Romantik & Lyrik Überlegungen und Arbeitsvorschläge

Stadtgedichte. Ein Vergleich: Romantik - Expressionismus

Joseph von Eichendorff (1788 - 1857)

    In Danzig

    1842

    Dunkle Giebel, hohe Fenster,
    Türme tief aus Nebeln sehn,
    Bleiche Statuen wie Gespenster
    Lautlos an den Türen stehn.

    Träumerisch der Mond drauf scheinet,
    Dem die Stadt gar wohl gefällt,
    Als läg' zauberhaft versteinet
    Drunten eine Märchenwelt.

    Ringsher durch das tiefe Lauschen,
    Über alle Häuser weit,
    Nur des Meeres fernes Rauschen -
    Wunderbare Einsamkeit!

    Und der Türmer wie vor Jahren
    Singet ein uraltes Lied:
    Wolle Gott den Schiffer wahren,
    Der bei Nacht vorüberzieht.

Georg Heym (1887-1912)

Die Stadt

Sehr weit ist diese Nacht. Und Wolkenschein
Zerreißet vor des Mondes Untergang.
Und tausend Fenster stehn die Nacht entlang
Und blinzeln mit den Lidern, rot und klein.

Wie Aderwerk gehn Straßen durch die Stadt,
Unzählig Menschen schwemmen aus und ein.
Und ewig stumpfer Ton von stumpfem Sein
Eintönig kommt heraus in Stille matt.

Gebären, Tod, gewirktes Einerlei,
Lallen der Wehen, langer Sterbeschrei,
Im blinden Wechsel geht es dumpf vorbei.

Und Schein und Feuer, Fackeln rot und Brand,
Die drohn im Weiten mit gezückter Hand
Und scheinen hoch von dunkler Wolkenwand.

Nov. 1911

I. Einleitung:

II. Vergleich: Zuerst das Eichendorff-Gedicht analysieren, dann das Heym-Gedicht.

Form Volksliedstrophen: einfach, dem „Volkston“ nachempfunden, Reim und Metrum regelmäßig: Kreuzreim und vierhebiger Trochäus ...
Sonett: Eine strenge, ebenfalls regelmäßige Form, die auch den Gedankengang mitbestimmt (Gedankensprung vom Quartett zum Terzett: Wechsel im Reimschema). Der Reim ist streng, das Metrum ein fünfhebiger Jambus, nicht immer regelmäßig, gegenrhythmisches Sprechen wird erzwungen (Beispiel Z.1: "sehr"; Zeile 10: "Lallen")
Überschrift Eine ganz bestimmte Stadt liegt dem lyrischen Ich vor Augen, zu einem bestimmten Zeitpunkt, von daher ist Konkretheit in der Anschauung zu erwarten Der bestimmte Artikel in der Überschrift („Motto“) legt nahe, dass es hier um keine bestimmte Stadt geht, sondern um die Stadt an sich, dass also Wesentliches am Phänomen Stadt veranschaulicht bzw. geschildert werden soll.
Situation und Perspektive des lyrischen Ich Es ist Nacht, die Stadt ist ruhig („lautlos“), die Perspektive ist von oben, alles überschauend, zunehmend sich entfernend, sowohl räumlich als auch in der Realitätsdimension. Der Blick geht von oben nach unten in die Weite. Das lyrische Ich ist distanzierter Beobachter, als Ich scheinbar nicht anwesend, über der Stadt und über den Dingen stehend, diese Stadt und das Leben in ihr reflektierend und verallgemeinernd.
Analyse (Strophe für Strophe) Die Nacht hat die Stadt verwandelt:
1. Die Umrisse werden schemenhaft („Gespenster“)
2. Das Mondlicht verzaubert die Stadt, lässt sie unwirklich werden („als läge ...“), schafft die Illusion einer anderen Welt: „Märchenwelt“ (Gegenwelt?)
3. In der Ruhe bzw Lautlosigkeit vermischen sich die Elemente Wasser und Land, darin wird das Alleinsein vom lyrischen Ich als „wunderbar“ erfahren, vielleicht im Gegensatz zum geschäftigen Tagtreiben.
4. All dies beschwört eine alte Zeit der Aufgeräumtheit und Geborgenheit, der Türmer wird zum Symbol der stillstehenden, geschichtslosen Zeit, aus seinem Lied spricht Gottvertrauen und Schicksalsergebenheit.

Sprachliche Besonderheiten: Personifikationen und Vergleiche.
Fazit: Die nächtliche Stadt verlebendigt sich, wacht zu Zauberleben auf, bildet eine Gegenwelt zur Tagwelt: Die Nacht romantisiert die Stadt und lässt sie wieder Natur werden! Eine Rückverwandlung.
Strophe 1 und 2 („pictura“): Stadtbeschreibung, der Himmel ist bewegt, Unbelebtes wird belebt („Fenster“, „Aderwerk“), Lebendiges wird dinghaft („Menschen schwemmen..“)
Die Geräusche in ihrer Gleichförmigkeit bilden einen „stumpfen Ton“ (zweimal „stumpf“), eine Art falscher Stille, „matt“ genannt, die keine Ruhe gönnt.
Strophe 3 und 4 („scriptura“): Dieses Charakteristikum des Stadtlebens wird nun verallgemeinert zum Wesenszug des Daseins überhaupt: „blinder Wechsel“, und gipfelt schließlich in einem Bild der umfassenden Bedrohung durch die Elemente bzw. modernen Naturkräfte.

Sprachliche Auffälligkeiten: Bevorzugung dunkler, kräftiger Vokale, wie auch dunkler Farben (zweimal „rot“). Vorherrschend sind Substantive, häufig mit Adjektiven verstärkt bzw. eingefärbt.
Fazit: Die Stadt wird zum Sinnbild der bedrohten Existenz des Menschen.

III. Zusammenschau:


(cc) Klaus Dautel

Ohne ein bisschen Werbung geht es nicht. Ich bitte um Nachsicht, falls diese nicht immer ganz themengerecht sein sollte.
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