen. Klirrend stößt der Wind in Scheiben. Einen Zug von wilden Rossen Blitze grelle Wolken treiben. Laut zerspringt der Weiherspiegel. Möven schrein am Fensterrahmen. Feuerreiter sprengt vom Hügel Und zerschellt im Tann zu Flammen. Kranke kreischen im Spitale. Bläulich schwirrt der Nacht Gefieder. Glitzernd braust mit einem Male Regen auf die Dächer nieder. 1912 |
Einen geradezu elegischen Blick auf eine noch heile (DDR-)Land(wirt)schaft wirft das lyrische Ich in Sarah Kirschs Gedicht „Sommer“ aus dem Band „Rückenwind“ (1976). Darin heißt es
- „...
Noch fliegt die Graugans, spaziert der Storch
Durch unvergiftete Wiesen. Ach, die Wolken
Wie Berge fliegen sie über die Wälder.
Wenn man hier keine Zeitung hält
Ist die Welt in Ordnung. ...“
HERBST
Im Vergleich zum Frühling, dessen Motiv-Bereiche im Großen und Ganzen positiv und ziemlich einheitlich sich darstellen - so dass sie sich auch schon wieder ironisch aufbrechen lassen wie bei Heine und Kästner -, ist der Herbst eine Jahreszeit, die eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Bedeutungen in sich aufnimmt: Die Spanne reicht von der Reife bis zum Tod der Natur - und des Menschen. Die Naturwahrnehmung scheint angesichts des Jahres-Ausklangs und im Bewusstsein der Unumkehrbarkeit der Ereignisse von besonderer Intensität zu sein. Das Wörtchen „noch" ist stimmungsprägend. Die nachfolgenden Gedichte spannen diesen Bogen von der sanften bis zur tödlichen Herbstnatur:
Eduard Mörike
Im Nebel ruhet noch die Welt
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
O stört sie nicht, die Feier der Natur!
|
Rainer Maria Rilke HERBSTTAG
HERR: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. |
Stefan George 1897
Komm in den totgesagten park und schau:
Dort nimm das tiefe gelb das weiche grau
Vergiß auch diese letzten astern nicht
|
Georg Heym Trostloser Herbst. Verlorne weite Öde...
Trostloser Herbst. Verlorne weite Öde
Es dunkelt schon, das rote Heidekraut
Noch zeigt den Huf des Stiers das Ackerland, (1910) |
Ohne etwas Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.